Wirtschaft
anders denken.

Abhängig Beschäftigte haben keine Chance auf Partizipation

15.11.2021
Beschäftigte der Baubranche hängen in einem StahlgitterFoto: Peggy und Marco Lachmann-Anke auf PixabayWas gebaut wird, entscheiden nicht die Beschäftigten

In einem kapitalistischen Unternehmen sind  Beschäftigte freie Manövriermasse, das Rechtssystem stützt die Ausbeutungsordnung. Teil 1 einer Serie zur Wirtschaftsdemokratie aus OXI 11/21.

Abhängig Beschäftigte müssen in einem kapitalistischen Unternehmen Mehrwert (Zins, Grundrente und Profit) für die Kapitalisten produzieren. Das ist das Wesen des Kapitalismus und damit werden die abhängig Beschäftigten einer systemisch inhärenten Ausbeutung unterzogen. Aufgrund vielfältiger Mystifikationen wird dieses Grundübel in der Gesellschaft und Politik jedoch verdrängt. Offensichtlich glauben hier selbst die permanent ausgebeuteten abhängig Beschäftigten und auch die Gewerkschaften nicht an eine Ausbeutung, sondern hoffen auf gute Arbeit und einen »gerechten Lohn«. Eine Forderung nach Abschaffung des Kapitalismus kommt ihnen dagegen nicht in den Sinn. Jedenfalls ist darüber nichts Substanzielles zu lesen. Und die herrschende Wirtschaftswissenschaft macht sich hierbei zum willfährigen Helfer des Systems und damit letztlich der Kapitaleigentümer, als ob es keine alternative Ordnungsform zum Kapitalismus geben würde. Das sieht allerdings die Mainstream-Wirtschaftswissenschaft tatsächlich so, hier gibt es zum Kapitalismus keine Alternative und hier produziert auch nicht der arbeitende Mensch den Mehrwert für den Kapitalisten, wie es noch alle klassischen Nationalökonomen bis Karl Marx gesehen haben, sondern das Kapital und der Boden sind eigenständig in der Lage und können damit Profit (inkl. Zins) und Grundrente generieren. Daher würden auch den Kapitaleignern zu Recht Profit (Zins) und Grundrente zustehen.

Mit dieser »Todsünde« (Otto Conrad) hat die neoklassische Lehre nach Marx eine Degenerierung der Ökonomie als Wissenschaft bewirkt und vollzogen. Es ist unbegreiflich, wie man auch nur eine Nanosekunde lang glauben kann, dass eine Maschine oder ein Stück Land, ohne die Bedienung und Bearbeitung durch Menschen, auch nur das Geringste an Mehrwert schaffen. Richtig ist dagegen: Lediglich der arbeitende Mensch ist dazu in der Lage. Er erhält aber unter kapitalistischen Verhältnissen, als abhängig Beschäftigter, nicht den vollen Wert seiner Arbeit, sondern immer nur den Wert seiner Arbeitskraft in Form eines Lohns, der mehr oder weniger seine Reproduktionskosten deckt. Und warum ist das so? Ganz einfach, weil ihm die Maschinen und das Land, der Boden, nicht gehören. Er ist aber auf diese Produktionsfaktoren angewiesen, weil er ansonsten seine Arbeitskraft nicht verwerten kann. Somit ist er abhängig von den Maschinen- und Bodeneigentümern, die ihn auf den Arbeitsmärkten nachfragen bzw. einkaufen oder auch nicht. Sie tun es natürlich nur, wenn die Arbeitsnachfrage eine Mehrwertproduktion verspricht.

Zur Ausbeutung kommt noch hinzu, dass in kapitalistischen Unternehmen abhängig Beschäftigte nichts zu sagen haben; trotz betrieblicher und unternehmensbezogener »Mitbestimmungsgesetze« in Deutschland. Alle Gesetze erlauben aber, mit Ausnahme des Montan-Mitbestimmungsgesetzes, keine wirkliche Mitbestimmung. Es gibt lediglich Informations- und Beratungsrechte, aber keine paritätischen Mitentscheidungsrechte über Produkte, Standorte, Investitionen, Beschäftigung, Fusionen und Beteiligungen sowie Gewinnverwendungen. Und selbst im Montan-Mitbestimmungsgesetz können Entscheidungen des Aufsichtsrates, auch die Entscheidung des »neutralen Mitglieds«, durch die Hauptversammlung der Eigentümer aufgehoben werden. Final entscheiden immer ausschließlich die Kapitaleigner. Das verlangen das Eigentumsrecht im Grundgesetz in Artikel 14 und die unternehmerische Freiheit, geregelt in Artikel 12 Grundgesetz.

Kapitaleigner können im Kontext mit diesen beiden verfassungsrechtlichen Artikeln mit ihren Unternehmen letztlich machen, was sie wollen. Sie haben sogar das Recht, ihre Unternehmen entgegen der betriebswirtschaftlichen Lehre und Wissenschaft, völlig irrational und dilettantisch, zu führen, was in der Praxis übrigens nicht selten der Fall ist, wie uns die vielen Unternehmenspleiten zeigen, deren größte Ursache meistens im Missmanagement zu finden ist. Um Unternehmer zu werden, muss man nicht Betriebswirtschaft studiert haben, ja man muss nicht einmal den geringsten Befähigungsnachweis erbringen. Dies ist bezeichnend für die vielen »Nieten in Nadelstreifen« (Günter Ogger), die in der Wirtschaft täglich ihr Unwesen mit einer häufig unerträglichen Machtarroganz ausleben und große Schäden in Unternehmen anrichten. Dabei wird nicht, wie immer wieder vorgeschoben, nur das Kapital der Unternehmenseigentümer vernichtet und so die Haftungsfrage in den Mittelpunkt gerückt, sondern daraus wird auch abgeleitet, dass die Kapitaleigentümer berechtigt sind, mit ihren Unternehmen nach Gutdünken umgehen zu dürfen. Das ist herrschende rechtliche Meinung von Gerichten und zeigt uns zwei Dinge: Erstens eine einseitige Parteinahme im Grundgesetz und auch in der einfachen Gesetzgebung für Kapitalinteressen und zweitens, dass Juristen selten ökonomisch denken. Ansonsten dürften sie die Einseitigkeit im Recht nicht akzeptieren. Denn, wie schon erwähnt, produzieren nur Menschen den Mehrwert und außerdem bestehen Unternehmen ökonomisch immer nur aus Kapital und menschlicher Arbeit. Das »tote« Kapital, die Produktionsmittel, müssen von den arbeitenden Menschen in Bewegung gesetzt und ihnen muss »Leben« eingehaucht werden. Damit verfügen Kapitaleigner dann automatisch nicht nur über die technischen Produktionsmittel, sondern gleichzeitig auch über die abhängig Beschäftigten, über Menschen, die auf die Produktionsmittel angewiesen sind, um ihre Arbeitskraft verwerten zu können. Denn mehr als ihre Arbeitskraft haben sie in der Regel nicht. Hinzu kommt, dass sich die abhängig Beschäftigten in den Unternehmen nicht einmal ihre Manager aussuchen dürfen, von denen sie geführt werden wollen. Mitbestimmungsrechte haben sie auch hier nicht. Und die Haftung für den Verlust von Arbeitsplätzen übernehmen die Kapitaleigner selbstverständlich auch nicht. Das Verlustrisiko tragen die abhängig Beschäftigten, was inakzeptabel ist. Dagegen sprechen auch keine Sozialpläne, die den Verlust des Arbeitsplatzes nie finanziell und auch immateriell aufwiegen und auch nicht die immer wieder angeführte Chance auf einen neuen Arbeitsplatz bei einem anderen Kapitalisten.

Dies alles hat schwerwiegende Folgen im Unternehmensalltag. Es fängt mit dem individuellen Umgang des Managements mit einzelnen Beschäftigten an und geht mit dem kollektiven Umgang mit Betriebsräten und Wirtschaftsausschüssen weiter. Das Management ist hier natürlich dem einzelnen Beschäftigen immer überlegen und das Management weiß auch, dass die sogenannten »Mitbestimmungsträger« kein wirkliches kollektives Mitbestimmungsrecht haben. Entsprechend verhält sich das Management. Hier werden dann selbst rechtlich geregelte Informations- und Beratungsrechte verweigert. So ist es in der Folge fast die Regel (sieht man einmal von den großen Unternehmen ab), dass die »Mitbestimmungsträger« von »ihren« Unternehmen ökonomisch so gut wie nichts wissen. Gewinn- und Verlustrechnungen, Bilanzen, Wirtschaftsprüferberichte und entscheidende Unternehmensplanungen werden vom Management den von den Belegschaften demokratisch gewählten Betriebsräten und den Wirtschaftsausschüssen vorenthalten. Mühsam müssen die Belegschaftsvertreterinnen und -vertreter hier ihre Rechte einfordern, nicht selten auch einklagen und bekommen dann vor Arbeitsgerichten nicht einmal ihr Recht auf ökonomische Daten zugesprochen.

Ganz schwierig wird es, wenn »Mitbestimmungsträger« in Sachen Ökonomie eine Schulung und Beratung benötigen. Externe Ökonomen als Berater können hier nur im Einvernehmen mit dem Management bestellt werden. Dies gilt natürlich umgekehrt nicht, wenn sich das Management externen ökonomischen Sachverstand an Bord holt. Hier fragt kein Manager den Betriebsrat und es muss auch kein Einvernehmen hergestellt werden. Mehr Asymmetrie geht nicht. Und wer dann doch als externer ökonomischer Berater des Betriebsrats in Verhandlungen vom Kapital akzeptiert wird und dem Management schon viele Male gegenübergesessen hat, weiß, mit welcher Arroganz hier die Vertreter der Kapitaleigentümer die Verhandlungen führen. Dabei geht es für die Menschen im Unternehmen um organisatorische Anpassungen, um Beschäftigungsabbau, um Abteilungs- und Bereichsschließungen oder sogar um Standortschließungen mit entsprechenden Verlagerungen von Arbeitsplätzen. Nicht selten ist dabei das Verhalten des Managements zynisch, wenn beispielsweise eine Standortverlagerung mit einer besseren betriebswirtschaftlichen Konzern-Allokation gerechtfertigt wird, schließlich müsse das Management holistisch denken und handeln. Auch am Verlagerungsstandort gebe es Konzern-Beschäftigte. Man argumentiert hier mit einem ausgeglichenen Wohl von Konzern-Beschäftigten, denkt aber an nichts anderes als an eine höhere Konzern-Profitrate. Für das Management, unterstützt von externen Anwaltskanzleien und Consultingunternehmen, zählt selbstverständlich nur die Profitrate und deren Mehrung. Darüber lässt sich allerdings, wie das viele tun, auch nicht moralisieren, denn eine maximale Profitrate ist das entscheidende Ziel eines jeden Kapitalisten. Und wir leben nun einmal im Kapitalismus. Da ist es dann auch nicht erstaunlich, dass die Ausbeutungsordnung von unserem Rechtssystem gedeckt wird. Die Beschäftigten sind eine freie Manövriermasse in einem kapitalistischen Unternehmen.

Auch Manager sind aber nur abhängig Beschäftigte, was selbst für Vorstände und Geschäftsführer gilt. Die Kapitaleigner überlassen die Unternehmerfunktion ihren angestellten Managern, weil sie selbst in ihren Unternehmen nicht arbeiten wollen oder in großen Kapitalgesellschaften mit vielen Kapitaleignern auch nicht können. Selbst in Familienunternehmen überlässt man die Geschäfte angestellten Vorständen in Aktiengesellschaften oder Geschäftsführern in Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Dafür werden sie, wie wir wissen, von den Kapitaleignern exorbitant hoch bezahlt, was in der Öffentlichkeit immer wieder für helle Aufregung sorgt. Das Geld, das die Vorstände und Geschäftsführer erhalten, ist aber nichts anderes als ein systemimmanentes Unternehmer- bzw. Kapitaleinkommen. Würde man die Vorstands- und Geschäftsführerbezüge kürzen, hätten die anderen abhängig Beschäftigten davon rein gar nichts, es würde lediglich den Kapitaleignern, neben ihrem Profit, noch zusätzlich anheimfallen. Und selbst wenn die Beschäftigten die Kürzungsbeträge erhalten würden, bekämen sie pro Kopf lediglich den Wert von zwei Eiskugeln.

Viel wichtiger für abhängig Beschäftigte ist da die Erkenntnis, dass die Kapitaleigner zur Herrschaftsausübung in ihren Unternehmen auf Hierarchien angewiesen sind. Diese reichen vom Vorstand/Geschäftsführer über Bereichs-, Ressort- und Abteilungsleiter bis zum Gruppenleiter und Vorarbeiter. Die Hierarchie ist das unternehmensinhärente Machtinstrument der Kapitaleigner zur Durchsetzung ihrer Profitinteressen. Sie durchdringen damit alle arbeitsteiligen Verästelungen ihrer Unternehmen und schaffen es so gleichzeitig, die abhängig Beschäftigten in Führungskräfte und Nicht-Führungskräfte einzuteilen. Dadurch entsteht bei den abhängig Beschäftigten mit Personalführung ein Kapitaldenken und damit eine Entsolidarisierung mit der Masse der abhängig Beschäftigten. Die Kapitaleigner sind dafür bereit, den hierarchisch aufgestellten Führungskräften ein wesentlich höheres Einkommen zu zahlen – ein außertarifliches Arbeitsentgelt. Die Gewerkschaften, mit Tarifverträgen nur zuständig für die Tarifbeschäftigten, bleiben so bei den AT-Beschäftigten außen vor. Nicht zuletzt deshalb lehnen Führungskräfte in der Regel eine gewerkschaftliche Mitgliedschaft zur Stärkung der Koalition der abhängig Beschäftigten ab. Das Sein bestimmt hier eben auch das Bewusstsein.

Wo sind zu dem Ganzen aber die Alternativen? Im kapitalistischen System gibt es diese nicht. Jedoch in einer demokratischen Wirtschaftsordnung. Hier haben die abhängig Beschäftigten gegenüber den Kapitaleignern das gleichberechtigte Sagen und sie erhalten auch, neben ihrem Lohn, Anteile aus dem am Markt realisierten Mehrwert.

Geschrieben von:

Heinz-J. Bontrup

Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

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