Wirtschaft
anders denken.

Karoshi: Erneut ein Todesfall durch Überarbeitung in Japan

06.10.2017
Dick Johnson, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Karoshi, der Tod durch Überarbeitung: Wieder ist in Japan ein Mensch wegen zu starken Arbeitsstresses gestorben. Der Fall wirft ein neues Schlaglicht auf die eine Lohnarbeitskultur, die von Unterwerfung bis zum Ende gekennzeichnet ist.

In Japan ist eine junge Journalistin gestorben – an Überarbeitung, wie der öffentlichen Sender NHK nun einräumt. Die 31-jährige Politikreporterin hatte 159 Überstunden in einem Monat gemacht und war im Juli 2013 tot in ihrem Bett gefunden worden. In dem Monat vor ihrem Tod hatte sie nur zwei Tage frei. Karoshi – der plötzliche berufsbezogene Tod kommt in Japan häufig vor, offiziell werden von der Regierung zwar nur wenige Hundert Fälle pro Jahr als Folge von Überarbeitung anerkannt, was eine Voraussetzung für die Geltendmachung von Entschädigungszahlungen bei Unternehmen und Versicherungen ist. Doch die Dunkelziffer wird in Berichten mit über 10.000 Toten pro Jahr angegeben – ein Teil davon geht auf Suizide aufgrund von Arbeitsstress zurück, diese werden Karojisatsu genannt.

Der Tod der 31-Jährigen hat nun die japanische Öffentlichkeit noch einmal besonders aufgewühlt, denn der Sender NHK gehörte zu den Medien, die den Stress, die horrende Arbeitsbelastung und die enorme Zahl an Überstunden kritisch zum Thema gemacht hatte. Dabei waren aber andere Unternehmen im Blick – dass auch bei NHK der Arbeitsdruck tödliche Ausmaße hat, kommt nun auch noch verzögert ans Licht. Die Reporterin erlitt ihren Herzanfall bereits vor vier Jahren, die Behörden ordneten den Fall ein Jahr später als Karoshi ein, aber der Sender machte die Sache erst vier Jahre später öffentlich.

Ein Viertel der Beschäftigten macht mehr als 80 Überstunden

Inzwischen gibt es Untersuchungen, die Licht in die Todeszone Lohnarbeit bringen. Die Regierung in Tokio ließ zwischen Dezember 2015 und Januar 2016 rund 10.000 Firmen und rund 20.000 Mitarbeiter befragen – ein Ergebnis: 23 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, dass einige Mitarbeiter mehr als 80 Überstunden im Monat leisteten. Dieser Wert gilt auch als Grenze, ab der offiziell Arbeitsbelastung anerkannt wird.

»Begünstigt wird dies durch eine in Japan traditionell hohe Arbeitsdisziplin, aber auch durch den Druck auf Arbeitnehmer, sich ganz den ökonomischen Interessen ihrer Firma zu unterwerfen. In extremen Fällen kann dies zum völligen Verlust der Identität führen«, heißt es zur Erklärung beim Berliner Gesundheitsportal.

Die Tokioter Gewerkschafterin Hifumi Okunuki sprach vor einigen Monaten im Sender ntv davon, dass das japanische Wirtschaftswachstum sich vornehmlich auf hart arbeitende Angestellte stütze. »Die Mitarbeiter opfern sich regelrecht auf für ihre Firmen und stellen alle anderen Interessen und auch alle sozialen Kontakte in den Hintergrund. Die Älteren machen es den Jüngeren vor. Die strenge Hierarchie lässt jüngeren Arbeitnehmern wenig Spielraum, diese Verhaltensmuster aufzubrechen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als sich diesem Rhythmus anzupassen. Solange die Älteren nicht nach Hause gehen, tun sie es auch nicht. Und dann arbeiten alle bis zum späten Abend und treffen sich am nächsten Morgen wieder. Dann beginnt alles von vorne.«

Gefährliches Verständnis von Prestige und Anerkennung

Was treibt die Menschen? Einerseits die Totalität der Lohnarbeitsmühle, die Müßiggang oder nichtbetriebliche Tätigkeiten geringer schätzt – auch materiell. Es gehe zudem um ein fatales Verständnis von Prestige und Anerkennung: »Aufgeben gilt als große Schande, als ein Versagen im Leben. Aber niemand sieht, welches Leid oft dahinter steckt, das häufig genug ja auch tödlich endet«, so Okunuki.

Der erste so auch bezeichnete Karoshi-Fall war der eines  29-Jährigen, der 1969 an seinem Arbeitsplatz in einer Versandabteilung einer Zeitung plötzlich  an Herzstillstand starb. Seit den späten 1980er Jahren führen die Behörden Statistiken über den plötzlichen berufsbezogenen Tod. Diese sind aber offenbar ungenau: Laut der oben genannten Regierungsstudie erkannte das Arbeitsministerium in dem Untersuchungszeitraum 93 Fälle von Suizid oder versuchtem Suizid in Folge von Überarbeitung an – laut öffentlicher Daten waren in dem Gesamtjahr aber über 2.100 Suizide registriert worden.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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