Wirtschaft
anders denken.

Wird Hartz bloß umbenannt, wirklich reformiert, etwas gelockert? Der OXI-Überblick

12.04.2018
Bernd Schwabe , Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die SPD will Hartz loswerden – nicht das System, sondern das schlechte Licht, das Sanktionen, Armutssätze und Angstpolitik auch auf die Sozialdemokraten lenkt. An der Grundidee »Fordern und Fördern« will man aber festhalten.

Die Diskussion über das Hartz-System, vor allem um die umstrittenen Sanktionen für Erwerbslose und die Höhe des Regelsatzes, wird nun auch in der SPD lebhafter. Ob dabei und welche Änderungen an den bisherigen Regeln herauskommen, wird man abwarten müssen. Die Debattenlage oszilliert zurzeit um drei Punkte: Erstens die Idee eines solidarischen Grundeinkommens, eine Art öffentlich geförderter Arbeitsmarkt; zweitens die Frage, wie mit den weithin kritisierten Sanktionen verfahren wird, also den Strafen für Hartz-Beziehende und drittens, ob eine und welche Anhebung der Regelsätze kommen könnte.

Sich anschauen, ob etwas getan werden könnte

Letzteres hat jetzt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in der »Zeit« in Aussicht gestellt: »Ich schaue mir das an, was wir bei den Grundsicherungssätzen tun können«, sagte der SPD-Politiker, der davon sprach, die »Lebensperspektiven der Menschen« zu verbessern. Derzeit liegt der Regelsatz bei 416 Euro im Monat für einen Alleinstehenden.

Nach Äußerungen von CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn über das Leben unter Hartz-Bedingungen und die Frage, wann Armut beginnt, positionieren sich die Sozialdemokraten hier nun gewissermaßen als Opposition in der Regierung – allerdings bleibt alles sehr unkonkret. Dass die Regelsätze zu niedrig sind für eine echte Teilhabe an einem Leben, das nicht nur aus Essen und Wohnen besteht, dürfte allgemein anerkannt sein. Die Herleitung der Höhe der Regelsätze, also die Berechnungsverfahren, stehen schon länger in der Kritik. Wohlfahrtsverbände und die Linkspartei haben verschiedene Forderungen nach einer Anhebung gestellt. Heil sagt nun lediglich, er schaue sich das an.

Der zweite Punkt sind die Sanktionen, auch hier hat sich Heil geäußert. 2017 lag die Zahl der Strafen gegen Hartz-IV-Beziehende laut Bundesagentur für Arbeit bei knapp 953.000. Der SPD-Arbeitsminister erklärte nun, er werde mit Blick auf die Grundsicherung prüfen, »welche Sanktionen noch sinnvoll sind«. Damit ist zweierlei gesagt: Erstens, dass Heil grundsätzlich an der Idee festhält, Menschen mit Sanktionen zu disziplinieren.

Die »Zeit« gibt ihn mit den Worten indirekt wieder, Kürzungen seien grundsätzlich in Ordnung, weil die Gesellschaft eine Gegenleistung erwarten könne für Unterstützung, die sie gewähre. Wovon sich Heil verabschieden könnte, ist die Ungleichbehandlung von Jüngeren und der Umgang mit Wohngeld im Hartz-Strafsystem. Er »halte es nicht für sinnvoll, dass – wie es derzeit der Fall ist – für Jüngere strengere Regeln gelten als für Ältere. Oder dass das Wohngeld gekürzt wird und die Leute auf der Straße stehen.«

SPD will an Prinzip »Fordern und Fördern« festhalten

Es zeichnet sich ab, dass die neue SPD-Spitze grundsätzlich am Prinzip »Fordern und Fördern« festhält. Hier wird sicher nun um Interpretationen gerungen, im kritischen Rückblick auf die Agenda-Reformen kann man viel über Fordern lernen, aber wenig über das Fördern. Nahles sagt nun: »Früher hatten wir für Sozialhilfeempfänger keine aktivierenden Arbeitsmarktmaßnahmen«, stattdessen habe es einen Sozialstaat gegeben, der vielen Menschen gar kein Angebot mehr gemacht habe. In der »Frankfurter Rundschau« pochte sie darauf: Fordern und Fördern war eine Verbesserung gegenüber einem Zustand, in dem es hieß: ›Du bleibst in der Sozialhilfe – egal, was du willst‹.« Allerdings stimmt auch Nahles einer möglichen Reform der Sanktionen für Jüngere zu: »Verschärfte Sanktionen für junge Menschen sind keinesfalls sinnvoll, aber eine generelle Abschaffung von Sanktionen halte ich für schwierig.«

Laut Reuters begründete sie dies auch mit dem Argument, wer Steuern und Abgaben entrichte, könne vom Staat verlangen, dass dieser genau hinschaue, wie damit umgegangen werde. Wobei man sich umgehend fragt, warum diese Logik nur gegenüber Erwerbslosen gelten soll – der Umgang mit Steuergeldern etwa beim Bau verkehrspolitisch und ökologisch fragwürdiger Prestigeprojekte würde man sich ja auch »genaues Hinschauen« wünschen.

Das Thema Sanktionen wird ein Streitpunkt in der Großen Koalition werden. Aus der Union kam prompt Ablehnung: »Wir halten an den Sanktionen im SGB II fest«, erklärte Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe gegenüber der »Rheinischen Post«. »Wer die Solidarität der Gemeinschaft zur Sicherung seiner Lebenshaltungskosten in Anspruch nimmt, für den gibt es auch die Verpflichtung zur Mitwirkung. Mitwirkungspflichten ohne Sanktionen machen keinen Sinn.« Wer den Anspruch auf Mitwirkung aufgebe, gebe letztlich den Anspruch auf, Menschen zur eigenverantwortlichen Lebensführung befähigen zu wollen, so der CDU-Mann.

Was sagen Experten?

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat im  vergangenen Jahr einen Überblick über qualitative Studien in Deutschland zusammengestellt, die sich mit den Auswirkungen von Sanktionen im SGB II befassen. Insgesamt zeigen die hier aufgelisteten Expertisen, wie stark die »nichtintendierten« Sanktionsfolgen sind: »von mangelnder Ernährung über familiäre Spannungen bis zum Verlust der Wohnung«, auch würden »Sanktionen die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten erheblich« verringern und so weiter.

Die Frage, ob die behauptete Logik der Sanktionsbefürworter, dass also mit bürokratischem Druck und materieller Disziplinierung die »Mitwirkung« bei der Suche nach einer Lohnarbeit befördert wird, steht im Fokus anderer Studien. Eine davon widmete sich jüngeren Erwerbslosen, erschien im vergangenen Jahr und kam zu dem Ergebnis: »Junge Hartz-IV-Bezieher beginnen nach Sanktionen wegen Pflichtverletzungen schneller eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Nicht-Sanktionierte. Allerdings können die Sanktionen auch zum Rückzug vom Arbeitsmarkt führen.«

Hinzu kommt, dass das Sanktionsregime praktisch auch eine Lohnsenkungsmaßnahme ist: Bei den Bestraften falle »der Lohn bei einer Beschäftigungsaufnahme im Durchschnitt geringer aus als bei den Nicht-Sanktionierten. Personen in Singlebedarfsgemeinschaften verdienen im ersten Job nach der ersten Sanktion rund fünf Prozent weniger, Personen in Mehrpersonen-Bedarfsgemeinschaften rund drei Prozent weniger.« Die Forscher des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das an die Bundesagentur angegliedert ist, nennen »vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse … eine Reform des Sanktionssystems denkbar, die sehr einschneidende Leistungsminderungen durch Sanktionen vermeidet, aber Anreize zur Arbeitsuche aufrechterhält«.

Gibt es Alternativen?

Eine vollständige Abschaffung der Sanktionen in Hartz IV fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband anlässlich der heute von der Bundesagentur für Arbeit vorgestellten Statistik. Notwendig sei eine komplette Neuausrichtung der Grundsicherung. Der Verband kündigt an, innerhalb der kommenden zwei Wochen ein eigenes Konzept zur Reform von Hartz IV vorzulegen.

Auch die Linkspartei äußerte sich zu den neuen Zahlen über Sanktionen. Diese »zeigen, wie unmenschlich das Hartz IV-System ist«, sagte die Vorsitzende Katja Kipping. »Während die Bundesregierung gegenüber Reichen und Konzernen stets nachsichtig ist, wird den Menschen, die wenig haben, nichts, aber auch gar nichts gegönnt.« Sie erneuerte die Forderung ihrer Partei nach »Abschaffung von Hartz IV und für eine sanktionsfreie Mindestsicherung in Höhe von 1.050 Euro im Monat«.

Der Sozialverband VdK Deutschland verlangte auch spürbar höhere Hartz-Leistungen. Die Erhöhung der Regelsätze sei ein wirksames Mittel im Kampf gegen Armut, da die bisherigen Regelsätze künstlich kleingerechnet sind und nicht das Existenzminimum abdecken, wurde VdK-Präsidentin Ulrike Mascher in der dpa zitiert. Bei korrekter Herleitung der Regelsätze müssten diese um circa 20 Prozent angehoben werden.

Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat mit Blick auf die Debatte über ein solidarisches Grundeinkommen und mögliche Hartz-Korrekturen im nd »eine radikale Vereinfachung« empfohlen: »Man könnte als Bedingung für einen Anspruch auf Hartz IV einfach festhalten, dass man mindestens zwölf Monate lang arbeitslos sein muss und – wie derzeit auch – zur Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen muss. Dies würde den Kontrollbedarf und die juristischen Konflikte reduzieren.«

Laut Horn wären die Änderungen für die Betroffenen »gravierend. So wäre das Einkommen von anderen Haushaltsmitgliedern irrelevant. Auf diese Weise würden auch Menschen in den Genuss von Hartz IV kommen, deren Haushaltseinkommen derzeit über dem zulässigen Wert läge, aber dies kann als Prämie für jahrelanges Einzahlen in die Arbeitslosenversicherung gesehen werden. In gleicher Logik würden aufgebaute Vermögen geschont, die in der Regel ohnehin nicht allzu hoch sein dürften.«

Im Ergebnis verschlechtere sich durch diese Reform niemand, »wohl aber werden langjährige Einzahler in die Sozialversicherung besser gestellt. Damit wird ein wesentlicher Grund für den Streit um Hartz IV ausgeräumt. Es bestünde damit die Chance, die gesellschaftlichen Konflikte um eine soziale Grundsicherung zu entschärfen«, so Horn. »Bedingungslos wäre das neue Hartz IV zwar nicht, aber fair, weil es geleistete Beiträge in Rechnung stellt.«

Hartz als Symbol für eine angstmachende Politik

Horn spricht hier eine Frage an, die über die Sozialpolitik, die Finanzierung, den Druck und die Sanktionen hinausgeht: Hartz als Symbol für eine angstmachende Politik, die mit »repressiver Verantwortlichkeit« einhergeht (Spoo), ein Ausfluss neoliberaler Formen der Individualisierung: Menschen werden für ihr ökonomisches Schicksal vollständig verantwortlich gemacht, das sie in Wahrheit nur in engen Grenzen selbst bestimmen können.

Wer das nicht schafft, »versagt«, Zugang oder Ausschluss vom Erwerbsarbeitsmarkt werden nicht mehr als politische Angelegenheiten gedeutet, sondern in moralische Kategorien – und hier setzt ja auch der Gedanke der Sanktionen an, die prinzipiell unterstellen, hier sei jemand zu faul, zu träge, unwillig. Hinzu kommt: Der SPD wird Hartz als Symbol ewig am Bein hängen, selbst wenn in der Partei kleinere Korrekturen durchsetzbar sind, verweist der Name allein schon auf die Agenda-Jahre und damit den Bruch mit einem relevanten teil der Anhängerschaft (die Verwandlung zur Marktsozialdemokratie hatte schon viel früher stattgefunden).

Auch hier sagt Arbeitsminister Heil etwas dazu: Er »distanziert sich auch vom Begriff« Hartz, meldet die »Zeit« vorab. »Der muss weg, ganz klar.« Er »erlebe, dass dieser Begriff polarisierend und vergiftend wirkt. Er steht inzwischen für ein bestimmtes Menschenbild, für eine Spaltung der Gesellschaft, und das halte ich für problematisch. Insofern würde ich sagen: Es wäre gut, wenn wir auf ihn verzichten. Politik lebt auch von Symbolen.« Interessant ist daran eigentlich nur, dass der SPD-Politiker recht unverhohlen ausspricht, dass es ihm nicht etwa darum geht, die tatsächlichen materiellen Bedingungen zu verändern, die am Hartz-System kritisiert werden, sondern dieses lediglich umzubenennen – also Symbolpolitik zu betreiben.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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