Air Berlin und Ryanair – Piloten vs. Fluglinien: der OXI-Überblick
Erst krankfeierten Piloten der insolventen Fluglinie Air Berlin, nun fordern Piloten und Bordpersonal bei Ryanair bessere Arbeitsbedingungen. Ein Überblick über die aktuellen Konflikte zwischen Piloten und Fluglinien.
Heftige Turbulenzen bei Air Berlin. Mitte August meldete die zweitgrößte deutsche Fluglinie Insolvenz an. Air Berlin macht seit Jahren Verluste, 782 Millionen Euro allein 2016. Mitte August erklärte der Großaktionär Etihad Airways, der 30 Prozent der Air-Berlin-Anteile hält, kein weiteres Geld in das Unternehmen stecken zu wollen. Drei Monate zahlt die Bundesregierung einen Überbrückungskredit, so dass der Flugbetrieb aufrecht erhalten werden kann. Nun verhandeln mehrere Fluggesellschaften über den Kauf des Unternehmens bzw. seiner Teile.
In diese Verhandlungen platzte am 12. September die Nachricht vom plötzlichen Pilotenausfall. Gut 200 der 1.500 Air-Berlin-Piloten hatten sich an diesem Tag gleichzeitig krankgemeldet, Air Berlin musste 100 Flüge streichen. Auch in den nächsten beiden Tagen blieb der Krankenstand hoch, wieder fielen zahlreiche Flüge aus. Die kollektive Krankmeldung hatten die Piloten offenbar abgesprochen. Ein wilder Streik also – bzw. »Piloten-Revolte« bei Air Berlin, wie die Bildzeitung schrieb?
Wilder Streik bei Air Berlin?
Wilde Streiks, also nicht von der Gewerkschaft initiierte Arbeitskämpfe, sind in Deutschland verboten. Auch kollektive Krankmeldungen erklärte der Bundesgerichtshof 1978 für sittenwidrig. Wenn aber offiziell niemand aufruft, ist eine Absprache schwer nachzuweisen. Besonders im Flugbetrieb hat diese Arbeitskampfform Tradition. Schon im Sommer 1973, also noch vor dem Verbot durch den BGH, verhinderten westdeutsche Fluglotsen durch Krankmeldungen 40.000 Flüge. Im Oktober 2016 erfasste eine spontane Krankheitswelle mehrere Hundert Beschäftigte des Unternehmens TUIFly, die Urlaubsfluglinie musste den Flugbetrieb kurzfristig ganz einstellen.
Hintergrund der jüngsten Krankschreibungen bei Air Berlin sind die Übernahmeverhandlungen für die insolvente Airline. Die Pilotenvereinigung Cockpit (VC) befürchtet, dass die Langstreckensparte komplett gestrichen werden soll, um die gut bezahlten Langstreckenpiloten loszuwerden. In der Rheinischen Zeitung äußerte VC-Präsident Ilja Schulz die Sorge, dass mit einer »enormen Preiserhöhung die Langstrecke so unattraktiv gemacht werden soll, dass sie noch vor der Übernahme eingestampft werden kann«. Diese Befürchtung könnte sich bestätigen: Wie die Tagesschau meldete, stehen die Käufer für die Air-Berlin-Anteile fest: Lufthansa, Easyjet und Condor. Übernommen werden vor allem die (geleasten) Maschinen – inklusive Personal –, die begehrten Start- und Landezeiten der Airline sowie einige Kurz- und Mittelstreckenverbindungen.
Ryanair: Leiharbeiter der Lüfte
Nicht nur bei Air Berlin protestieren Piloten, auch die Billigfluglinie Ryanair machte dieser Tage mit Flugausfällen und Pilotenprotesten Schlagzeilen. Mehr als 2.000 Flüge würden bis Ende Oktober entfallen, weil es nicht genug Piloten gäbe, meldete die Süddeutsche Zeitung. Die Airline habe den Piloten angeboten, gegen hohe Sonderzahlungen Urlaube zu verschieben, doch davon wollen die Flugzeugkapitäne nichts wissen. Piloten an 30 Standorten, darunter viele in Deutschland, haben sich zusammengeschlossen und einen Brief mit Forderungen an das Konzernmanagement geschrieben.
Die Arbeitsbedingungen bei Ryanair gelten als besonders miserabel. Betriebsräte oder andere gewählte Vertretungen der Beschäftigten gibt es nicht. Stattdessen hat das Unternehmen selbst »Employee Representative Comittees« eingesetzt. Diese Gremien besetzt Ryanair mit handverlesenen Piloten. Ausgerechnet von ihnen stammt nun der Brief mit der Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen. Zentrale Anliegen der Flugkapitäne sind feste Arbeitsverträge, Verträge nach örtlichem Recht (statt nach irischem) und Gehälter, die denen bei anderen Fluglinien entsprechen. Anders als die meisten Fluggesellschaften beschäftigt Ryanair einen Großteil seiner Piloten nicht fest, sondern leiht sie als Selbstständige über Personaldienstleister aus. Ryanair-Piloten sind also quasi Leiharbeiter der Lüfte, oder genauer: Werkvertragler über den Wolken.
Bislang macht Ryanair keine Anstalten, auf die Forderungen der Piloten einzugehen, eher scheint das Unternehmen den weiteren Ausfall von Flügen in Kauf zu nehmen. Um KundInnen zurückzugewinnen hat Ryanair eine große Rabattaktion gestartet – trotz dünner Personaldecke. Für die Piloten ist der Personalmangel die Chance, für ihre Forderungen Druck auszuüben, ohne in den Streik zu treten (was zumindest die Selbtständigen unter ihnen nicht können). Laut The Independent diskutiert das Flugpersonal auch kollektive Krankmeldungen nach dem Vorbild der KollegInnen bei Air Berlin. Und der Guardian berichtet, dass auch Mitglieder des Bordpersonals begännen, sich für bessere Arbeitsbedingungen zu organisieren. Das Unternehmen wirbt derweil um neue Piloten – und schielt dabei offenbar auch auf die Air-Berlin-Kollegen, die bald arbeitslos sein könnten. Allerdings sind die Gehälter bei Air Berlin um einiges höher, die Arbeitsbedingungen besser.
Wettbewerb über den Wolken
Gerade wegen seiner miserablen Arbeitsbedingungen gehörte Ryanair, inzwischen die größte Airlinie Europas, in den letzten Jahren zu den wenigen europäischen Fluggesellschaften, die überhaupt Gewinne machten. Über den Wolken tobt ein harter Wettbewerb. Der Hauptgrund: Es gibt gewaltige Überkapazitäten im Luftverkehrsmarkt. Das hat mehrere Gründe: Zum einen betreibt fast jedes Land aus Prestigegründen eine eigene nationale Fluglinie. Zum anderen sind in den letzten Jahrzehnten eine Reihe Billigfluglinien auf den Markt gedrängt und machen dort den etablierten Linien Konkurrenz. Mit der Folge, dass die großen Fluglinien ihrerseits Billigableger gründeten, um mitzuhalten. Und drittens steuern Fluggesellschaften aus anderen Regionen, etwa aus den Golfländern, verstärkt den lukrativen europäischen Luftraum an, in dem gut ein Viertel aller weltweiten Flüge abgewickelt werden. Die Folge: Heute konkurrieren in Europa mehr als 230 Fluglinien um Passagiere.
Da Fluggesellschaften hohe Fixkosten haben (Flughafengebühren, Wartung, Sprit und Personal), ist eine hohe Auslastung der Flugzeuge für den Erfolg entscheidend. Flugzeuge werden nicht nur enger bestuhlt und sind länger in der Luft. Der Wettbewerb um die Passagiere wurde in den letzten Jahren vor allem durch einen ruinösen Preiskampf ausgetragen. Tickets wurden billiger, die Zahl der Flugreisen stieg. Das ist nicht nur für Umweltschützer einen schlechte Nachricht, sondern auch für die Beschäftigten. Der Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen ist systembedingt hoch. Fluglinien, die großzügig subventioniert werden (wie Emirates Airlines durch Dubai oder Etihad durch Abu Dhabi), und solche mit niedrigen Personalkosten (wie Ryanair) sind bei diesem Wettbewerb im Vorteil.
Für die Piloten und das Kabinenpersonal ist die Situation dennoch nicht hoffnungslos: Denn auch wenn die Unternehmen ein großes Interesse an niedrigen Kosten (und damit Löhnen) und langen Arbeitszeiten haben, sind sie verwundbar.
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