Wirtschaft
anders denken.

Die GroKo und 14 Lücken: Was wir nicht aus den Augen verlieren sollten

13.03.2018
GregPlom / Pixabay

Vergessen sind so manche Dinge, die vor vier Jahren schon mal auf der Agenda der Großen Koalition standen. Nun startet die GroKo. Mind the gap between Versprechen und Umsetzung. Eine politische Merkliste.

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Am 18. März ist Equal Pay Day. Gott, ist das langweilig, werden manche denken. Der EPD (so die Abkürzung) – eine unendliche Geschichte. Auf Augenhöhe mit Hauptstadtflughafen und Ausstieg aus der Kohle. Nirgendwo geht es voran. Trotzdem noch mal, weil Penetranz manchmal doch dazu beiträgt, dass Dinge sich ändern: Der EPD markiert den Tag, bis zu dem Frauen umsonst arbeiten, betrachtet man die Lohnlücke gemessen am Durchschnittsbruttostundenlohn. Die Schande wird ja nicht dadurch kleiner, dass sie sich Jahr für Jahr wiederholt.

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Was als Arbeit definiert wird, bleibt seit Ewigkeiten gleich (siehe EPD). Bezahlt muss sie sein, also Arbeitskraft darf nicht verschenkt, sondern muss verkauft werden. Die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag hat ergeben, dass im Jahr 2016 in Deutschland die Arbeitszeit der Erwerbstätigen 59,3 Milliarden Stunden betrug. Das Arbeitsvolumen der Männer belief sich auf 36 Milliarden Stunden, das der Frauen auf 23,3 Milliarden. Nun wissen wir ja, dass Frauen den größten Teil der Haus- und Sorgearbeit erledigen. Zählt aber nicht. Zählte es, wären die Männer abgeschlagen auf Platz zwei.

In Griechenland übrigens arbeiten die Leute laut einer Studie der OECD durchschnittlich 2032 Stunden pro Jahr, das sind fast 45 Prozent mehr als die Deutschen. Die faulen Griechen. Das ist ein Ding.

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Ein Ding ist auch, was eine Expertenstudie ergeben hat. Frauen erhalten im Rentenalter deutlich weniger Geld als Männer, die im Durchschnitt (da, wo die Kuh im Teich ersäuft) im Alter über ein doppelt so hohes Einkommen verfügen. Frauen schneiden sowohl bei der gesetzlichen als auch bei der betrieblichen und privaten Rente schlechter ab (Siehe EPD). In Bayern bekommen mehr als 80 Prozent der Frauen eine Rente unter 1.000 Euro. Dafür ist Bayern aber auch Heimat und bekommt nun ein eigenes Bundesministerium, das darf man nicht vergessen.

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Vergessen sind so manche Dinge, die vor vier Jahren schon mal auf der Agenda der Großen Koalition (Abkürzung GroKo) standen. Die neue Große Koalition hat sich überlegt, wenn sie zum Zuge kommt, die Lebensleistung all jener Menschen, die über mindestens 35 Jahre Beiträge gezahlt haben oder entsprechende Zeiten der Kindererziehung und Pflege aufweisen können, mittels einer »Grundrente« zu würdigen.

Im Koalitionsvertrag 2013 (war auch eine GroKo) nannte sich das große Versprechen »Solidarische Lebensleistungsrente«. Der Plan ist irgendwann im Laufe der vier Jahre in einem schwarzen Loch verschwunden. Mind the gap between Versprechen und Umsetzung.

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Die neue alte GroKo hat sich, noch mehr schöne Sachen überlegt. Das Kindergeld zum Beispiel wird in zwei Schritten um insgesamt 25 Euro pro Kind erhöht. 1,7 Millionen Kinder, die von Leistungen des SGB II (also Hartz IV) leben, werden davon allerdings nichts haben. Kindergeld wird auch weiterhin zu 100 Prozent angerechnet. Aber einkommensschwache Haushalte sollten sich eh überlegen, ob sie sich wirklich Kinder leisten wollen. Auch ein Teil der erwerbstätigen Hartz-IV-Empfangenden (die werden im Volksmund Aufstocker genannt) wird von der Kindergelderhöhung nichts haben. Ist aber Prekariat, also gilt auch für die: Augen auf beim ungeschützten Verkehr.

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Die gleiche GroKo wird in dieser Legislaturperiode, wenn sie erst regieren darf, zusätzlich 5,5 Milliarden Euro in den schulischen Bereich stecken. Das läuft unter Bildungsausgaben. Zwei Milliarden sollen dem Ausbau der Betreuung in Grundschulen dienen, 3,5 Milliarden in den Digitalpakt Schule gesteckt werden. Die durchschnittlichen Bildungsausgaben in den OECD-Ländern liegen bei 5,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. In Deutschland bei 4,3 Prozent. Ist nur eine kleine Lücke, trotzdem fallen viele rein und gleich ganz durch.

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Die Lücke, die David Bowies Tod gerissen hat, wird nie geschlossen. Major Tom kriegt keine Antworten mehr.

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Der Autor Pierre Rimbert hat erklärt (eine Übersetzung des Textes wurde in »Le Monde diplomatique« veröffentlicht), dass der deutsche Wirtschaftsboom, auf den wir uns viel einbilden, ohne die ungleichen Wirtschaftsbeziehungen mit den sogenannten Visegrád-Ländern nicht möglich wäre. Mit dem Fall der Mauer wurden die osteuropäischen Staaten zur verlängerten Werkbank mit niedrigen Löhnen und zum Glück nicht allzu fitten Gewerkschaften. Hilfreich dabei sei der »passive Veredlungsverkehr« gewesen (pVV), eine Regelung, die 1986 eingeführt wurde und erlaubte, dass Mitglieder der EU Zwischenprodukte oder Einzelteile vorübergehend in ein Nichtmitgliedsland ausführen können, um sie dort weiterzuverarbeiten oder veredeln zu lassen und danach zollfrei oder zollvergünstigt in die Heimat reimportieren zu können. Feine Sache.

Dann kamen Freihandelsabkommen und pVV war nicht mehr so wichtig. Stattdessen wuchs die Bedeutung der Ausländischen Direktinvestitionen (ADI). Deutsche Firmen bauten nun ganze Fabriken in osteuropäischen Billiglohnländern. So konnte nebenher auch noch eine Lücke ganz anderer Art geschlossen werden. Hatte es zuvor vielleicht nicht ausreichend Druckmittel gegeben, deutsche Gewerkschaften zu disziplinieren, war die Drohung, woanders Fabriken zu errichten, schon sehr hilfreich. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher konstatierte im vergangenen Jahr: »Für Geringqualifizierte ist der Stundenlohn seit 1990 von zwölf Euro auf neun Euro gesunken.« Was so eine verlängerte Werkbank alles bewirken kann.

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Im Mai wird ein Buch von Franco Berardi (Philosoph und Medientheoretiker) erscheinen, das den Titel trägt »Die Seele bei der Arbeit«. In einem Interview mit dem »Freitag« sagt der Mann: »Das Kapital braucht das kollektive Gehirn bei der Arbeit. Unser Hirn bereichert sich stetig, während es vom Körper zunehmend entbunden ist, weshalb es zu einem leidenden Hirn wird. Die Folgen sind Einsamkeit, Depression, Angstzustände, eine steigende Zahl an Selbstmorden. Umgekehrt ist der Körper zunehmend vom Gehirn getrennt, weshalb er ausflippt, ein dementer Körper, ein faschistischer Körper, ein sexistischer Körper wird.« Sollte es gelingen, die Programmierung der neuen Technologie nicht dem Kapital zu überlassen, bestünde die Möglichkeit, der Hölle zu entkommen. Dagegen allerdings gehen Giganten wie Amazon …

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… mit Krawall vor. Der Moloch entwickelt ein Armband, um die ärgerlichen Lücken bei der Überwachung seiner Mitarbeitenden schließen zu können. Zwei Patente für ein solches Totalüberwachungsgerät sind laut »New York Times« angemeldet. Mit dem Armband ließe sich jede Bewegung einer Mitarbeiterin nachvollziehen. Sitzt sie am Arbeitsplatz oder hockt sie auf dem Klo? Das Armband soll Handbewegungen genau erfassen können. An der Tastatur sind das halt andere als auf einer Toilette.

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Für Langzeitarbeitslose wäre ein Job bei Amazon mit seinen Big-Brother-Methoden vielleicht trotzdem eine Alternative. Im November 2017 waren das in Deutschland immerhin rund 862.000 Menschen, davon waren 151.000 länger als fünf Jahre arbeitslos. Tatsächlich wäre es sehr mutig, auch dies als Argument zu nehmen, ernsthaft über ein Grundeinkommen zu diskutieren und nicht andauernd so zu tun, als sei Vollbeschäftigung erstens möglich und zweitens das Nonplusultra. Allerdings ist es nicht einfach, mit Gewerkschaften über so was zu sprechen. In etwa so kompliziert, wie Gänsen beizubiegen, dass Weihnachten ein schönes Fest ist.

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Der Kapitalismus muss sich seine Käufer noch immer kaufen. André Gorz hatte Recht. Das Internet der Dinge wird aber für erheblichen Schub sorgen. In diesem Jahr wird in Deutschland ein Marktvolumen von 24,5 Milliarden Euro erwartet, 2020 sollen es dann schon 50,1 Milliarden sein. Wäre das Internet ein Land, hätte es laut einer Studie von Greenpeace den weltweit sechstgrößten Stromverbrauch. Tendenz steigend. Wenn wir erst alle komplett smart sind, wird es keine Wissenslücken über uns als Konsument*innen mehr geben. Aber wir werden es lieben, wenn unser Toaster intelligenter ist als wir, denn …

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… einer Umfrage zufolge, die der Wirtschaftsinformatiker Tim Weitzel (Universität Bamberg) gemacht hat, findet es ein Drittel der Bewerber gut, von einem Roboter ausgewählt zu werden. Denn: Der Algorithmus diskriminiert nicht. Zumindest nicht, solange wir im Rahmen der Normen bleiben, mit denen er gefüttert wurde. Warum Weitzel ausschließt, dass auch ein Algorithmus, der ja von Menschen gemacht wird, allergisch auf ausländische Namen bei Bewerber*innen reagieren könnte, bleibt noch ein bisschen offen. Es gibt Trost in allem, denn …

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… ganz transparent ist nur die Leere. Auch das Internet und die, die es im Wesentlichen besitzen und beherrschen, werden immer mal wieder auf Wissenslücken über uns stoßen. Und sei es, weil wir tapfer und ohne Payback-Karte unsere Schlüpfer analog kaufen.

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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