Algorithmus, Gerechtigkeit, Fortschrittsglaube
Künstliche Intelligenz kann für vorurteilsfreie Auswahlprozesse in Bewerbungsverfahren sorgen, lautet ein Versprechen der Digitalisierung. Die Frage ist: Warum sollte ein menschengemachter Algorithmus so programmiert sein, der in einer patriarchal funktionierenden Ökonomie entwickelt wird?
Ende November will die Bundesregierung eine Strategie zu Künstlicher Intelligenz (KI) vorlegen. Ziel ist, dass die Bundesrepublik ein »weltweit führender Standort für KI« wird und die Regierung verspricht, dafür Sorge zu tragen, »dass die Erwerbstätigen bei der Entwicklung von KI-Anwendungen in den Mittelpunkt gestellt werden.«
Ein Beitrag des ISW München befasst sich mit dem Versprechen und trägt interessante Stimmen zum Thema zusammen. Unter anderem ist in dem Beitrag auch die Rede davon, dass sich viele Unternehmen datengestützte und vor allem vorurteilsfreie Auswahlprozesse bei der Personalsuche von den Entwicklungen versprechen. Was heißt, dass von Menschen entwickelte Algorithmen das sogenannte Recruiting übernehmen. Eines der vielen Versprechen, die erst einmal nur durch die Welt geistern und bei denen eine Prüfung, ob sie denn einzuhalten sind, noch aussteht, ist, dass so unter anderem mehr Geschlechtergerechtigkeit bei der Personalauswahl möglich sein könnte.
Das ISW München zitiert in dem Beitrag die Unternehmensberaterin Sandra Babylon: Durch die neue Technik »könnte Geschlechtergleichheit am Arbeitsplatz in den Industriestaaten bereits im Jahr 2040 erreicht werden, also 25 Jahre schneller als bei der jetzigen Entwicklung«. Denn Frauen würden eher ‚nach Leistung befördert, Männer nach Potenzial. Das Versprechen lautet demzufolge: Algorithmen bieten Frauen die Möglichkeit, aus alten Mustern auszubrechen und können dabei helfen, ein einigermaßen objektives Bild zu zeichnen.
Was in der Diskussion zu kurz kommt
Andere wiederum mahnen an, hier keine falschen Hoffnungen zu wecken, sei doch ein Algorithmus menschengemacht und die Software könne zu genauso diskriminierenden, wie fehlerhaften Entscheidungen kommen, wie sie Menschen treffen. Was in der Diskussion zu kurz kommt ist die Frage, inwieweit wir sozusagen über eine Technik Grundeinstellungen und sich aus der Ökonomie eines Systems ergebende Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen eliminieren können. Oder anders gefragt: Warum sollten Algorithmen dafür sorgen, dass patriarchale Strukturen verschwinden? Warum sollte überhaupt irgendein technischer Fortschritt – ändert sich das Gesellschaftsmodell nicht – für mehr Gleichberechtigung stehen können?
Das sind keine rhetorischen Fragen, denn auch hier hielten schnelle Antworten wahrscheinlich keiner Überprüfung stand.
Im Mai 2017 veröffentlichte die Hans Böckler Stiftung ein Working Paper mit dem Titel »Gender und Digitalisierung – Wie Technik allein die Geschlechterfrage nicht lösen wird«, erarbeitet von der Geschlechter- und Arbeitssoziologin Deborah Oliveira.
In der Einleitung heißt es: »Der Fokus auf neue Kommunikations- und Informationstechnologien offenbart sowohl vielversprechende Potenziale im Hinblick auf flexiblere Arbeitszeitarrangements und damit bessere Vereinbarkeit von Arbeit mit anderen Lebenssphären, als auch beunruhigende Tendenzen der Entgrenzung und Verdichtung von Arbeit. Die Analyse vorherrschender Karrierepraxen und Laufbahnmechanismen in den Betrieben macht deutlich, wie die die Strukturen der Arbeitswelt fast ausschließlich Lebensentwürfe fördern, die sich dem Unternehmen zeitlich und emotional uneingeschränkt zur Verfügung stellen.«
Patriarchales Grundverständnis der Ökonomie
Zurück zum Algorithmus, der Personalauswahl trifft. Es gibt zumindest keinen Anlass, darauf zu vertrauen, dass ausgerechnet diese Entwicklung im Bereich der KI jene Mechanismen aushebelt, die auch in der Vergangenheit dafür gesorgt haben, dass technischer Fortschritt am patriarchalen Grundverständnis einer Ökonomie vorbeiagiert oder dieses Grundverständnis gar umkehrt.
»Eine mögliche Gefahr der Digitalisierung im Hinblick auf die Arbeitswelt liegt mitunter darin, dass ihre impliziten technologischen Möglichkeiten als suggestive Lösung für problematische Arbeitsbedingungen ins Feld geführt werden, ohne dass dabei die eigentlich notwendigen strukturellen Reformen angegangen werden«, heißt es im Vorwort der Studie.
Diese Einschätzung geht möglicherweise nicht weit genug. Auch strukturelle Reformen folgen natürlich letztlich den ökonomischen und gesellschaftlichen Grundfesten einer Gesellschaft. Natürlich wäre ein Personal-Rekruting-Algorithmus, der dafür eingesetzt wird, Arbeitskräfte für Care-Arbeit zu gewinnen, anders zu programmieren, als einer, der – sagen wir mal – Führungskräfte in einem Industrieunternehmen vorauswählt. Und es wäre spannend zu sehen, an welcher Stelle hier Geschlechterungerechtigkeiten gar nicht erst programmiert werden oder Teil des Programms sind.
Vorteilen, die eine neue Technik verspricht
Die an verschiedenen Gaps ablesbare Geschlechterungerechtigkeit in der Arbeitswelt wird die KI nicht ausräumen, es sei denn, das wäre gesellschaftlich gewollt. Aber warum sollte es?
Die Studie der Hans Böckler Stiftung tut denn auch, was dringend notwendig ist, will Frau oder Mann sich dem Thema mit etwas mehr als Euphorie über leidenschaftslose aber extrem gerechte Algorithmen, die künftig Ungerechtigkeiten bei der Personalauswahl vermeiden helfen, nähern. Sie stellt einen historischen Exkurs auf über die »Technisierung der Haushalte und die Idealisierung von Hausarbeit und Mütterlichkeit in Zeiten der Revolution«.
Angesichts einer politischen Entwicklung, in der wir es mit dem Erstarken jener Kräfte zu tun haben, die auf lange Sicht eine Auslöschung fast aller Errungenschaft feministischer Kämpfe vorhaben, müssten wir uns bei technischen Möglichkeiten und Neuerungen immer die Frage stellen, wohin das unter den gegenwärtigen Bedingungen führen wird. Was nicht heißt, die Finger davon, aber zumindest erfordert, sich nicht allzu schnell überwältigen zu lassen von all den Vorteilen, die eine neue Technik verspricht.
Im Fazit der Studie heißt es: »Der historische Blick auf den Wandel der Produktionsformen im Zuge des Digitalisierungsprozesses hat wichtige Einsichten für den Umgang mit aktuellen Transformationen der Arbeitswelt ergeben. Die neuen technischen Möglichkeiten boten emanzipatorisches Potenzial, indem z.B. Kraftdifferenzen bei der Arbeit unerheblich wurden und indem sie die Hausarbeit effizienter hätten gestalten können. Das emanzipatorische Potenzial wurde aber nicht genutzt, da die vorherrschenden Geschlechterverhältnisse es gleich wieder einschränkten und die neuen Maschinen und Technologien nach den bestehenden gesellschaftlichen Vorstellungen genutzt wurden.«
Ein Algorithmus kann nicht besser sein, als es die gesellschaftlichen Verhältnisse gebieten und vorgeben. Etwas anderes zu glauben, ist ahistorisch.
Guter Journalismus ist nicht umsonst…
Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.
Zahlungsmethode