Wirtschaft
anders denken.

Jünger, weiblicher, vernetzter

Die Digitalisierung greift in alle Arbeitsbereiche, verändert Teams und Prozesse. Gewerkschaften wie die IG Metall müssen sich für die Zukunft rüsten, wollen sie nicht ihre Mitglieder verlieren. Wie das gelingen soll, erklärt die Zweite Vorsitzende Christiane Brenner im Interview.

03.02.2017
Porträt Christiane BennerFoto: IGMetall
Christiane Benner ist Zweite Vorsitzende der IG Metall.

Welche Schwerpunkte setzt die IG Metall, um die Digitalisierung zu gestalten? Werden auch gezielt Mitglieder zum Beispiel unter Crowdworkern geworben?

Christiane Benner: Die Digitalisierung verändert alles: die Art, wie wir wirtschaften, wie wir arbeiten und wie wir unsere Demokratie gestalten. Sie verändert Geschäftsmodelle, Wertschöpfungsketten, Hierarchiestrukturen und Qualifikationsprofile. Crowdsourcing, das Auslagern von Unternehmensaufgaben über das Internet an eine große unbekannte Menge von Menschen, die »Crowd« – nimmt zu. Die IG Metall sieht die Chancen des Crowdworking, will aber die Risiken minimieren. Zu den Chancen gehört, dass Menschen Einkommen erzielen können, die bislang gar keinen oder nur unzureichenden Zugang zum Arbeitsmarkt hatten. Das größte Risiko ist, dass manche Unternehmen grundsätzlich die Strategie verfolgen, Kosten und Risiken auf die arbeitenden Menschen zu verlagern – so wie wir es bereits vom Missbrauch von Leiharbeit oder Werkverträgen kennen. Wir wollen frühzeitig und aktiv die neuen Arbeitsformen gestalten. Dazu gehört einerseits, dass wir die Berufsbilder in unseren Branchen so mit entwickeln, dass sie fit für die Digitalisierung sind. Denn das ist eines der Themen, die unsere jungen Leute in den Betrieben vor allem interessieren: Ist meine Ausbildung so gut, dass sie mir Chancen in der Arbeitswelt der Zukunft bietet? Andererseits haben wir aber auch vor gut einem Jahr ein groß angelegtes Projekt zum Crowdworking gestartet.

Digitalisierung verändert alles: die Art, wie wir wirtschaften, wie wir arbeiten und wie wir unsere Demokratie gestalten.

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Was unternehmen Sie als IG Metall konkret, um Crowdworker zu erreichen und zu organisieren?

Seit 2016 können Solo-Selbstständige Mitglied der IG Metall werden. Außerdem haben wir Michael Six Silberman eingestellt, der in den USA die Plattform Turkopticon entwickelte, auf der Crowdworker ihre Auftraggeber bewerten können. Und wir haben mit seiner Unterstützung die Homepage Faircrowdwork etabliert. Dort können sich Crowdworker über die rechtlichen Rahmenbedingungen informieren und Crowdworking-Plattformen bewerten. Darüber hinaus haben wir Netzwerke gegründet und mehrere Workshops mit Beschäftigten, die internetbasiert arbeiten, durchgeführt. Auch bei den Anbietern der Plattformen gibt es erste gute Ansätze. Mit einigen ist es uns gelungen, freiwillige Verhaltensmaßregeln – »Codes of Conduct« – zu vereinbaren. Wir setzen uns für faire Arbeitsbedingungen für Crowdworker ein.

Was bedeuten die neuen Arbeitnehmergruppen für die Organisation? Sie müsste sich ja sicher auch ändern.

Wir ändern uns als IG Metall ständig. Dass wir beispielsweise Michael Six Silberman als Experten eingestellt haben, zeigt unsere Offenheit für Veränderungen. Wir arbeiten in diesem Bereich sehr vernetzt zusammen. Unlängst hatten wir zum Beispiel eine riesige Transfertagung mit 300 Leuten aus dem gesamten Bundesgebiet, die auch diese neuen Herausforderungen diskutierten.

Wir gehen davon aus, dass sich Arbeit durch die Digitalisierung grundsätzlich verändern wird. Es wird viel vernetzter gearbeitet werden. Crowdsourcing ist die radikalste Form der neuen digitalen Arbeit. Wir wollen verstehen, weshalb Menschen so arbeiten möchten, weil wir auch in unseren normalen Betrieben immer mehr Menschen haben, die ortsunabhängiger und eigenständiger arbeiten wollen. Aus Gesprächen mit den Crowdworkern lernen wir viel.

Auf der Jahrespressekonferenz wurde stolz verkündet, dass sich die Mitgliederstruktur der IG Metall verändere – sie werde jünger und vielfältiger. Wie hoch war der Einsatz dafür?

Die Mitgliederentwicklung ist die Basis erfolgreicher Gewerkschaftsarbeit. Unser Einsatz dafür ist hoch, aber wir wollen ihn weiter verstärken. In den kommenden neun Jahren werden wir zusätzlich 191 Millionen Euro in bezirkliche Erschließungsprojekte investieren.

Auch bei den Frauen kommen wir voran. 20 Prozent aller neuen Mitglieder 2016 waren weiblich.

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Im vergangenen Jahr ist es uns gelungen, bei strategisch wichtigen Zielgruppen zu wachsen: bei jungen Beschäftigten, bei den Studierenden, bei den Frauen, bei Angestellten und in den Ingenieurberufen. 43 Prozent unserer neuen Mitglieder sind unter 27. Wir sehen es als unsere Zukunftsaufgabe, die junge Generation zu organisieren. Es ist uns gelungen, sie zum Thema für die gesamte Organisation zu machen. Dabei werden wir immer erfolgreicher. Wir haben im vergangenen Jahr die Mitgliederzahl der Azubis auf 26.600 gesteigert. Dadurch verjüngt sich unsere Mitgliederstruktur. Bei den Studierenden sind wir sogar um 20 Prozent gewachsen. Mit 44.000 studentischen IG-Metall-Mitgliedern sind wir schon flott unterwegs.

Und auch bei den Frauen kommen wir voran. 20 Prozent aller neuen Mitglieder 2016 waren weiblich. Wir sind optimistisch, dass wir durch unser Engagement diesen positiven Kurs halten können.

Sind die Bemühungen um neue Mitgliedergruppen auch Teil der Strategie, die digitale Arbeitswelt zu gestalten? Das funktioniert ja nur, wenn es in den betroffenen Bereichen auch eine Mitgliederbasis gibt.

Ja, sicher. Unsere starke Verankerung bei den Kolleginnen ist beispielsweise auch deshalb wichtig, weil wir durch die Digitalisierung – vor allem durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz – eine Verschiebung der Berufsfelder im Bürobereich erwarten. Diese Veränderung wollen wir gemeinsam mit den Kolleginnen gestalten.

Das Interview führte:

Anne Graef

Geschäftsführerin Graewis-Verlag

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