Wirtschaft
anders denken.

Alte Autokultur, neue Mobilität: Zwei Studien über den tieferen Wandel hinter dem Abgasskandal

06.05.2018

»Der Dieselskandal läutete die vielleicht letzte Runde des Verbrennungsmotors ein«, heißt es in einer aktuellen Studie über Alternativen zum bisherigen Produktions- und Mobilitätsmodell in Sachen Auto. Was bedeutet dieser Technologiewechsel? Und wie groß sind die Optionen, daraus einen sozialen und ökologischen Neustart zu machen? Blick in zwei neue Veröffentlichungen. 

Der Dieselskandal macht neue Schlagzeilen, dem früheren Vorstandschef Martin Winterkorn, liest man nun überall, »drohe im Extremfall der Verlust seines gesamten Vermögens. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Braunschweig unter anderem wegen Betrugsverdachts stehe vor dem Abschluss«, so der Deutschlandfunk. Hinter den Schlagzeilen über die Abgas-Manipulationen steht freilich ein größeres Gemälde, das aus mindestens zwei Teilen besteht: dem technologischen Umbruch in Sachen Antriebe, weg vom Verbrennungsmotor hin zum Elektromotor und Richtung autonomes Fahren; und die ebenfalls technologisch getriebenen Veränderungen hin zu einer Mobilität der vernetzten Services und der Nutzung diverser Verkehrsmittel. 

Der Trend ist insgesamt nicht neu, Aspekte einer Kritik am immer noch herrschenden Produktions- und Mobilitätsmodell in Sachen Auto kamen spätestens in den 1970er Jahren auf. Dies richtete »sich vor allem gegen die desaströsen ökologischen und klimatischen Folgen des globalen Autozentrismus« (Rainer Rilling), seither hat es weitere Debatten »über solidarische, sozial gerechte und öffentliche Mobilität, über Energiewende, E-Autos, gute Arbeit und Beschäftigungssicherung, über Konversion und Transformation, die Macht der Autokultur« gegeben. Diese machten allerdings stets weniger Schlagzeilen als die Betriebsgeräusche des krisenhaften Automobilismus, etwa in Sachen Abwrackprämie oder Abgasmanipulation.

Ändert sich das nun? »Der Dieselskandal läutete die vielleicht letzte Runde des Verbrennungsmotors ein«, schreibt Timo Daum in einem aktuellen Band für die Rosa-Luxemburg-Stiftung. »Dieser Technologiewechsel erschüttert eine ganze Branche. Die elektrische Antriebstechnologie ist vergleichsweise einfach, daher treten neue Akteure auf den Plan und die Kernkompetenz der klassischen Automobilindustrie – Motoren und Getriebe zu bauen – verliert an Bedeutung.« Das hat einerseits gravierende industriepolitische Implikationen vor allem hierzulande, immerhin wird in der Bundesrepublik »fast die Hälfte der automobilen Wertschöpfung der EU-15-Staaten realisiert«. Es wird also Verlierer geben.

Potenziale sind da, aber wer nutzt sie in wessen Interesse?

Andererseits ist mit der Krise des Alten noch nichts über das kommende Neue gesagt. Das ist die Seite der Gewinner. Daum dazu: »Smarte, vernetzte, algorithmen- und datenzentrierte Mobilitätskonzepte des Plattform-Kapitalismus werden gern als grüne Alternative zum grauen Kapitalismus mit seiner Extraktion fossiler Energieträger, der Verschwendung von Ressourcen und den daraus resultierenden Umweltschäden dargestellt. Ihr Potenzial für Nachhaltigkeit, verbesserte Ressourcenausnutzung und vernünftiges Management und die damit verknüpften Vorteile für Gesundheit, Lebensqualität und Umwelt lassen sich zwar nicht leugnen. Allerdings geht es den neuen Akteuren vorrangig nicht um diese Effekte, sondern darum, die Hoheit über den Verkehr der Zukunft zu erlangen und durch die Etablierung und Beherrschung von algorithmen- und datengestützten Mobilitätsangeboten ihre Geschäftsmodelle erfolgreich zu installieren und so zu Mobilitäts-Monopolisten zu werden.« 

Rilling hat in seinem Vorwort zu Daums Studie formuliert, ihre Stärke sei es, »dass sie vielfach getrennt diskutierte Momente zusammendenkt: den Abschied vom Verbrennungsmotor, den Abschied vom Privatwagen und den Abschied vom Fahrer bzw. der Fahrer*in. Daum unterstreicht also die Chancen, die in der Mobilitätswende liegen, wenn sie mit der Energiewende zusammengeht.« 

Einen ganz ähnlichen Ansatz verfolgen Weert Canzler und Andreas Knie in einer deutlich kürzeren Veröffentlichung der Heinrich-Böll-Stiftung. Auch hier wird im Ergebnis auf das Zusammenspiel von Energiewende und alternativen Mobilitätskonzepten verwiesen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.

Helfen Experimentierklauseln mit Beteiligungsverfahren?

»Veränderungen auf Deutschlands Straßen sind überfällig, doch die Entwicklung stagniert: Die Zahl der privaten Autos mit Verbrennungsmotoren wächst, die Luftqualität leidet, öffentliche Plätze sind primär Verkehrsflächen – von einer Verkehrswende keine Spur. In den großen Städten aber bahnt sich ein Wechsel in der Einstellung und im Verhalten an: Immer mehr Menschen nutzen nicht mehr nur das Auto, sondern kombinieren das Rad mit Bussen und Bahnen oder nutzen Bike- oder Carsharing. Unterstützt wird diese Tendenz durch digitale Plattformen, die das Kombinieren unterschiedlicher Verkehrsmittel so einfach machen wie die Nutzung eines eigenen Pkw. Mit dem Smartphone in der Hand werden die städtischen Verkehrsmittel zu einem riesigen Fuhrpark, bei immer mehr Menschen lösen sich damit die Bindungen an ein privates Verkehrsmittel langsam auf. Damit könnte auch die Zahl der Fahrzeuge drastisch sinken, das wiederum lässt die flächendeckende Einführung von Elektrofahrzeugen zu. Werden diese darüber hinaus – wie es selbstverständlich sein sollte – mit erneuerbaren Energien betrieben, wäre die Energie- und Verkehrswende auf einem guten Weg.«

Das Problem, das auch Canzler und Knie diskutieren: »Obohl die technischen Möglichkeiten vorhanden sind und die Präferenzen der städtischen Bevölkerung eine solche multimodale Verkehrspraxis ermöglichen, blockiert die herrschende Verkehrsordnung viele Innovationen. Der rechtliche Rahmen bleibt bislang in hohem Maße auf das private Verbrennungsauto fixiert.« Vorgeschlagen werden in der Studie deshalb unter anderem Experimentierklauseln mit erweiterten Beteiligungsverfahren. 

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