Wirtschaft
anders denken.

Die Plurale Ökonomik kommt – erstmal rhetorisch

13.11.2016
Foto: himberry / photocase.dePlurale Ansätze stoßen auf offene Ohren, trotzdem überwiegt der Mainstream.

Die Kritik der Studierenden am ökonomischen Mainstream, die im Jahre 2000 in Frankreich ihren Anfang nahm, ist angekommen. Zumindest in den Köpfen der Lehrenden. Wie die neue Studie EconPLUS des Netzwerkes Plurale Ökonomik und der Universität Kassel zeigt, verharrt die tatsächliche Lehre jedoch weitgehend im Mainstream. Was kann getan werden, um das zu ändern?

Schon 1992 forderten zahlreiche ÖkonomInnen, darunter namenhafte NobelpreisträgerInnen, in einer Anzeige im American Economic Review mehr Pluralismus in der Ökonomik. Eine Kritik, die im Jahre 2000 auch französische und 2003 Studierende in Deutschland formulierten, indem sie eine »Öffnung der VWL« forderten. Eben jene kritischen Studierenden – mittlerweile nannten sie sich Netzwerk Plurale Ökonomik – schrieben 2012 einen offenen Brief an den Verein für Sozialpolitik (VfS). Sie forderten unter anderem Theorie- und Methodenvielfalt in Forschung und Lehre, reflexive Fächer wie die Geschichte des ökonomischen Denkens, mehr Interdisziplinarität sowie vielfältigere Lehrbücher. Diese Forderungen entsprangen nicht nur dem Wunsch nach einer »besseren« Wissenschaft. Es ging auch darum, die ökonomischen Grundlagen, die Denkmuster hinter dem wirtschaftlichen Handeln der Gesellschaft, zu verändern. Wie, so der Tenor, sollen angesichts komplexer und zunehmender Krisen neue Wege beschritten werden, wenn das, der Gesellschaft zugrundeliegende (ökonomische), Denken stets in den gleichen Kategorien stattfindet und neue Blickwinkel kategorisch ausgeblendet werden: So mögen Marktmechanismen unter gewissen historischen und institutionellen Umständen gut funktionieren, Commons basierte Ansätze aber mindestens ebenso. Auch der Blick auf reproduktive, noch immer größtenteils von Frauen geleistete, Arbeiten spielen – wenn überhaupt – nur eine randständige Rolle; und ökologische Aspekte werden einer zunehmend kritisch zu sehenden Wachstumsfixierung untergeordnet oder ausgeblendet. Die Vernachlässigung all dieser Aspekte durch die moderne Makroökonomik eignet sich gut, um das Problem auf den Punkt zu bringen: Wenn Generationen von Studierenden der Volkswirtschaftslehre immer wieder Wachstum, technischen Fortschritt und marktbasierte Lösungen gepredigt bekommen, auf dem Commons-, Reproduktions- oder Postwachstumsauge aber blind sind, wie sollen sie jemals diesen konventionellen Denkweg verlassen, sei es als späteres Mitglied der Gesellschaft oder als ForscherIn?

Wie einseitig ist das Denken?

Um zu überprüfen, ob der VfS, respektive die einzelnen Hochschulen auf die Kritik reagierten, initiierte das Netzwerk Plurale Ökonomik 2014 das Forschungsprojekt EconPLUS. Gemeinsam mit der Universität Kassel und mit finanzieller Förderung der Hans-Böckler-Stiftung sollte empirisch überprüft werden, wie plural die volkswirtschaftliche Lehre in Deutschland ist. Hierfür wurden sowohl die Lehrenden befragt als auch die Modulhandbücher und Vorlesungsunterlagen der Bachelor-Grundlagenfächer, also Einführung in die VWL, Mikroökonomik und Makroökonomik, ausgewertet. Die Ergebnisse liegen nun vor: Sie zeigen, dass die befragten ÖkonomInnen zwar eine gewisse Offenheit gegenüber pluralen Ansätzen hegen, die Umsetzung in plurale Lehre aber kaum stattfindet. Die Studie zeigt, dass Modulhandbuchbeschreibungen und faktische Lehre (Lehrmaterialien und Lehrbücher) weitgehend korrespondieren und von Begriffen und Konzepten dominiert werden, die der modernen Neoklassik zugerechnet werden können. Fächer wie Geschichte des ökonomischen Denkens oder Wissenschaftstheorie sind nicht genuin Teil der Lehre, sondern werden – wenn überhaupt – nur an einzelnen Universitäten gelehrt. Ein überraschendes Ergebnis der Studie ist, dass in der Befragung der Lehrenden deutlich wird, dass es eine gewisse Sympathie gegenüber der Kritik des Netzwerkes Plurale Ökonomik gibt und dass viele glauben, bereits plural zu lehren. Fakt ist aber: Die Lehre hängt weiterhin in der Neoklassik fest. Man könnte vielen Lehrenden jetzt vorwerfen, dass die vermeintliche Offenheit nur Rhetorik sei, in Wirklichkeit aber keine Absicht bestehe, irgendetwas zu verändern. Es gibt jedoch auch eine andere mögliche Erklärung für die mangelhafte Umsetzung von Vielfalt: MainstreamökonomInnen haben tatsächlich den Eindruck, bereits plural zu sein, etwa durch die Integration von Verhaltensökonomik oder die Einführung des neuen Online-Lehrbuches CORE. EconPLUS zeigt die Grenzen eines solchen Gedankens, indem es die Persistenz der Neoklassik herausarbeitet und klar macht: Pluralismus ist nicht gleich Pluralismus. So erforschen MainstreamökonomInnen zwar neue Ränder des Mainstreams, vor allem im Bereich der Verhaltens- und der experimentellen Ökonomik. Das reicht jedoch nicht. In den meisten Fällen werden tradierte (wissenschaftliche) Denkmuster nicht verlassen: Optimierungsansätze und marktbasierte Lösungen, Wachstum und Effizienz stehen weiterhin im Vordergrund. Ein genauerer Blick in die Daten von EconPLUS, etwa in die Lehrveranstaltungsunterlagen der Makroökonomik, offenbart die fast schon unverschämte Blindheit gegenüber anderen Theorien: Feministische Ökonomik, Postkeynesianische Theorien oder Ökologische Ökonomik sind de facto nicht Teil der Lehre. Mit Spannung kann hier auf die Ergebnisse einer von Jakob Kapeller derzeit durchgeführten Untersuchung der paradigmatischen Ausrichtung der Forschung deutschsprachiger Ökonom*innen gewartet werden. Hier sieht es vermutlich auch nicht besser aus als in der Lehre.

Plurale Ökonomik etablieren

Trotz immenser Fortschritte, etwa der Debatte über Pluralismus in zahlreichen deutschen Tageszeitungen, oder einer zunehmenden Bereitschaft seitens der Lehrenden, die Lehre plural aufzustellen, scheint die Veränderung sehr lange zu dauern. Denn, so das ernüchternde Ergebnis der Studie: Modulhandbücher, Lehre und Lehrbücher verharren weiterhin weitgehend im Mainstream. Was muss also passieren, damit die Veränderung weitergeht und vielleicht sogar an Tempo zunimmt?

Erstens muss klar sein, dass es einen sehr langen Atem braucht sowie vielfältiger und gut vernetzter Akteure – auch jenseits der Studierendenbewegung – bedarf (siehe hierzu den Beitrag von Samuel Decker auf oxiblog.de), um die ökonomischen Grundlagen unserer Gesellschaft zu verändern. Das bedeutet aber auch, stets wachsam zu bleiben, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten und Transparenz über die Vorgänge an den Hochschulen herzustellen. Es muss überprüft werden, ob »plurale Versprechungen« eingehalten werden. Wichtig ist hierbei, dass wir, die pluralen Ökonom_innen, weiter daran arbeiten, unser Pluralismusverständnis zu schärfen und von einem verwässerten Pluralismusansatz á la CORE oder »Wir machen doch schon Verhaltensökonomik« klar zu trennen. Das in kürze online vorgestellte Projekt Exploring Economics des Netzwerkes Plurale Ökonomik ist ein gutes Beispiel für die Tiefe und Vielfalt, die unserem Pluralismusverständnis innewohnt.

Zweitens zeigt die Studie EconPLUS Mechanismen auf, die für eine pluralere Ausgestaltung der Lehre hilfreich sein können. Das betrifft erstens die Förderung pluralismusfreundlicher Einstellungen bei den Lehrenden, etwa durch Diskussionsrunden mit ProfessorInnen, Vortragsreihen uvm. Hier sind die Lokalgruppen, die sich im Netzwerk zusammenschließen, bereits sehr aktiv und verändern erfolgreich das Denken der Lehrenden. Zweitens die Entwicklung pluraler Lehrmaterialien. Einen sehr guten Beitrag liefert hier die Lehrbuchrezension des FGW, hier gibt es aber noch viel Spielraum, vor allem was Vorlesungsunterlagen, plurale Module oder Lehrbücher betrifft. Drittens ist hier v.a. die Erhöhung der Freiheitsgrade in der Lehre eine zentrale Weichenstellung, etwa durch Erhöhung des Wahlpflichtanteils (bzw. der Verringerung des Pflichtteils), das zusätzliche Angebot von Fächern mit erweiternder Perspektive und vor allem durch die Rücknahme der in den Modulhandbüchern gegebenen Standardisierung der Lehrinhalte zugunsten einer größeren Entscheidungsmöglichkeit für die Studierenden. Die Masterstudiengänge der Universität Siegen und der Cusanus Hochschule gehen hier wegweisend voran und entwickeln neue Curricula mit pluralen Inhalten.

Die Studie EconPLUS hat gezeigt, dass der Ruf nach Pluralismus in den Köpfen der Lehrenden an deutschen Universitäten angekommen ist und es zumindest Bemühungen und kleine Teilerfolge gibt, die Lehre umzugestalten. Die Bewegung kritischer Studierender, die im Jahre 2000 in Frankreich ihren Anfang nahm, ist lebendiger denn je, kreativ und zunehmend vernetzt, auch international. Der Mainstream wankt, die Plurale Ökonomik kommt. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Geschrieben von:

Christoph Gran

Netzwerk Plurale Ökonomik

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