Wirtschaft
anders denken.

Brexit-Votum: Was diskutiert die Linkspartei?

28.06.2016

Nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien ist die Diskussion um seine Konsequenzen für eine Politik in Europa voll entbrannt. In der Linkspartei gibt es dazu recht unterschiedliche Einschätzungen.

Gibt das britische Brexit-Votum von links aus betrachtet Anlass zur Freude? Steckt gar eine Chance für eine progressive Wende darin? Oder verschlechtern das Abstimmungsergebnis und seine Folgen nicht eher die Voraussetzungen linker europäischer Politik und stärken die Rechten? Die Debatte darüber wird auch in der Linkspartei geführt, es geht dabei nicht zuletzt um das grundsätzliche Verhältnis der LINKEN zur EU.

PolitikerInnen der antikapitalistischen Strömung AKL haben die knappe britische Mehrheit für einen Austritt aus der EU als »die einzig angemessene Antwort« bezeichnet. Wer beim Referendum für den Verbleib votierte, habe nicht nur »einen schweren Fehler« begangen, so die Mitglieder des LINKEN-Vorstandes Lucy Redler und Thiess Gleis – die BefürworterInnen des »Remain« hätten sich sogar »gemein mit der herrschenden Elite des kapitalistischen Europas« gemacht.

Der Brexit, ein »Sieg der Rechtspopulisten«?

Für den Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich ist das »grotesker Unsinn«. Seiner Auffassung nach sei die Entscheidung für den Brexit ein Fehler gewesen. »Nichts wird dadurch besser. Großbritannien wird nicht sozialer. Und Europas Rechte jubeln«, so zitiert ihn die Mitteldeutsche Zeitung. Und das ist flügelübergreifend auch der Tenor der meisten linken Reaktionen.

Bei der Emanzipatorischen Linken wird die knappe Mehrheit der Brexit-BefürworterInnen als »überdeutlicher Sieg« der RechtspopulistInnen und Rechtskonservativen gesehen. Ein Brexit werde »nichts an der Lage der britischen oder irgendeiner anderen Arbeiterklasse in der EU verbessern«, heißt es in einer Erklärung. Der europapolitische Sprecher der Linksfraktion, der Abgeordnete Andrej Hunko, sieht zwar jede Menge Grund für Kritik an der EU, die er als »institutionalisierten Neoliberalismus« bezeichnet. Doch über das Brexit-Votum vermag Hunko »nicht zu jubeln«. Die rechte Hegemonie im Lager der Austritts-BefürworterInnen sei zu groß, »zu unübersehbar sind mir aktuell die möglichen politischen Auswirkungen der Schockwellen«.

Im reformsozialistischen Lager der Linkspartei war schon vorher von einem »schwarzen Tag für das Land und für die Europäische Einigung« die Rede. Die Brexit-GegnerInnen hätten im Wahlkampf »einen entscheidenden Fehler gemacht«, heißt es in einer Erklärung des Vorstands der Strömung Forum demokratischer Sozialismus: Sie hätten »mit den finanziellen und wirtschaftlichen Vorzügen einer EU-Mitgliedschaft« geworben, von der »seit Jahrzehnten lediglich die oberen Zehntausend und nicht die Millionen Erwerbstätigen und sozial Ausgebeuteten« profitieren.

»Grund zur Freude« sieht der linke Parteiflügel

Auf dem sich als links ansehenden Flügel der Partei hatte mancher dagegen bereits am Freitag im Ausgang des Referendums einen »Grund zur Freude« gesehen. Die EU könne »nicht im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung reformiert werden«. Genau das aber fordern die Spitzen von Linksfraktion und Linkspartei – das Brexit-Referenfum habe auch »den europäischen Status Quo unumstößlich« aufgebrochen und »die historische Chance eröffnet, den Menschen in Europa ihre Stimme zurückzugeben«.

Die Formel dafür lautet »Neustart der EU«. Bleibt die Frage, wie und mit wem dieser erreicht werden könnte. LINKEN-Chefin Katja Kipping hat inzwischen »eine gemeinsame europaweite Abstimmung der Bevölkerungen in der EU« vorgeschlagen. Dabei könne es um die Frage gehen, »wollen wir weiter in einer EU der Eliten und der Ungerechtigkeit leben, oder wählen wir eine neue Europäische Union der sozialen Garantien und der umfassenden Freiheitsrechte?«

Welche Konsequenzen sind aus dem Votum zu ziehen?

Dass sich in dem Brexit-Votum auch die sozialen Konflikte in Großbritannien einen Ausdruck verschafft haben, bezweifelt bei der Linkspartei niemand. »Europa ist wesentlich unsozialer und brutaler geworden, das Leben ist unsicherer, wir haben sehr viele prekäre Jobs in den einzelnen europäischen Ländern«, erklärte etwa Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht. Wer über die Gründe für den Brexit rede, könne das nicht übergehen. Sie verteidigte auch die linke Kritik an der Brüsseler Technokratie gegen den Vorwurf, dies sei schon nationalistisch oder belege eine Gegnerschaft zur europäischen Zusammenarbeit. »Es ist die EU, so wie sie heute ist, die Ablehnung provoziert«, so die Fraktionschefin.

Das sieht auch Dietmar Bartsch nicht viel anders. Er drängt darauf, »die herrschende Politik« eines »Europas der Eliten, Banken und Konzerne« zu überwinden – »hin zu einem Europa der Menschen«. Der Linksfraktionschef nannte es zugleich »erschreckend, dass die schrillen Parolen rechtspopulistischer Brexit-Befürworter mehrheitsfähig wurden« und forderte alle Linken auf, »um das große europäische Projekt des Friedens, der kulturellen Vielfalt, für soziale Gerechtigkeit entschlossener« zu kämpfen. Dies sei nach dem britischen Referendum freilich »alles andere als leichter geworden«.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass auf dem europäischen Parkett nicht erst abgewartet wird, welche Meinung sich die Linken bilden – dort hat das Ringen um die Machtverhältnisse in einer EU ohne Großbritannien längst begonnen. Längst werden Leitplanken für neue Kräfteverhältnisse innerhalb der EU aufgestellt. Manche wollen Ideen wie die eines »Kerneuropas« neu beleben; es wird über flexiblere Regeln innerhalb der Union gesprochen – dies aber vor allem aus einer Perspektive des neoliberalen Status quo.

Derweil lassen sich neue Haarrisse in der Großen Koalition beobachten, vordergründig in der Frage der Geschwindigkeit, in der nun das Austrittsverfahren Großbritanniens ablaufen soll – in Wahrheit geht es aber auch hier um europapolitische Grundfragen. Die SPD hat die Zeichen der Zeit erkannt und ist bereits mit einem Papier des Vorsitzenden Sigmar Gabriel und von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz vorgeprescht.

Kritik an Merkels Politik

LINKEN-Chef Bernd Riexinger hat die Merkelsche Grundlinie scharf kritisiert. Die europäische Vision der Kanzlerin sei eine EU der »Wettbewerbsfähigkeit«. Das aber laufe auf den »Kampf aller gegen alle mit dem Ergebnis von Massenerwerbslosigkeit in Südeuropa und prekären Zukunftsperspektiven in ganz Europa« hinaus. Merkels Europapolitik sei mithin »eine der Hauptursachen für den Aufstieg von Nationalismus und Rechtspopulismus«, meint der LINKEN-Chef.

Mit Blick auf erkennbaren Differenzen innerhalb der Großen Koalition sagte er, es gehe jetzt »nicht darum, wie schnell der Austritt Großbritannien aus der EU umgesetzt wird«, sondern welche Konsequenzen aus dem Brexit-Referendum für die zukünftige Ausrichtung der EU gezogen werden. Riexinger hat dazu am Montag einige Maßnahmen vorgeschlagen, darunter ein EU-weites Investitionsprogramm in Höhe von 100 Milliarden Euro. Das unterstützt auch der wirtschaftspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Michael Schlecht. »Die ohnehin instabile wirtschaftliche Lage in Europa droht zusammenzubrechen«, sorgt der sich um die ökonomischen Folgen eines Brexits.

Auch sein Fraktionskollege Klaus Ernst fürchtet einen Kollaps mehr als er darin ein Fenster der Möglichkeit sieht – wie es die antikapitalistische Strömung tut. Klar ist auch für Ernst, dass der Preis eines »Weiter so« in einer EU der bloßen Wirtschaftsinteressen sei »der Zerfall der EU«. Doch, sagt der Fraktionsvize, »dieser Preis ist zu hoch«.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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