Wirtschaft
anders denken.

Linke Wirtschaftspolitik? Über die Maßstäbe und das Zurechtrücken

08.09.2018
OXIEinfache Lösung wird es nicht geben.

Zu den Evergreens der politischen Vorurteile gehört die Behauptung, die gesellschaftliche Linke besitze keine »Wirtschaftskompetenz«. Das ist interessengeleiteter Unsinn. Und doch wird man nicht bloß in die Vergangenheit zurückkönnen. Anmerkungen zu Thomas Fricke und linker Wirtschaftspolitik.

Thomas Fricke hat eine Lanze für linke Wirtschaftspolitik gebrochen. »Wenn man die Liste der ganz großen Wirtschaftsprobleme unserer Zeit durchgeht – von Wohnungsnot bis Reichtumsgefälle -, fällt auf, dass so gut wie keins davon mit den leicht brachialen konservativ-wirtschaftsliberalen Rezepten der vergangenen Jahrzehnte zu lösen sein wird. Also von rechts.«

Sein begrüßenswertes, auch weil auch in einem großen, also reichweitenstarken Onlineportal veröffentlichtes Plädoyer knüpft an zwei Haltepunkten an: Erstens am Hinweis, dass es einmal eine Zeit in der Bundesrepublik gab, in der zu den weithin akzeptierten wirtschaftspolitischen Vorstellungen gehörte, »dass es etwa für Banken eine strikte Kontrolle braucht, Wechselkurse besser offiziell festzulegen sind (um Spekulation zu stoppen) und nicht überall immer alles dereguliert werden musste« – und damals nicht eben Linksradikale an der Regierung waren.

Seit den 1970er Jahren habe sich das geändert – da »plötzlich wieder Leute ankamen und behaupteten, dass die Welt viel besser sein wird, wenn man (mal wieder) alles Mögliche privatisiert und den Staat abbaut und den Finanzmärkten möglichst freien Lauf lässt. Bis am Ende der kollektiven Gehirnwäsche fast alles als irgendwie links wirkte, was nicht zufälligerweise den Reichen und Wohlhabenden diente«. Soweit der kleinste gemeinsame Nenner linker Kritik am ökonomischen Mainstream.

»Ein Nacktschnecken-Movement«

Der zweite Ankerpunkt, an dem Fricke seine Kolumne aufspannt, ist die Internetbewegung »Aufstehen«, die da unter anderem als »ein Nacktschnecken-Movement« bezeichnet wird – worum es aber Fricke geht: Zumindest den Ansatz in Schutz zu nehmen, das wirtschaftspolitische Ruder herumzureißen. Was dazu in dem Sammlungsaufruf steht, ist eher dünn, was sicher mit dem Hinweis erklärt werden würde, die programmatische Selbstfindung stehe noch an.

Dass Sahra Wagenknecht mehr von Ökonomie versteht als andere Spitzenpolitiker, wie Fricke meint, ist sicher auch nicht falsch. Richtig ist freilich ebenso, dass gerade wirtschaftspolitische und ökonomietheoretische Vorstellungen der Linksparteipolitikerin durchaus auch von links kritisiert wurden – man denke an die Debatte um »die eigenartige Begeisterung von Sahra Wagenknecht für Ludwig Erhard« rund um die Veröffentlichung ihres »Reichtum ohne Gier«-Buches vor ein paar Jahren (etwa hier und hier, hier hat Wagenknecht darauf geantwortet)

Schaut man sich die Passagen aus dem Gründungsaufruf von »Aufstehen« an, die eine Ahnung vom wirtschaftspolitischen Horizont geben können, findet man im Wesentlichen eine Miniaturausgabe des Linksparteiprogramms, als Ziel werden da unter anderem aufgelistet »sichere Jobs, gute Löhne, gerechte Steuern und ein erneuerter starker Sozialstaat in einer innovativen Wirtschaft«, auch geht es um »Naturverträglich wirtschaften, Ressourcen schonen«, Privatisierungen sollen gestoppt und rückgängig gemacht werden.

»Gemeinwohl ist wichtiger als Rendite«

Auch den Satz, »Gemeinwohl ist wichtiger als Rendite«, unterschreiben sicher viele. An anderer Stelle wird man eher in Streit kommen, auch – und nur darum geht es hier zunächst – bei wirtschaftspolitischen Fragen. Man lese dazu beispielsweise in der aktuellen »Sozialismus« die kritische Auseinandersetzung von Alexander Recht mit Überlegungen von Wolfgang Streeck, der einer der Ideengeber von »Aufstehen« ist.

Fricke selbst umläuft einen dieser Punkte, »wenn deutsche Sparer heute keine Zinsen mehr bekommen und ehrwürdige deutsche Banken kriseln, als wären sie schlecht geführte Tante-Emma-Läden, hat das ja nur sehr bedingt mit dem diesbezüglich viel bemühten EZB-Präsidenten Mario Draghi zu tun«, schreibt er. Mindestens die Sache mit den Niedrigzinsen und der angeblichen Enteignung hat Wagenknecht so oft wie Hans-Werner Sinn intoniert. Auch was den politischen Rahmen angeht, in welchem man »den Markt« wieder politisch, institutionell, regulierend einzuhegen gedenkt, oder mit Blick auf einige Widersprüche, denen auch linke Wirtschaftspolitik nicht aus dem Weg gehen kann, werden die Kontroversen erst noch kommen, wenn man genauer weiß, wer da was vorschlägt.

Ein Punkt wiederum ist jetzt schon klar: Die meisten Schwierigkeiten werden erst deutlich, wenn man in die Lage kommt, mit linker Wirtschaftspolitik auch praktisch zu werden. Das ist kein Argument gegen sie, es beschreibt nur die Lage. Zu den Evergreens der politischen Vorurteile gehört die Behauptung, die gesellschaftliche Linke besitze keine »Wirtschaftskompetenz«. Was auch immer das sein soll – die Leute haben eine feste Meinung dazu.

Wem die Leute zutrauen, »die Wirtschaft voranzubringen«?

Auf die Frage, welcher Partei sie am ehesten zutrauen, »die Wirtschaft in Deutschland voranzubringen«, antworten die Leute seit Jahrzehnten: der Union. Die SPD folgt in deutlichem Abstand und die »Wirtschaftskompetenz« von Linkspartei und Grünen rangiert in solchen Umfragen meist nahe Null. Gerade erst ist wieder so eine Umfrage ausgewertet worden. Wem die Leute am ehesten zutrauen, »die Wirtschaft voranzubringen«? Ausgerechnet der Union, auch wenn die im Vergleich zum Herbst 2017 bei diesem Kompetenzfeld Federn lassen muss. Die Mitte-Links-Parteien bleiben unter ferner liefen.

Das hat Folgen für jede linke Veränderungsperspektive: Sie hat um eine Glaubwürdigkeit noch zu ringen, weil diese nicht allein aus der Tatsache resultiert, dass viele Menschen den Status quo auch kritisch sehen – sie müssen noch davon überzeugt werden, dass eine Alternative auch ein ökonomisches Fundament hat. Was verteilt und zur gesellschaftlichen Gestaltung unter sozialen, ökologischen, gerechten und internationalistischen Vorzeichen verteilt und investiert werden soll, muss vorher »erwirtschaftet« werden.

Darauf zu setzen, dass »genug Geld da ist«, reicht jedenfalls nicht aus. Dies aus zwei Gründen: Erstens, weil eine solche Perspektive zu eng ist und am Ende sogar darauf hoffen müsste, dass die Reichen reich und die Unternehmensgewinne hoch bleiben – denn das wäre ja auch künftig die zentrale Ressource linker Politik. Wollen wir das? Zweitens, weil die realen Verhältnisse hoch komplex sind, und wer zum Beispiel über die stark ungleiche Verteilung von Vermögen hierzulande redet, meist nur nach oben guckt – und nicht nach unten oder in die Mitte. Das aber ist ein Problem, denn auch viele Arbeiter und Angestellte haben inzwischen Wohneigentum oder setzen auf kapitalmarktgedeckte Alterssicherung. Linke Alternativen müssen also mitdenken, wie Gesichtspunkte des Vermögensbesitzers auch in diesen sozialen Gruppen größere Handlungsrelevanz erlangen könnten – denn das schlägt sich womöglich in Zustimmung oder Ablehnung nieder.

»Höchste Zeit, die Maßstäbe mal wieder zurechtzurücken«

Das sind nur zwei Punkte, man kann das auch anders sehen – aber es wäre ja gut, wenn die Debatte darüber lauter würde. Auch darüber, was dann praktisch, in welchen Schritten umgesetzt werden könnte und dennoch als linke Wirtschaftspolitik erkennbar bleibt.

Man müsste mehr über Industriepolitik in einer sich ziemlich schnell und gravierend verändernden Welt von Produktion und Dienstleistungen reden, auch weil schwere Folgen für Beschäftigte und Regionen absehbar sind. Es wäre zum Thema zu machen, von welchen Normativen zum Beispiel Umverteilungspolitik ausgeht, welchen Wert man Lohnarbeit beimisst, welche Rolle der Primärverteilung, und welche der Art des Wirtschaftens überhaupt. Wir bräuchten mehr und schlauere Debatten über wirklichen Umbau von Produktion, darüber, ob es Feuerzeuge mit Musik wirklich geben muss, über gesellschaftliche Gebrauchswertorientierung, über die Frage, ob man es wirklich im Jahr 2018 noch für »besser« halten kann, dass das Steak auf dem Teller immer größer wird, ob nicht doch »mehr freie Zeit« eine sinnvollere Parole wäre, darüber, wie die Frage der Reproduktion der Gattung endlich auf Platz 1 rückt und die Produktion von Waren dort verdrängt, darüber, dass öffentliche Investitionen nicht fortan unsinnige Mobilitätsformen durch breitere Autobahnen und Pannenflughäfen verlängert. Und so weiter und so fort.

Und: linke Wirtschaftspolitik wird es sich nicht leisten können, nur bis zur nächsten Grenze zu blicken, nicht nur die Wertschöpfung ist längst international verknüpft, auch die Folgen der kapitalistischen Produktionsweise sind es – von der Klimafrage bis zur globalen Gerechtigkeit spannen sich da viele Fragen auf. Auch die nach den weltweiten Kosten einer Politik, die aus der einen Perspektive sich für links halten mag, es aus der anderen, internationalen, aber nicht wäre, weil zwar hier ein paar Dinge etwas gerechter und ökologischer würden, an den kolonial-durchsetzten globalen Verhältnissen und ihren ungerechten und klimaschädlichen Folgen sich aber wenig ändern würde.

»Höchste Zeit, die Maßstäbe mal wieder zurechtzurücken«, mit diesem Plädoyer lässt Fricke seine Kolumne enden. Völlig richtig, wenn das auch heißt, die Realität und die Folgen der Wirtschaftspolitik kritisch im Blick zu behalten, die als »Standard« galt, bevor jene, heute meist als »neoliberal« bezeichnete Periode begann, die »uns womöglich einen Großteil der Probleme ja erst gebracht« hat.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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