Wirtschaft
anders denken.

Die amerikanischen Träumer und ihre Freud’sche Wahl

26.02.2017
Seifenblasen gen Himmel fliegendFoto: Christian Schnettelker / Flickr CC-BY 2.0 LizenzWenn Träume bald wie Seifenblasen platzen

Amerika hat Veränderung gewollt und den Wechsel gewählt. Ob die Menschen Träumer waren oder das bekommen, was sie ersehnt haben, wird sich zeigen.

In Sigmund Freuds Zur Psychopathologie des Alltagslebens geht es auch um kleine Irrtümer, die dem Menschen täglich unterlaufen und kleine Missgeschicke verursachen. Man versucht etwa, das rational Beabsichtigte zu tun, tut aber das irrational Gewollte – und damit oft das Gegenteil. Freud erwähnt eine junge Frau, die ihrem Mann einen Ball zuwerfen will, ihn aber stattdessen einem jungen Mann daneben zuwirft; er wird später ihr Geliebter.

Die Wahlen in den USA gehorchten einer ähnlichen Dynamik. Die Wähler, genauer: die Hälfte von ihnen, warfen ihren »Ball« (ihre Stimme) nach eigenen Aussagen in Richtung »Change« und Aufbruch aus einem verkrusteten System. Aber sie warfen den Ball Donald Trump zu: einem Immobilien-Casino-TV-Sternchen, einem blondgefärbten, korrupten, millionenschweren, patriarchalen Demagogen, der erzählte, er repräsentiere das zornige Amerika. Das ist auf tragische Weise komisch: die Revolution von einem Mann zu erhoffen, der an und in diesem System reich wurde und protzt, in eben diesem System der Klüngelei wie die Made im Speck zu leben.

Amerika glaubte an die Revolte gegen das System mit einem Profiteur des Systems: Donald Trump.

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Das also glaubten sie: an die Revolte gegen das System mit einem Profiteur des Systems. Was aber, wenn sie das gar nicht glaubten? Wenn sie gar nicht »Change« wollten, sondern das Gegenteil? Spielen wir diese Variante durch, macht diese Wahl plötzlich Sinn. Amerika wollte keine Revolution, es wollte nur die nach marxistischer Terminologie schnellstmögliche »Reaktion«. Die Wahlmotive wären in der Angst vor, nicht aber in der Sehnsucht nach Fortschritt zu suchen. Wie es einen Freud’schen Versprecher gibt, wäre dies eine Freud’sche Wahl gewesen. Tatsächlich hat Donald Trump auch keinen Fortschritt sondern Rückschritt versprochen: den Rückzug Amerikas von der Welt, der NATO, der Globalisierung.

Bleibt noch die Frage nach dem Hintergrund des Wählerverhaltens. Unumstritten ist, dass viele Wähler sich in existenzieller Hoffnungslosigkeit befinden, die vor allem mit der Modernisierung und Abschaffung traditioneller Industrien zu tun hat. Ihre Arbeit wurde entwertet und mit ihr auch sie selbst. Karl Marx schrieb in diesem Sinne kritisch über die Principles of political Economy von John Stuart Mill (1806-1873). Es ging Marx bei seinen Ausführungen auch um die Endstufe der Ausbeutung des Menschen. Dieser Mensch habe seine Werte vollständig an das System der Arbeit und des Kapitals abgegeben. Er sei zu einem Wesen mutiert, dessen Wert und Würde einzig in seiner ökonomischen Kreditwürdigkeit liegt. Marx meint nun, dass eine Gesellschaft solcher entfremdeten Wesen »die Karikatur des Gemeinwesens« erschaffen würde, in dem die Trennung und nicht mehr die Verbindung zu anderen Menschen das eigentliche Ziel ist, und alle Produktion die Produktion eines Nichts sei. Dass seine Macht über einen Gegenstand letztlich als die Macht des Gegenstandes über ihn selbst erscheint.

Trump inszeniert neue Gespensterszenarien mit wechselnder Besetzung: Mexikaner, Chinesen, Juden, Europäer, Muslime.

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Steht nicht auch im Hintergrund der erstaunlichen politischen Entwicklung in den USA, dass diese Gesellschaft die Illusion einer Zusammengehörigkeit geworden ist und der Mensch nicht mehr ihr Mittelpunkt, sondern die Karikatur eines ihrer Instrumente? Und ist nicht die letzte Instanz der Selbstentfremdung eine vollkommene, apathische Ignoranz, die sich selbst beständig neue Unterhaltung sucht? Neue Gespensterszenarien mit wechselnder Besetzung: Mexikaner, Chinesen, Juden, Europäer, Muslime. Konsequenterweise wählt dieser Mensch dann die Karikatur eines Politikers und er glaubt an die Karikatur einer Illusion.

Inzwischen tut Donald Trump, was er eben kann: Er hilft sich und seinen Freunden. Er sichert seine Pfründe ab und hilft bei der Akquisition anderer Pfründe. Deshalb betrifft die erste Tat im Amt des neuen Präsidenten die Regulierung der Banken, die die Regierung Obama im Gefolge der Finanzkrise als Firewall gegen Spekulation eingezogen hat. Diese Gesetze werden nun wieder aufgehoben, damit das Geld sich über den Finanzmärkten wieder blähen kann – weshalb die Börsen sich in Windeseile an Trump gewöhnt haben. Und wer hat dieses Geld? Die Finanzindustrie und alle, die gemeinhin als Hillary Clintons Freunde beschimpft wurden. Sie sind auch die Freunde von Donald Trump. Und ihr eigentlicher Triumph wird dann kommen, wenn sie Kasse gemacht haben und die nächste Blase platzt. Dann werden erneut jene zahlen, die heute noch glauben, Trump habe sie gemeint als er rief: »We will be great again!« Sie werden feststellen, dass der Ball, den der Präsidentschaftskandidat warf, nicht für sie bestimmt war, sondern bloß die Frucht eines im wahrsten Sinne Freud’schen Versprechers.

Diese Kolumne erschien in OXI 12/2016.

Geschrieben von:

Oliver Tanzer

Wirtschaftsautor

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