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1968 plus Elektrifizierung der Meinungsäußerung: die FAZ-Formel für den »Autoritätsverfall«

27.01.2018
Tom Ordelman, Lizenz: CC BY-SA 3.0Antiautoritäre in Kreuzberg

Die FAZ hat jetzt die Formel für den endgültigen Untergang der guten alten Zeit enthüllt – den Autoritätsverfall. Motto: 1968 plus Elektrifizierung der Meinungsäußerung lassen die SPD taumeln und am Ende profitiert die AfD davon. Ein paar Anmerkungen dazu.

Die Sache klingt zunächst wie das Aufspringen auf einen fahrenden Zug, auf dem Dobrindt und andere schon etwas länger gegen die Achtundsechziger und die mit ihnen in Verbindung gebrachte kulturelle Modernisierung lärmen. Eck­art Loh­se bringt in der FAZ nun aber eine bestimmte konservative Sehnsucht noch auf einen anderen Punkt: eben den der Autorität als eine – das muss man hier wörtlich nehmen – die herrschenden Verhältnisse stützendes Bauwerk, als individuelle Fähigkeit zur Führung und als kollektive Bereitschaft zur Folgsamkeit, zur Unterwerfung.

1968 plus Internet ist gleich Anarchie

Warum geht es der SPD so schlecht? Lohse bringt dafür »die struk­tu­rel­le Ero­si­on von Au­to­ri­tät« in Stellung, »die ih­ren Aus­gangs­punkt vor fünf Jahr­zehn­ten in ei­ner ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lung hat­te und seit zehn Jah­ren auf ei­ne smar­te Tech­nik trifft, die ge­eig­net ist, den Pro­zess er­heb­lich zu be­schleu­ni­gen«. Zwar könne man auch individuelles Versagen attestieren, es komme aber »et­was Grund­sätz­li­ches hin­zu«: eben die verschwindende Bereitschaft, die Autorität von Führungspersonal »anzuerkennen«.

In diesem Wort steckt der Teufel, denn es geht mit der Frage schwanger, was da und warum anzuerkennen sein könnte. Autorität kann man haben durch Herrschaftsbeziehungen, gewinnen durch Charisma und zugewiesen bekommen durch Vereinbarungen.

Der letztgenannte Modus verknüpft dabei heute in der Politik Person und Programm. Menschen werden idealerweise gewählt, ein Amt auszuführen, dabei auch und für alle Entscheidungen zu treffen, die wiederum aber auf einem demokratisch ermittelten Konsens beruhen. Das ist in der Wirklichkeit meist komplizierter und widersprüchlicher. Zum Beispiel, wenn in einer Partei sich zwei wenig kompatible Ansichten zu einer Grundsatzfrage gegenüberstehen.

Die Peitsche und der sadomasochistische Charakter

Lohse radiert diese Verknüpfung aus Person und Programm aber aus, indem er am Beispiel von »guten Autoritären« wie Gerhard Schröder behauptet, diese seien »nicht am in­halt­li­chen Ver­sa­gen« gescheitert, »son­dern am Wi­der­wil­len sei­ner Par­tei, sich füh­ren zu las­sen«. Ist Schröder gescheitert? Und wenn ja: War der Gegenwind aus der Partei, der sich an der Agenda 2010 entzündete, etwa bloß ein Defekt, der die »natürliche« Ordnung aus Führern und Geführten in der Sozialdemokratie störte?

Lohse offenbart in seinem Mahnschreiben auf seltsame Weise auch, was die Frankfurter Schule schon vor Jahrzehnten über Autorität wusste – dass so etwas nur funktioniert, wenn da eine Menge an autoritären Persönlichkeiten bereit ist, sich »führen zu lassen«. Es liege nicht in der Disposition von Leute wie Martin Schulz, anderen »peit­schen­schwin­gend Lust aufs Re­gie­ren« zu machen, findet Lohse – und man denkt: Erich Fromm hatte die Begriffe »sadomasochistischer Charakter« und »autoritärer Charakter« noch synonym verwendet.

In der Kritik Lohses an der wankenden SPD, die hier zuvörderst eine Kritik am Wanken ist, nicht an sozialdemokratischen Inhalten, werden zugleich die »Boll­wer­ke der kol­lek­ti­ven oder in­di­vi­du­el­len Macht­aus­übung« sichtbar, deren möglichst uneingeschränkte Autorität sich der FAZ-Mann zurückersehnt.

Starker Juso-Kühnert – wegen schwachem SPD-Schulz

Die SPD taumele »un­ter schwa­chen oder er­ra­ti­schen An­füh­rern durch die po­li­ti­sche Ge­gend«, findet Lohse – und nicht etwa, weil sie programmatisch keinen Fuß mehr nach dem anderen zu setzen weiß, sondern in den Tag hinein pragmatisiert. Grund für die Situation der Sozialdemokraten soll nicht etwa die tatsächlich blöde Lage zwischen Jamaika-Aus, Erneuerungsbedürfnis, GroKo-Trauma und dem Schwinden der politökonomischen Ressourcen nationalstaatlicher Politik sein – sondern es sei Schwäche. Lohse beklagt, dass sich Schulz oder andere so wenig »trauen«.

Und auch die NoGroKo-Kampagne der Jusos hat nicht etwa deshalb einigen Erfolg, weil das Sondierungsergebnis schlecht, die strategischen Fragen der SPD unbeantwortet und das Erneuerungsversprechen einer alten Garde unglaubwürdig ist. Sondern, so Lohse, weil diese alte Garde »ebendas vermissen lässt: Führung«. Eine Politik des Mutes, der durchgreifenden Hand, der Stärke wird hier ersehnt – also Autorität gegen die Langsamkeit demokratischer Entscheidungsprozesse in Stellung gebracht.

An einer Stelle lässt Lohse durchblicken, wem die Klage am »Autoritätsverfall« eigentlich gilt: Angela Merkel. Es sei zwar »grundsätzlich« so, dass die gewählten Autoritäten in der Union »noch mehr anerkannt« seien als in linken Parteien. Aber das »noch« und das »grundsätzlich« markieren die Befürchtung, es könnte auch in der Union demnächst damit vorbei sein.

Kirche, Militär, Familie und Schule als gefährdete Bollwerke

Es ist sicher kein Zufall, dass Lohse in dem Bemühen, seiner Diagnose etwas Allgemeines zu geben, Kirche, Militär, Familie und Schule als Beispiele für weitere »Phänomene des Autoritätsverfalls« aufzählt. Indem die Bastionen der alten Ordnung als gefährdet beschrieben werden, wächst die alte Ordnung selbst immer höher zum (wieder) erstrebenswerten Ziel. Damals, ach, die gute alte Zeit.

So entsteht vor Lohses geistigem Auge eine Welt, in der »Lehrer-Bashing« grassiert, wo Soldaten zu hippiesken Irrlichtern mutieren, weil sie in Zimmern mit Fernsehern übernachten, wo Pfarrer nur noch Entertainer sind und Eltern angeblich insgeheim betrauern, nicht strenger gewesen zu sein – eine dem Untergang geweihte Welt, in der der Pöbel auch noch mitreden, sich eine eigene Meinung erlauben darf.  (Eine Art der Anarchie, die »durch ständige Aufforderungen zur Teilnahme an noch so absurden ›Votings« befördert« werde.)

Eine schräge Pointe bei dem Ganzen ist, dass Lohse hier eine kulturelle Entwicklung, eine gesellschaftliche Modernisierung auch noch für den Aufstieg der Rechtsaußenpartei AfD verantwortlich macht – und da ist er dann nicht so weit entfernt von denen, die behaupten, es liege an einer identitätspolitischen Verengung der Linken, wenn sich nun frühere Anhängerschaften in Richtung AfD verabschieden.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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