Wirtschaft
anders denken.

Wenn der Topf ein Loch hat

15.02.2021
Eine Vase wird auf einer Drehscheibe getöpfertFoto: marcelkessler auf Pixabay10 Prozent ihres Finanztopfes muss die Aidshilfe Potsdam selbst erwirtschaften

Klappern für die Gesundheit in Zeiten von Corona? Das ist nicht nur kompliziert, sondern stellt auch wichtige soziale Projekte wie die Aidshilfe Potsdam infrage. Lassen Sie uns über Ökonomie reden…

Vor 30 Jahren, im Februar 1991, gründete sich die Aidshilfe Potsdam e.V. Sie ist unter anderem Geschäftsstelle der »Initiative Brandenburg – Gemeinsam gegen Aids« und wird mit öffentlichen Mitteln gefördert. Der gemeinnützige Verein muss jedoch auch Eigenmittel erwirtschaften und ist auf Spenden angewiesen. Gisela Zimmer sprach darüber mit Oswald Fischer, Finanzvorstand, und Hortense Lademann, Sozialarbeiterin der Aidshilfe Potsdam.

Eigentlich wären 30 Jahre Aidshilfe ein guter Grund zum Feiern. Gemeinsam feiern ist aber seit Monaten ohnehin nicht mehr gestattet, und Sie haben darüber hinaus ganz andere Sorgen – nämlich finanzielle.

Oswald Fischer: Wir sind ja insofern gut dran, weil das Land Brandenburg, die Stadt Potsdam und der Landkreis Potsdam-Mittelmark die Aidshilfe fördern. Dadurch sind die Projekte des Vereins im Wesentlichen abgesichert. Wir müssen aber auch einen Eigenanteil erbringen. In diesem Corona-Jahr sind unsere Einnahmen natürlich drastisch gesunken, etwa um 50 Prozent. Im Moment greifen wir auf unsere Rücklagen zurück, aber die reichen nicht ewig. Und die Aussichten auf wieder mehr Einnahmen sind zumindest für dieses erste halbe Jahr nicht besser.

Hortense Lademann: Es ist schon krass, was alles nicht mehr funktioniert. Andererseits haben wir auch Positives erlebt, viel Neues angefasst. Klar, es knirscht finanziell schon sehr, trotzdem haben wir weitergearbeitet und viel entwickelt.

Was denn zum Beispiel?

Hortense Lademann: Da wir durch den Ausfall von Schulpräventionsarbeit mehr Zeit hatten, konnten wir zum Beispiel viel mehr Tests anbieten. Wir wurden auch Teil der bundesweiten Telefonberatung für Ratsuchende zum Thema HIV und sexuell übertragbare Infektionen. Das machen wir seit der Corona-Pandemie jetzt regelmäßig jeden Montag. Es gibt Anrufe aus ganz Deutschland, auch aus der Schweiz und anderen umliegenden Ländern.

Die öffentlichen Gelder, die Sie bekommen, sind die zweckgebunden? Und welche Summe müssen Sie selbst erwirtschaften?

Oswald Fischer: Mit den öffentlichen Geldern finanzieren wir unser Büro, die Miete und die drei Mitarbeiter*innen. Auch die Flyer, das Informationsmaterial werden davon bezahlt. Zehn Prozent unserer Ausgaben sollen wir aus eigenen Mitteln bestreiten. Zehn Prozent von 180.000, 190.000 Euro im Jahr, die muss man aber erst einmal aufbringen. Unser Verein hat nur 30 Mitglieder.

Gewöhnlich gehen Sie am 1. Dezember, das ist der Weltaidstag, auf Straßen und Plätze und bitten um eine Spende. Das fiel 2020 alles weg. Haben Sie Alternativen gefunden, um trotzdem den Eigenanteil zu erbringen?

Oswald Fischer: Wir haben die Politiker und Politikerinnen aus dem Landtag, dem Bundestag und der Stadtverordnetenversammlung, die ansonsten bei diesen Straßensammlungen dabei sind, angeschrieben und um eine Spende gebeten. Es sind auch einige gekommen. Das war schön. Jetzt überlegen wir, welche Einnahmequellen es noch geben könnte. Möglich wäre, dass ein Teil der Tests nicht wie bisher komplett kostenfrei ist, wir einen kleinen Beitrag bei den Testwilligen erheben.

Hortense Lademann: Ungern!

Oswald Fischer: Die Testung von HIV bleibt kostenlos, aber bei Syphilis zum Beispiel sollten wir einen Unkostenbeitrag erheben. Ansonsten wird es finanziell schwierig für uns. Das Land hat den Förderbeitrag auf dem Stand vom letzten Jahr eingefroren. Da Corona viel Geld kostet, muss es an anderen Stellen sparen, und das trifft dann auch die sozialen Vereine.

Sparen, was bedeutet das für die Projekte draußen vor der Tür?

Oswald Fischer: Sämtliche Veranstaltungen in den Schulen fallen zurzeit aus. Das betrifft vor allem alle sechsten bis neunten Klassen, die wir sonst immer besuchen. Beibehalten können wir die Beratung für HIV-Infizierte, auch hier vor Ort.

Hortense Lademann: Immer nach Absprache, mit Maske und ohne gesundheitliche Beeinträchtigung. Also keine Erkältung oder etwas anderes. Zu Beginn der Pandemie hörten wir sehr viel Angst bei Menschen mit HIV heraus. Denn unsere Klienten wussten ja, dass sie ein geschwächtes Immunsystem haben, und dann setzt sich möglicherweise dieses neue Virus darauf. Da war die Angst, dass sie an einer zweiten Erkrankung sterben könnten, natürlich groß. In China wurden HIV-Medikamente zur Behandlung gegen Corona eingesetzt und in Deutschland wurde das auch ausprobiert. Die Deutsche Aidshilfe teilte dann mit, dass mit der HIV-Therapie das Immunsystem gesund gehalten wird. Damit konnte die Befürchtung, dass man bei HIV durch das Corona-Virus leichter angreifbar ist, ausgeräumt werden. Das sorgte für viel Erleichterung bei unseren Klienten. Die Medikamente sind sehr gut, die gesundheitlichen Einschränkungen sind viel geringer geworden. Trotzdem bleibt: HIV ist immer noch nicht heilbar, es braucht nach wie vor viel Aufklärung.

Laut einer Studie kennen etwa nur 18 Prozent der Bevölkerung den aktuellen Stand von Medizin und Forschung und der mittlerweile guten Möglichkeiten, ein Leben mit HIV aktiv leben zu können. Keine 20 Prozent, das finde ich ziemlich wenig!

Hortense Lademann: Ich habe dazu eine Theorie. Menschen, die sich einmal damit auseinandergesetzt haben, sagen, okay – jetzt weiß ich alles. Außerdem lebe ich in fester Partnerschaft, muss mir keine Sorgen machen. Man selbst hat ja auch so ein Sortiersystem. Steht etwas zu HIV in der Zeitung, wird abgewinkt, betrifft mich nicht. Am Ende kommt Wissen dann nicht mehr dorthin, wo es wichtig wäre. Deshalb gibt es ja uns. Die Deutsche Aidshilfe entwickelt wunderbare Projekte, die wir nutzen können. Wir versuchen mit vielen Mitteln, das Thema präsent zu halten. Öffentlichkeitsarbeit von Angesicht zu Angesicht ist dabei besonders wichtig. Wir hoffen, dass die Zeit dafür wiederkommt.

Herr Fischer, seit gut zehn Jahren haben Sie die Finanzen für die Aidshilfe Potsdam im Blick. Gab es schon einmal eine derart unsichere Finanzsituation?

Oswald Fischer: Nein, es ist wirklich das erste Mal. Wir dürfen ja Rücklagen bilden, für ein halbes Jahr und ohne dass es Auswirkungen auf die Gemeinnützigkeit hat. Wir würden es momentan tatsächlich schaffen, ein halbes Jahr, vielleicht auch nur fünf Monate, ohne Förderung über die Runden zu kommen. Trotzdem müssen wir sparen, mit den Ausgaben runtergehen. Vielleicht weniger Stunden arbeiten, mehr das Internet nutzen. Wenn das Jahr allerdings so weitergeht, dann müssen wir ernsthaft über Einsparungen beim Personal und bei den Projekten nachdenken.

Was die Aidshilfe Potsdam leistet, ist gut für die ganze Gesellschaft. Es geht um Gesundheitsfürsorge, Gesundheitsprävention, soziale Integration. Das alles funktioniert zum großen Teil aber nur auf Spendenbasis. Da stimmt doch etwas nicht. Das muss doch auf planbare, auch monetäre Füße gestellt werden, oder?

Hortense Lademann: Ein schöner Gedanke. Aber wahrscheinlich für das Land Brandenburg nicht machbar. Es ist keine Pflichtaufgabe.

Oswald Fischer: Halt eine freiwillige Leistung. Das Land kann morgen sagen, die Aufgabe ist nicht mehr ganz so wichtig, wir streichen die Hälfte oder sogar die ganze Förderung. Aber nur auf rein ehrenamtlicher Basis ist diese Arbeit nicht zu leisten.

Hortense Lademann: Man muss aber sagen, das Ministerium schätzt unsere Arbeit, wir bekommen viel Zustimmung. Darum fürchten wir derzeit noch nicht, dass alles komplett zusammenbricht, weil es diese nicht geplanten Wahnsinnsgeldausgaben für Corona und die Pandemiefolgen gibt. Zwischen uns, der Ministerin und den Staatssekretärinnen, gibt es eine gute Kommunikation.

Oswald Fischer: Ich wünschte mir vonseiten der Finanzen trotzdem mehr Planungssicherheit. Wir bekommen ja nur von Jahr zu Jahr die Förderung. Und so bleibt immer die Frage, bekommen wir etwas? Und wenn ja, wie viel?

Geschrieben von:

Gisela Zimmer

Journalistin

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