Wirtschaft
anders denken.

Als Frauen noch Systemfehler waren: Myra Strobers »Sharing the Work«

10.01.2019
OXIEine Frage des Aufstiegs - oder nicht?

Ohne Bitterkeit macht Myra Strober die Mauern fühlbar, gegen die Frauen noch vor einer Generation liefen, wenn sie »alles« haben wollten. Über die Autobiografie einer starken Frau und eine der Schlüsselfiguren der feministischen Ökonomik in den USA.

Zurückblickend auf die fünf Jahre meines VWL-Studiums, stelle ich fest, dass ich keinen einzigen Kurs bei einer Professorin belegt habe. Bei genauerer Überlegung fällt mir auch der Grund dafür wieder ein: An den Unis, an denen ich studiert habe, gab es einfach kaum Frauen, die es über den Doktortitel hinausgeschafft haben. Wohlgemerkt – ich habe in den 2010er Jahren studiert, also einer vermeintlich emanzipierten Zeit. 

Nach der Lektüre von Myra Strobers Autobiografie »Sharing the Work« wurde mir klar, warum dies an vielen Wirtschaftsfakultäten aber immer noch der Normalzustand ist. Die Autorin, emeritierte Professorin der Universität Stanford, gibt einen Einblick in ihren harten und oft einsamen Kampf, in den 1970er Jahren als Frau nicht nur eine Familie zu gründen, sondern auch in der Wirtschaftswissenschaft Karriere zu machen. 

Das Buch beginnt mit einer Schlüsselszene in Strobers Leben: Der Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berkeley verkündet ihr, dass sie niemals eine unbefristete Stelle an der Fakultät erhalten werde, weil sie im benachbarten Stanford wohne und nicht direkt im kuscheligen Universitätsort Berkeley. Strober hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen Doktortitel des weltweit renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in der Tasche und gab regelmäßig Kurse an der Uni Berkeley. 

Die fadenscheinige Begründung lässt vermuten, dass diese Ablehnung weniger mit ihren wissenschaftlichen Qualifikationen als mit ihrem Frau- und Muttersein zu tun hatte. Aufgewachsen mit einer berufstätigen Mutter, die zugleich Hauptverdienerin der Familie war, verfolgte sie ihre Ziele selbstbestimmt und testete dabei immer wieder Grenzen aus: Zuerst, indem sie sich frei für ein College und Studienfach ihrer Wahl entschied. Anschließend, indem sie eine Promotion an einer der US-amerikanischen Top-Universitäten anstrebte. 

In Harvard begann ihr Bewerbungsgespräch mit der Frage, ob sie »normal« sei – also heiraten und Kinder bekommen wolle. Strober war in diesem Sinne sowohl »normal« als auch »anormal«. Denn sie wollte Kinder und Karriere – zu dieser Zeit kaum denkbar. Dennoch erwarb sie im Jahr 1969 erfolgreich ihren Doktortitel am MIT, zu einer Zeit, in der nur 14 Prozent aller Doktortitel in den USA an Frauen vergeben wurden.

Eindringlich beschreibt Strober, wie eng Familien- und Arbeitsleben verknüpft sind und welchen einengenden Rollenbildern Frauen ihrer Generation unterlagen. Strober heiratete einen erfolgreichen Mediziner und obwohl beide Aussicht auf eine brillante Karriere hatten, stand in ihrer Beziehung außer Frage, dass sie als Frau sich nach den Karriereplänen ihres Mannes zu richten hatte. Dass sie dennoch Karriere und die Verantwortung für Hausarbeit und Kinder unter einen Hut bekam, hatte sicherlich viel mit Schlafentzug zu tun – Strober berichtet, dass sie in dieser Zeit nie mehr als sechs Stunden schlief. Aus dieser Erfahrung rührt wohl auch der Rat an ihre Leser*innen: Eine der wichtigsten Entscheidungen für deinen beruflichen Erfolg ist, mit wem du dein Bett teilst.

Strober hatte den Intellekt und die unbändige Energie, die Karriereleiter ganz nach oben zu klettern. Aber sie musste ständig damit kämpfen, dass Frauen auf festen Positionen an Universitäten einfach nicht vorgesehen waren. Die Verweigerung einer unbefristeten Stelle in Berkeley beschreibt sie als ihr persönliches Schlüsselerlebnis, infolgedessen sie begann, mit der Hilfe vieler Verbündeter die Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaftswissenschaft ins Wanken zu bringen. 

Besonders spannend sind die Einblicke in Begegnungen mit Frauen wie Francine Blau, Barbara Bergmann und Julie Nelson – Größen der Gender- und feministischen Ökonomik. Strober beschreibt auch, wie heute etablierte Institutionen wie das Committee on the Status of Women in the Economics Profession (CSWEP) in einer kleinen Runde von progressiven Frauen entstanden, die mehr wollten, als Hausfrau und Mutter zu sein. 

Ein wenig befremdlich ist allerdings, dass ihre Ausführungen trotz der vielen Rückschläge in ihrem Erwerbsleben nie wütend oder anklagend klingen. Sie scheinen mitunter eher gefärbt von einer Harmonie des nostalgischen Rückblicks.

»Sharing the Work« ist die Autobiografie einer starken Frau und einer der Schlüsselfiguren der feministischen Ökonomik in den USA. Ohne Bitterkeit macht sie die Mauern fühlbar, gegen die Frauen noch vor einer Generation liefen, wenn sie »alles« haben wollten. Strober blieb nie vor diesen Mauern stehen: Am eindrucksvollsten wirkt ihr unermüdliches Streben, als »tempered radical« (gemäßigte Radikale) die eingerosteten Institutionen von innen zu verändern. In ihrer Widmung gibt sie diesen Auftrag an ihre Leser*innen weiter und ruft auf, die nächste Runde des Wandels zu initiieren.

Myra Strober: Sharing the Work. What My Family and Career Taught Me about Breaking Through (and Holding the Door Open for Others) MIT Press, Cambridge 2016.

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