Wirtschaft
anders denken.

Der Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods und der Beginn des großen neoliberalen Umbruchs

23.07.2018
Tagungsort Mount Washington Hotel

1973 scheiterte die in Bretton Woods geschmiedete Weltwährungsarchitektur. Ein Blick zurück ist sinnvoll, denn in den politischen und ökonomischen Gegenbewegungen zu Freihandel und Neoliberalismus scheint sich heute eine neue Zäsur in der Geschichte der kapitalistischen Weltwirtschaft anzukündigen. Ein Text aus dem OXI-Schwerpunkt »1973« in der Juli-Ausgabe.

Wenn wir uns mit dem Ende der in dem kleinen Ort Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire 1944 vereinbarten Weltwirtschaftsordnung, oder genauer: Weltwährungsarchitektur auseinandersetzen, ist es sinnvoll, von Bretton Woods 1944 bis zum Ende dieser Konstellation 1973 einen Blick zurück in die Handels- und Währungsgeschichte des Kapitalismus vor Bretton Woods zu richten und danach die Entwicklung nach 1973 zu skizzieren.

Wir sehen dabei mehrere Zeitabschnitte mit unterschiedlichen Konstruktionen des Welthandels und der Währungsarchitektur. Das kann einen Blick in die Zukunft möglich machen, weil sich heute in den politischen und ökonomischen Gegenbewegungen zu Freihandel und Neoliberalismus eine neue Zäsur in der Geschichte der kapitalistischen Weltwirtschaft anzukündigen scheint.

1. Die Vorgeschichte von Bretton Woods

Hier unterscheide ich zwei historische und politökonomische Konstellationen. Das war zum Ersten die Zeit vom Beginn des 19. Jahrhundert bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914. In dieser Zeitspanne waren die meisten Währungen in den kapitalistischen Gesellschaften noch durch Gold gedeckt. Zeitweilig gab es Ausnahmen davon, so in England bedingt durch die Kriege mit Napoleon.

Da in dieser Phase Gold zugleich das einzig akzeptierte Weltgeld war, wurde der Außenhandel mit Gold abgewickelt. Darüber konnten sich Handelsüberschüsse und -defizite ausgleichen, weil bei starkem Goldabfluss, also bei einem Handelsbilanzdefizit, bei dem die Importe mit Gold zu bezahlen waren, oder einem Goldzufluss durch einen Exportüberschuss die Ungleichgewichte durch die Zinspolitik der Notenbanken gedämpft werden konnten. Stieg der Diskontsatz, wurde die Nachfrage nach Importgütern gedämpft und in der Folge ging auch der Export zurück.

Diese Prozesse waren mit Wirtschafts-, Kredit- und Währungskrisen verbunden, deren Folgen in erster Linie die abhängig Beschäftigten, also die arbeitenden Klassen zu tragen, hatten. Die Kapital- und Vermögensbesitzer waren stark genug, ihre Interessen durchzusetzen. Trotz des Goldstandards musste es in der Weltwirtschaft eine Leitwährung mit einem festen Wechselkurs zum Gold geben. Diese Währung war das englische Pfund, weil damals Großbritannien die am weitesten entwickelte kapitalistische Gesellschaft war und über entsprechende politische und militärische Macht verfügte.

Dieser internationale Goldstandard endete 1914 mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs, weil die Kosten des Krieges die Ablösung von der Golddeckung des Geldes notwendig machten. Diese Zäsur führte zum zweiten Abschnitt der weltwirtschaftlichen Entwicklung.

Der Geldbedarf der Kriegsfinanzierung war so groß, dass eine Golddeckung des umlaufenden Geldes unmöglich wurde. Erst Mitte der 1920er Jahre wurde wieder versucht, insbesondere durch England, Frankreich und die USA, zum Goldstandard zurückzukehren. Die Beibehaltung des Goldstandards lief wegen der beschränkten Goldreserven einerseits und einer stark wachsenden Wirtschaft andererseits auf eine deflationäre Geldpolitik der Notenbanken, schwaches oder stagnierendes Wirtschaftswachstum und entsprechend hohe Arbeitslosigkeit hinaus.

In dieser Zeit konnte sich auch wegen des Scheiterns des Versuchs, dem britischen Pfund eine Golddeckung zu unterlegen, keine neue Leitwährung durchsetzen und es kam zu einem Multiwährungssystem der wichtigen Industriegesellschaften. In den großen europäischen Gesellschaften waren die nationalen Arbeiterbewegungen bereits so stark, dass sich eine deflationäre Geldpolitik gegen den politischen Einfluss der Arbeiterbewegung im demokratisch verfassten Staat nicht mehr ohne Weiteres durchsetzen ließ. Auch stützte das nach 1918 durchgesetzte Arbeits- und Sozialrecht die Rechtsposition und die Handlungsbedingungen der Gewerkschaften. Das wurde im Deutschen Reich nach 1929 zwar anders, aber das basierte auf der Selbstblockade der deutschen Arbeiterbewegung und der institutionellen Schwäche des demokratischen Staats.

Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932 waren die Versuche, den Goldstandard durchzusetzen, faktisch gescheitert, auch wenn dieser in Frankreich noch länger galt. In dieser Zeitspanne war die auf der Golddeckung des Geldes beruhende regelgebundene Geldpolitik nicht mehr möglich und es kam zum Übergang in eine diskretionäre, auf bestimmte wirtschaftliche Konstellationen wie Inflation und hohe Arbeitslosigkeit spontan reagierende Geldpolitik ohne klares Konzept.

Es war daher auch die Zeit einer regen Diskussion über Geld- und Kreditschöpfung aus dem Nichts, die es in der Praxis als Giralgeldschöpfung bereits früher gab, die aber erst in den 1920er Jahren breiter thematisiert wurde. Bereits mit der von den Geschäftsbanken praktizierten Giralgeldschöpfung wurde die Bindung an das Gold als Basis des Geldes gelockert und machte sich nur noch in den Wirtschaftskrisen als »Umschlag des Kreditsystems in das Monetarsystem« (Marx) geltend.

Mit der Weltwirtschaftskrise kam es nicht nur zur Ablösung des Goldstandards, sondern auch zur Auflösung der damit verbundenen internationalen Währungsordnung. Die Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg wurde durch eine nationalstaatliche und auch wohlfahrtsstaatliche Gegenbewegung zum internationalen Kapitalismus geprägt und durch eine darauf folgende Konzentration auf den Schutz und Ausbau der nationalen Ökonomien, ein Prozess, der auf unterschiedlichen Wegen, vom amerikanischen »New Deal« bis zum deutschen und italienischen Faschismus, möglich war. Bereits in der Spätphase des Zweiten Weltkriegs war es den dominanten Mächten, den USA und Großbritannien, klar, dass ein politisch nicht reguliertes marktradikales Weltwirtschaftssystem mit zu großen Risiken verbunden war.

2. Bretton Woods – der Versuch einer neuen Architektur der Weltwirtschaft

Bereits vor der internationalen Konferenz in Bretton Woods hatte John M. Keynes sein Konzept einer »Clearing Union« mit einem internationalen Kunstgeld, dem »Bancor«, vorgelegt. Mit der Clearing Union sollte ein Ausgleich der Außenhandelsüberschüsse und -defizite durchgesetzt werden. Die Länder mit chronischen Exportüberschüssen sollten für ihre Überschüsse mit einer Art Strafzinsen sanktioniert werden. Außerdem sah Keynes harte Kapitalverkehrskontrollen vor.

Keynes konnte sich damit bekanntlich nicht durchsetzen. In den Verträgen von Bretton Woods wurde ein liberales Weltwirtschaftssystem mit festen Wechselkursen und eher schwachen Kapitalverkehrskontrollen beschlossen. Als Ausgleich zwischen den Wirtschaftsnationen wurden ein Internationaler Währungsfonds zur Stabilisierung wirtschaftlich schwacher Länder und die Weltbank als Entwicklungs- und Investitionsbank beschlossen.

Zugleich konnte sich statt einer internationalen Währung der US-Dollar als Leitwährung mit einer Golddeckung im Hintergrund eta­blieren. Die USA versprachen, US-Dollars mit dem Kurs »1 US-Dollar für eine Feinunze Gold« einzutauschen. Später wurde diese Zusage dahingehend verändert, dass nur noch die Zentralbanken anderer Länder ihre Dollars in Gold tauschen konnten.

Diese versprochene Golddeckung stabilisierte zunächst die Rolle des US-Dollars als Leitwährung, erwies sich später aber als wunder Punkt des Systems, weil sie einer expansiven Wirtschaftspolitik und den damit verbundenen Defiziten in der Leistungsbilanz und beim Staatshaushalt Grenzen setzte, die 1971 dazu führten, dass Richard Nixon den Tausch von Dollars gegen Gold beendete.

Unter dem Strich schufen die Vereinbarungen von Bretton Woods ein hybrides System zwischen freien Märkten und staatlichen Kapitalverkehrskontrollen. Die Rolle der »Konjunkturlokomotive« für den kapitalistischen Weltmarkt fiel den USA zu, die diese zunächst mit dem Marshallplan auch übernahmen.

3. Das Scheitern von Bretton Woods

In den 1950er Jahren führten die Leitwährungsrolle des US-Dollar und die Exportüberschüsse zu starken Investitionen in den übrigen Ländern, wovon vor allem Deutschland und Japan profitierten und schrittweise Exportüberschüsse aufbauten. Gleichzeitig überdehnten die USA die Funktion ihrer Leitwährung durch eine expansive Fiskalpolitik. Das waren einerseits die enormen Militärausgaben für den Vietnamkrieg, aber auch Lyndon Johnsons Sozialpolitik (»Great Society«).

Diese expansive Geldpolitik führte zu einer höheren Inflation, die wiederum dazu führte, dass es wegen der restriktiven Geldpolitik in Deutschland und Japan mit niedrigen Inflationsraten zur Herausbildung erster Ansätze eines Multiwährungssystems (US-Dollar, ­D-Mark­ und Yen) gekommen ist.

Dahinter stand der wirtschaftliche Aufstieg Japans und Deutschlands. Deutschland blieb bei seiner an einer niedrigen Inflationsrate orientierten Politik einer Unterbewertung der D-Mark, um dadurch Wettbewerbsvorteile zu erhalten. Damit kam es zur Schwächung der ökonomischen Macht der USA durch die beiden aufstrebenden exportorientierten Ökonomien: Deutschland und Japan.

Die Weigerung der Regierungen und der Notenbanken dieser Länder, eine expansive Wirtschaftspolitik umzusetzen, führten zur Überdehnung der Lokomotivfunktion der USA für die kapitalistische Weltwirtschaft. Da die USA ihre expansive Finanzpolitik nicht begrenzen konnten, hatte der Goldstandard keine Basis mehr. Faktisch war es nicht der Goldstandard, der den Wert des umlaufenden Geldes stabilisiert hatte, sondern die Funktion des US-Dollar als Leitwährung und Weltgeld.

1973 kam es zum endgültigen Ende der Währungsarchitektur von Bretton Woods, als der US-Dollar-Kurs wegen des hohen Leistungsbilanzdefizits der USA nicht mehr zu halten war und Deutschland und Japan sich weigerten, durch ihre Zentralbanken mit Deviseninterventionen den US-Dollar zu stützen. Dadurch wurden die Wechselkurse faktisch freigegeben und es kam zur Abwertung des US-Dollar.

Die Europäer installierten ihre eigene »Währungsschlange« mit der harten D-Mark als Leitwährung, ein System, das später zum Europäischen Währungssystem (EWS) ausgebaut wurde. In diese Zeit fiel dann der erste »Ölpreisschock«, also die drastische Verteuerung eines wichtigen Rohstoffs. Die deutsche Bundesbank reagierte mit deutlicher Erhöhung der Leitzinsen und verschärfte damit die Wirtschaftskrise 1974 in Deutschland erheblich, währen die USA das Defizit durch den gestiegenen Ölpreis in ihrer Leistungsbilanz bis 1979 akzeptierten, was zu einer höheren Inflation führte und die internationale Wettbewerbsposition der USA weiter verschlechterte.

Mit dem Vertrag von Rambouillet im November 1975 verständigten sich die großen Industrieländer auf eine Freigabe der Wechselkurse und die Abschaffung der Kapitalverkehrskon­trollen. Damit stärkten sie den Einfluss der Kapitalmärkte und die Rolle der Kapitalflüsse bei den Schwankungen der Wechselkurse.

Das führte zur fiskalpolitischen Disziplinierung der Nationalstaaten durch die Finanzmärkte und zum Aufstieg des Monetarismus als neuer geldpolitischer Leitdoktrin. Bemerkenswert ist, dass die deutsche Bundesbank als Erste den Monetarismus als Modell ihrer Geldpolitik übernommen hatte, während die USA, aus denen der Chefideologe des Monetarismus Milton Friedman kam, erst 1979, durch die von Paul Volcker durchgesetzte drastische Erhöhung der Leitzinsen (»Volcker-Schock«) dem monetaristischen Modell einer restriktiven Geldpolitik folgten, um die hohe Inflation mit Erfolg zu bekämpfen.

Das wiederum trieb die USA 1981/82 in eine schwere Wirtschaftskrise, die bis 1985 dauerte. Damit hatte sich das Prinzip freier Märkte gegenüber einer staatlichen Steuerung der Marktprozesse durchgesetzt. Dadurch wurden die materiellen Voraussetzungen für den ideologischen Siegeszug der monetaristisch und neoklassisch fundierten marktradikalen Wirtschaftsdoktrin geschaffen.

Wenn wir im historischen Rückblick die Erosion und das Scheitern der Weltwährungsarchitektur von Bretton Woods bilanzieren, stellt sich die Frage, ob dieser Prozess hätte vermieden werden können.

Der entscheidende Mangel dieser Vereinbarungen war, dass sich Keynes mit seinen Vorschlägen einer internationalen Kunstwährung und damit der Befreiung von den Fesseln des Goldstandards nicht durchsetzen konnte. Auch hätte eine Clearing Union den Aufstieg und die Risiken eines nationalen Handelsmerkantilismus, wie er von Deutschland und Japan durchgesetzt wurde, zumindest gebremst.

Möglicherweise hätte eine expansive Wirtschaftspolitik dieser »Störenfriede« oder »Trittbrettfahrer« der Weltwirtschaft die Leistungsbilanzdefizite der US-Ökonomie verringert und damit einen sanften Ausstieg aus der Abhängigkeit der USA von der Einlöseverpflichtung des US-Dollar ermöglicht und dadurch Spielräume für die Entwicklung einer neuen Weltwirtschaftsordnung mit stärkeren Regulierungen durch die Staaten geschaffen.

Nach 1973 hätten auch versucht werden können, das Modell fester Wechselkurse neu zu regeln. Das hätte aber eine stärkere Kon­trolle der Kapitalströme und zugleich eine kooperative Haltung von Deutschland und Japan erfordert.

Heute stehen wir vor einer ähnlichen Zäsur, weil die Phase einer politisch nur schwach regulierten Globalisierung zu Ende zu gehen scheint. Wieder ist es Deutschland, das sich bis heute in diesen Fragen besonders uneinsichtig zeigt und sich einer Korrektur seines radikalen Handelsmerkantilismus widersetzt. Dabei wird die Bundesregierung von einer extrem rückwärtsgewandten Variante der neoklassischen Wirtschaftsdoktrin unterstützt. Eine spürbare politische Opposition gegen die deutsche Freihandelsideologie gibt es nur in ersten Ansätzen. Die Sozialdemokratie, aber auch die Gewerkschaften gehören nicht dazu.

Michael Wendl ist Ökonom, Soziologe, Gewerkschafter und Mitherausgeber der Zeitschrift »Sozialismus«, er war Mitglied  der SPD, trat dann zur Linkspartei über –  und ist inzwischen wieder bei den Sozialdemokraten organisiert. Von ihm erschien unter anderem: »Machttheorie oder Werttheorie. Die Wiederkehr eines einfachen Marxismus«  (bei VSA Hamburg).

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