Wirtschaft
anders denken.

50 Jahre Mehrwertsteuer, 50 Jahre »Umverteilung von Arm zu Reich«

28.12.2017
OXI

Zum 50. Geburtstag der Mehrwertsteuer würde eine Debatte über die Wirkung dieser indirekten Abgabe auf Menschen mit geringeren Einkommen gut tun. Sogar die FAZ spricht von Umverteilung nach oben. Eine Senkung der Mehrwertsteuer würde dagegen Arme wirklich entlasten.

Seit 1. Januar 1968 wird in der Bundesrepublik die Mehrwertsteuer erhoben. Zuletzt machte die Abgabe vor allem wegen ihrer absurden Regeln immer mal wieder Schlagzeilen – ob der ermäßigte Satz von 7 Prozent fällig wird oder der volle Satz von 14 Prozent erschließt sich der Vernunft heute nicht immer sofort und machmal überhaupt nicht.

Größere politische Wellen erzeugte die letzte Anhebung dieser wichtigsten der indirekten Steuern 2007 von 16 auf 19 Prozent und die Reduzierung der Mehr­wert­steu­er für Ho­tel­über­nach­tun­gen von 19 auf sie­ben Pro­zent im Jahr 2010. In dem einen Falle hatte der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder eine Anhebung vor der Wahl 2005 kategorisch ausgeschlossen – sie kam dennoch. In dem zweiten Fall sprachen selbst zurückhaltende Beobachter von einem Geschenk der schwarz-gelben Koalition an die Hotellobbyisten.

Kommt nun wieder etwas Wind in die Debatte? Grund gebe es, denn erstens ist der Anteil der Mehrwertsteuer am Gesamtaufkommen zuletzt immer weiter zurückgegangen. Und zweitens belastet sie vor allem Menschen mit geringeren Einkommen.

Unlängst wies auch die »Frankfurter Allgemeine« auf ein paar Probleme hin. »Manch ein Un­ter­neh­men macht so­gar ein rie­si­ges Ge­schäft mit der Mehr­wert­steu­er – durch Be­trug. Durch Schein­ge­schäf­te er­hal­ten sol­che Fir­men ver­meint­lich ge­zahl­te Vor­steu­er vom Fis­kus zu­rück. Ein Mil­li­ar­den­pro­blem.« Und weiter: »Wie selbst­ver­ständ­lich wird da­bei im­mer nur von ei­ner Re­du­zie­rung der Ein­kom­men­steu­er ge­spro­chen. Ei­ne Sen­kung der Mehr­wert­steu­er ha­ben die gro­ßen Par­tei­en hin­ge­gen schon lan­ge nicht mehr ge­for­dert. Da­bei wür­de das viel mehr Leu­te ent­las­ten als ei­ne nied­ri­ge­re Ein­kom­men­steu­er. Und vor al­lem wür­de es der Ziel­grup­pe mehr hel­fen.«

Das Blatt erinnert zudem an eine verteilungspolitisch wichtige Leerstelle in der ganzen Debatte: »Bei der Mehr­wert­steu­er fin­det ei­ne Um­ver­tei­lung von Arm zu Reich statt.« Dies werde oft ver­ges­sen, »wenn ge­lobt wird, dass die Ein­kom­men­steu­er die Rei­chen über­durch­schnitt­lich be­las­te und da­mit ei­ne Um­ver­tei­lung von oben nach un­ten be­deu­te. Nimmt man bei­de Phä­no­me zu­sam­men, gibt es zu­min­dest nach Mei­nung des DIW nur noch we­nig Um­ver­tei­lung. Fast al­le zahl­ten un­ge­fähr so viel, wie es ih­rem Ein­kom­men ent­spricht.«

Wie als Reaktion darauf hat sich nun das unternehmensnahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln zu Wort gemeldet: Wenn eine neue Regierung die Bürger »wirklich entlasten will«, solle sie nicht etwa eine Senkung der Mehrwertsteuer, sondern vor allem an eine Senkung bei der Einkommensteuer denken. Das IW Köln argumentiert dabei unter anderem mit dem Hinweis, dass sich bei einer Senkung der Mehrwertsteuer »jedoch die Frage« stelle, »inwieweit diese kurzfristig bei den Bürgern ankommt«.

Das Problem hatte auch die FAZ auf dem Radar: Es sei »nicht klar, ob die Ein­zel­händ­ler die End­prei­se wirk­lich in glei­cher Hö­he sen­ken wür­den. Im schlimms­ten Fall wür­de die Re­du­zie­rung die Ge­win­ne der Händ­ler er­hö­hen, aber für die Ver­brau­cher kei­ne Ent­las­tung brin­gen.« So sei das auch bei der Mövenpick-Steuer geschehen, also dem Absenken des Satzes für Hotelübernachtungen. Einen anderen Aspekt nennt die Zeitung auch, er ist eher politischer Natur und zielt auf die Frage, wie sehr eine Senkung der Mehrwertsteuer im Alltag überhaupt auffallen würde. »Kaum ei­ner dürf­te ein Ge­fühl da­für ha­ben, wie viel er je­des Jahr beim Ein­kau­fen an den Fis­kus zah­len muss«, so die »Frankfurter Allgemeine«.

Auf die Wortmeldung des IW Köln hat inzwischen auf der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, reagiert. Es sei »Ideologie«, wenn die Kölner aus einer Grafik, welche die abnehmende Bedeutung der Mehrwertsteuer gegenüber der Einkommenssteuer beim Gesamtaufkommen zeige, »eine Forderung für eine Senkung der Einkommensteuer (sprich: Entlastung vor allem der Besserverdiener) und gegen eine Entlastung bei der Mehrwertsteuer abzuleiten«.

Fratzscher hatte schon zuvor mehrfach für eine Senkung der Mehrwertsteuer aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit plädiert. »Würden die Einkommensteuersätze verändert, könnte man damit die Menschen mit geringen Einkommen nicht entlasten, denn sie zahlen kaum oder keine Einkommensteuer«, so Fratzscher zum Beispiel im vergangenen Mai auf »Zeit online«. Ein Absenken der Mehrwertsteuer »wäre hier der bessere Ansatz. Für Menschen mit mittleren Einkommen würde eine Reduzierung der relativ hohen Sozialbeiträge helfen, wogegen Menschen mit hohen Einkommen am ehesten von einer geringeren Einkommen- und Unternehmensbesteuerung profitieren würden.«

Damit ist auch schon die Verteilung der materiellen Interessen grob skizziert – sie findet sich auch in der aktuellen Debatte über Steuern und Sozialabgaben. Gern machen dabei die Gutverdiener und die Lobby der Unternehmen geltend, sie würden schon einen hohen Anteil am Gesamtsteueraufkommen leisten. Fratzscher hält dagegen fest, es gebe »keine überzeugenden Anzeichen, dass das deutsche Steuersystem für die Mehrheit der Deutschen besonders ungleich ist« – mit einer entscheidenden Ausnahme: Die 25 Prozent der Geringverdiener »werden steuerlich relativ stark belastet«.

Ähnlich haben das auch schon Fratzschers Kollegen vom DIW immer wieder vorgerechnet. »Mit Blick auf aktuelle steuerpolitische Diskussionslinien fällt vor allem die hohe Belastung geringer und mittlerer Einkommen mit indirekten Steuern auf«, heißt es etwa in einer Kurzstudie von Stefan Bach, Martin Beznoska und Viktor Steiner von Ende 2016. Dadurch werde »das Existenzminimum von Haushalten mit geringen Einkommen besteuert. Das widerspricht dem Leistungsfähigkeitsprinzip, nach dem nur disponible Einkommen jenseits des Grundbedarfs besteuert werden sollen«, so das DIW weiter.

Dass stattdessen aber eher die Mehrwertsteuer – wie 2007 – angehoben wird, dafür findet sogar die FAZ klare Worte: »Und es kommt noch schlim­mer für die Ar­men: Wenn die Po­li­tik Geld braucht, er­höht sie am liebs­ten die Mehr­wert­steu­er, weil das we­ni­ger auf­fällt.« 1968 lag die Mehrwertsteuer übrigens noch bei 10 Prozent. Der seit 1968 schon aus sozialpolitischen gründen ermäßigte Steuersatz wurde seit 1983 nicht mehr erhöht. Sie hat den Vorteil, relativ stabil zu fließen – das Einkommensteueraufkommen kann in Krisenzeiten einbrechen, der mit der Mehrwertsteuer belastete Konsum bleibt demgegenüber in der Regel vergleichsweise stabil.

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