Wirtschaft
anders denken.

Altmaiers Industriepolitik: Was wäre eine progressive Alternative?

02.02.2019
Illustration: Created by Berkah Icon and Rudez Studio from the Noun Project

Peter Altmaier legt eine »Industriestrategie« vor. Gibt es Alternativen jenseits von ordnungspolitischer Gralshüterei und Standortkonkurrenzpolitik? Dazu müsste die Debatte über eine progressive Industriepolitik wieder lauter werden.

Peter Altmaier legt eine »Industriestrategie« vor – und plötzlich ist überall von Planwirtschaft und Politbüro die Rede. Das klingt nach irgendwie altsozialistischen Überlegungen, in Wahrheit geht es natürlich um etwas anderes.

Auf der einen Seite bringt sich gegen Altmaier eine ordnungspolitische Abwehr in Stellung, die generell staatlichen Eingriffen in »die Wirtschaft« ablehnend gegenübersteht und gern mit Ludwig Erhard kommt. Altmaier krame »in der industriepolitischen Mottenkiste, die nicht zu Erhard, sondern eher zur französischen Lenkungspolitik und Planification passt«, schreibt Philip Plickert in der FAZ.

Auf der anderen Seite steht der Bundeswirtschaftsminister mit seiner Industriestrategie, die standortpolitischen Zielen folgt und nur den nächsten Schritt in der »neuen Systemkonkurrenz« vor allem mit China darstellt. Für das eine ist der Staat gut, im anderen Fall soll er sich raushalten.

Nun sind solche Debatten nicht ganz neu und alle wissen, auch die größten Anhänger eines sich auf die Rolle als Rahmensetzers reduzierenden Staates, dass der schon immer und auf widersprüchliche Weise Mitspieler ist. Solange das mit den Normativen privater Aneignungslogik kompatibel ist, regt sich auch kaum jemand auf.

»Die Entscheidungen trifft die Wirtschaft«

Der Aufschrei angesichts von Altmaiers Überlegungen ist nun vielstimmig, dem Wettbewerbshüter mag etwas anderes ein Dorn im Auge sein als dem Konzernvorstand. Mal geht es um den heiligen Markt, mal um die Macht darin. 

Auf den Punkt bringt letzteres der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie, der wie andere Kapitalverbände auch Altmaiers Vorstoß im Grunde begrüßt. Das Aber liegt auf dem Feld des Demokratischen: »Die Entscheidungen über Investitionen trifft die Wirtschaft«, darauf pocht Dieter Kempf.

Dies ist der entscheidende Punkt bei der Debatte über die Industriepolitik. Gemacht wird eine solche so oder so. Wie sie ausgestaltet ist, bleibt eine Frage politischer Machtverhältnisse. Und ob sie sich als Primat gegenüber ökonomischer Macht auch durchsetzen kann, ist offen. 

Private Aneignungslogik, gesellschaftliche Interessen

In der aktuellen Debatte spielen auch – zurückhaltend formuliert: ordnungspolitische und ökonomische Vorlieben in Zeitungsredaktionen eine Rolle, was sich darin ausdrückt, wen man zu einer Kritik an der »Nationalen Industriestrategie 2030« einlädt und wen nicht oder wie man gewichtet.

Dass zum Beispiel unter der Überschrift »Wirtschaft kritisiert Vorstoß von Peter Altmaier« als erster Satz in einem der Berichte zu lesen ist, »führende Vertreter der deutschen Wirtschaft begrüßen den jüngsten industriepolitischen Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier«, ist schon drollig – aber nicht überraschend. 

Sofern sich das Kapital hier bessere Akkumulationsbedingungen versprechen kann, ist Industriepolitik ja auch nicht schlecht. Wenn es um die »Entscheidungen über Investitionen« geht, fängt erst der Dissens an. Es ist einer zwischen privater Aneignungslogik und gesellschaftlichen Interessen. 

Rudimentäre progressive Positionen

Aus progressiver Perspektive hat man nun also die etwas widersprüchliche Situation, dass zumindest die Industrie durchaus offen für Industriepolitik ist, während andere Interessensverbände Zeter und Mordio rufen; diese Offenheit aber an die Wahrung einer Machtasymmetrie geknüpft ist, die den demokratischen Mitbestimmungsprozess über eine weitgehend »gesellschaftliche Produktion«, also eine, die ohne die gesellschaftlich produzierten Voraussetzungen gar nicht existieren könnte, so weit es geht blockieren möchte. 

Nicht eben förderlich für den progressiven Standpunkt in dieser Debatte  sind die oftmals nur rudimentären industriepolitischen Positionen jenes Lagers, das wirtschaftspolitisches Denken als Teil gesellschaftspolitischer Umbauideen in Richtung sozialer, demokratischer, nachhaltiger Produktion und Allokation versteht.

Man kann leicht sagen, dass eine progressive Industriepolitik eine ist, »die die Entscheidung über Zukunftsinvestitionen nicht ein paar superreichen Investoren und Aktionären überlässt« und gegen »die Willkür privater Eigentümer« polemisieren. 

Beantwortet werden müsste aber auch, wie das dann konkret aussehen würde. Die Altmaiersche Industriestrategie wäre nur der Form nach »gut«, ihrer Substanz nach aber kann man daran nicht so viel Gutes finden – jedenfalls auf der Basis der bisher bekannten inhaltlichen Punkte.

Ein anderes »Spiel« ist nötig

Die »Sicherung beziehungsweise Wiedererlangung der wirtschaftlichen und technologischen Führungsposition Deutschlands und der Europäischen Union« ist kein progressives Ziel; und wer »industrielle Schlüsselbereiche« und »strategische ›Game-Changer-Technologien‹« definieren will, sagt damit ja vor allem, dass er das bisherige »Spiel« akzeptiert. Und ohne pathetisch zu werden, lässt sich sagen: Die Ergebnisse dieses Spiels sind in vielerlei Hinsicht nicht im gesellschaftlichen Interesse.

Wie aber könnten jenes gesellschaftliche Interesse stärker zur Geltung kommen in einer Zeit, in der gleich mehrere, ineinander verschränkte Strukturwandel größerer Dimensionen ablaufen (Energieregime, Digitalisierung, Mobilität, Care), es planetarisch existenzielle Herausforderungen gibt (Klimaschutz) und der Stand des gesellschaftlich Erreichten vielen in der Gesellschaft nicht zugute kommt (Ungleichheit)? 

Wie bekommt man es hin, auf der Basis von Prinzipien die Strukturen und Verfahren zu finden, die einer besseren Durchsetzung dieser Prinzipien – etwa: alle werden an den sie betreffenden Entscheidungen adäquat und gleichberechtigt beteiligt, wobei dies nicht auf einen gedachten Raum des Politischen beschränkt bleibt, sondern die Ökonomie genauso umfasst – hilfreich sind? 

Wie macht man das aus den gesellschaftlichen Gegebenheiten heraus, anknüpfend an gemachte Erfahrungen und basierend auf empirischer Anschauung über die Wirklichkeit, also nicht auf bloßen Wünschen? Und auch noch so, dass die gesellschaftliche Reproduktion nicht unterbrochen wird, weil man das bessere Andere eben nicht »unter den Trümmern des Kapitalismus« finden wird, sondern es nur aus den Formen heraus Realität werden kann, die sich von den gegebenen Voraussetzungen her verwirklichen lassen und den tatsächlichen Funktionsbedingungen einer komplexen Ökonomie entsprechen? 

»Frage des nötigen Spielraums für die Umsetzung«

Vor nicht allzu langer Zeit wurden einmal »Umrisse einer linken Industriepolitik« nicht nur Deutschland, sondern die Europäische Union betreffend diskutiert. Dabei geht es schnell immer auch und ganz berechtigt um die »Frage des nötigen Spielraums für die Umsetzung«. Hier muss man nicht in übertriebenen Optimismus fallen, weder was die Bundespolitik angeht noch die EU. 

Aber die gesellschaftlichen Ziele, die politischen Prinzipien, die sektoralen Schwerpunkte und die institutionellen Hebel einer progressiven Industriepolitik sollten gerade jetzt wieder etwas stärker Thema werden. Die »Alternativen« der bisherigen Debatte über Altmaiers Industriestrategie sind keine: weder wird eine staatlich geförderte Aufmunitionierung des Industriestandortes Deutschland irgendwelche Probleme lösen noch darf man das Feld hier den ökonomischen Lehren überlassen, unter deren Vorherrschaft eben diese Probleme in den vergangenen Jahrzehnten auch schon nicht gelöst wurden. 

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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