Anders führen auf Augenhöhe?
Unternehmensdemokratische Konzepte boomen. Die beiden Crowdfunding-finanzierten Filmprojekte Augenhöhe und AUGENHÖHEwege begleiten seit 2014 diesen Trend, sie stellen viele Fallbeispiele alternativen Wirtschaftens vor. In der Folge stellen sich mindestens zwei Fragen: Ab wann ist ein Unternehmen demokratisch organisiert? Ist es das bereits mit etwas weniger Hierarchie oder müssen alle wichtigen Gruppen im Unternehmen echt mitbestimmen können? Und die zweite Frage: Brauchen alternative Organisationen überhaupt eine »alternative Führung« – oder am besten gar keine?
»Diesen Herausforderungen können wir nicht mit den Strukturen, Prozessen und Praktiken begegnen, die vor über 100 Jahren entstanden sind und unsere Welt noch immer an vielen Stellen prägen. Es braucht neues Denken und anderes Handeln.« (Quelle: Augenhöhe Community).
Diesen und ähnlichen Annahmen begegnen diejenigen immer wieder, die sich um Partizipation und Teilhabe in neuen Formen des Wirtschaftens und der Arbeitsteilung kümmern. Wer anders wirtschaften will, das sei ausdrücklich unterstrichen, braucht mehr als nur neues Denken. Reform-Projekte für Arbeit und Leben haben das durchaus hart immer wieder erfahren müssen. Das war schon vor über 100 Jahren beim alternativen Siedlungsprojekt auf dem Monte Verità im Tessin der Fall, dem »Ort an dem unsere Stirn den Himmel berührt …«. Während des Congrès Coopératif Anational vom 15. bis zum 25. August 1917 galt als ausdrückliches Ziel die »Organisation des Wiederaufbaus der Gesellschaft basierend auf praktizierter kooperativer Lebensführung«.
Die vermuteten Gründe, woran dieses alternative Projekt schließlich scheiterte, geben einen ersten Fingerzeig für die Bedeutung, die Führung und Kommunikation beim Prozess des Organisierens haben. Als Defizite wurden erkannt und strittig diskutiert: Die verschiedenen Werte der Aktiven blieben unverbunden nebeneinander; Grundkonzepte der »Alternative« bleiben unklar und vage; Ziele waren zu ambitioniert; »Spielregeln« waren so allgemein gehalten, dass einzelne die Gemeinschaft ausnutzen konnten; es gab keinen Konsens über Tempo und Entwicklungsgeschwindigkeit.
Dabei ist es unstrittig, daß alternatives Leben und Arbeiten solche Kristallisationspunkte, wie den Monte Verità oder vergleichbare Projekte, brauchen – eben visionäre Kraft. Doch reicht das für die »Mühen der Ebene«?
Alternative unternehmensdemokratische Konzepte
In einer 2013 bei Max Otte, Wissenschaftler und Betriebswirt, in Leipzig verfassten Fallarbeit zu alternativen Unternehmen (»ohne Chefs und formale Hierarchie«) – untersucht werden beispielsweise die aus den Augenhöhe-Filmen bekannten Beispiele des Lagergutspezialisten Allsafe Jungfalk und das PREMIUM-Kollektiv – schreibt der Autor Philipp Hansen über die Unternehmen: »Gemeinsam ist ihnen ein anderer Umgang mit Herrschaft, sie setzen sich kritisch mit Führungspersonen auseinander und streben Entscheidungsprozesse an, bei denen alle mitwirken können.«
Aber: Was wissen wir jenseits dieses kritischen Bewusstseins von wirksamer Führung in alternativen Strukturen? Zum einen, dass derartige Modelle eine lange Tradition haben, die sich etwa in den Knappschaften, also den Interessenvertretungen der Bergleute, verfolgen lassen. Zum anderen, dass es eine intensive internationale Diskussion zu Management-Innovationen gibt, die – jedenfalls begrifflich – eine ganze Reihe von Themen aus dem unternehmensdemokratischen Umfeld aufnimmt. Das sogenannte MIX-Projekt des US-amerikanischen Ökonomen Gary Hamel etwa möchte sich auf die »Neuerfindung« des Managements im 21. Jahrhundert konzentrieren und das »Kommando-Management« mit Hilfe adaptiver, sozialer verantwortlicher und innovativer Praktiken hinter sich lassen. MIX solle eine Bühne für »Management-Innovatoren« sein! Bereits 2008 hat die FAZ im Feuilleton unter dem knappen Titel »Mogelpackung« allerdings darauf hingewiesen, dass Hamel mitnichten ein Ende des Managements fordere, bestenfalls einen Wechsel bei Führungsstil und Führungsorganisation. Es bleibt bei der bekannten Wahrheit: wenn zwei dasselbe sagen ist es nicht das Gleiche.
So wie man die Selbstorganisation davor schützen muss, dass sie als modische Managementmethode gekapert wird, so muss man sie aber auch gegen die Risiken der Selbstüberschätzung verteidigen! Während eine Seite meint, man müsse nur Instrumente oder Tools der Selbstorganisation übernehmen und alles sei gut, so droht der anderen Seite eine Sehschwäche gegenüber dem, was die klassische institutionalisierte Mitbestimmung bereits erreicht hat.
Informationsfreudige Unternehmensstrukturen
In einer umfangreichen empirischen Untersuchung, die 2010 veröffentlicht wurde, hat Oliver Stettes untersucht, wie sich die klassische betriebliche Mitbestimmung oder deren teilweises Fehlen (also ohne Betriebsrat) oder andere Formen von Beteiligung (beispielsweise ein Runder Tisch, Belegschaftsausschuss, andere gemeinsam besetzte Gremien) auswirken: Unternehmen mit alternativen Formen der betrieblichen Interessenvertretung (also: ohne Betriebsrat) seien innovationsfreudiger als solche mit den klassischen Beteiligungsformen (oder ohne diese). Die Achillesferse der Studie ist allerdings ihre Datenbasis: Denn die zugrundeliegenden Auskünfte über die Art der jeweiligen Mitbestimmung stammen aus Selbstauskünften der Geschäftsleitungen. Die Annahme von Stettes: Es könne durchaus sein, dass »gemeinsam vom Arbeitgeber und Mitarbeitervertretern besetzte Beratungs- und Entscheidungsgremien die Aktivierung des Wissenspotenzials der Beschäftigten erleichtern«. Auch die Macher der Augenhöhe-Filme sehen in Teilhabe und Innovationsgeschwindigkeit zentrale Vorteile von Unternehmen, die sich nach Methoden der Selbstorganisation formen.
Was damit auch klar ist: Methodisch starke Belege, dass Formen der Selbstorganisation besser sind als klassische Formen der betrieblichen Mitbestimmung, liegen mit dieser Studie keineswegs vor. Selbstverständlich spielen Vertrauen und Kooperationsbereitschaft eine wesentliche Rolle bei dem Bemühen, erfolgreich zu wirtschaften. Aber die damit verbundenen Regeln und Rechte nicht nur zu gewähren, sondern sie institutionell und damit verbindlich abzusichern, das schadet auf keinen Fall! Denn ohne entsprechende Kontrollen, Festlegungen und Transparenz kann die Bereitschaft der Mitarbeitenden zu Engagement und Kreativität auch schlicht und einfach ausgenutzt werden, wie aktuelle Beispiele aus der Sozial- und Gesundheitswirtschaft dramatisch unterstreichen.
Wichtig ist also vor allem, dass die Form von Selbstorganisation oder Betriebsdemokratie die Beteiligten gegen Missbrauch oder (Selbst-)Ausbeutung absichert! Sind diese Voraussetzungen einmal gegeben, braucht es eigentlich keine Methoden von alternativer Führung – dann reichen die bekannten und reichhaltig vorhandenen Methoden der guten Führung, denn deren Ziel ist es, weitgehende Mitsprachen von Beschäftigten möglich zu machen und damit deren Kreativität und Gestaltungsvorstellungen Raum zu geben. Es bedarf also – jedenfalls aus meiner organisationspsychologischen Sicht – kein spezielles Führungsmodell für alternative Firmen oder Genossenschaften. Allerdings: Die Methoden der guten Führung müssen unbedingt praktiziert werden, gegebenenfalls spezifisch angepasst an die Welt der Betriebsdemokratie.
Transformationale Führung
Eines der aktuell in der Forschung am stärksten diskutierten Modelle ist das der sogenannten transformationalen Führung. Es handelt sich um eine der Führungsmethoden, die in den vergangenen 25 Jahren am intensivsten beforscht wurde. Und es liegen umfangreiche internationale Befunde dafür vor, dass Führungskräfte, die diesen Prinzipien folgen, wirksame Hebel kennen, um Zufriedenheit, Vertrauen und Leistung der Beschäftigten sowie Innovationsfähigkeit einer Organisation zu unterstützen.
Basistrategien
Bernard Bass und Bruce Avolio gelten als Erfinder dieses Modells. Es handelt sich nach ihrer Definition um die Kombination der folgenden vier Basisstrategien:
- Idealisierter Einfluss: die Führungsperson zeigt Überzeugung, betont Vertrauen, positioniert sich klar und übernimmt Verantwortung.
- Inspirative Motivation: die Person engagiert sich, betont die Bedeutung der bevorstehenden Aufgaben und kann andere mit ihrer Energie anstecken.
- Intellektuelle Stimulation: Personen, die diese Basisstrategie beherrschen, unterstützen andere Beschäftigten dabei, eine kritische Haltung zum Status Quo einzunehmen und sie unterstützen kreative Lösungen.
- Individualisierte Beachtung: im Zentrum der Zusammenarbeit steht der Einzelne, seine Bedürfnisse und Fähigkeiten werden berücksichtigt und wertgeschätzt.
Eine ganze Reihe von neueren Befunden betont überdies, dass transformationale Führung zugleich eine gleichsam impfende Wirkung gegenüber der sogenannten dunklen Triade habe. Mit ihr bezeichnen Organisationswissenschaftler Personen, deren Verhalten von einer Kombination aus Geltungsbedürfnis (»Narzissmus«), Gefühlskälte (»Psychopathologie«) und Manipulationsneigung (»Machiavellismus«) geprägt ist; nicht selten ist dieses Verhalten, empirisch belegt, auch mit Kriminalität und Vorteilsnahme in Organisationen verknüpft.
Das Konsent-Prinzip
Die Prinzipien der transformationalen Führung können nicht einfach übernommen werden. Aber man kann sie adaptieren, also an- und einpassen in die jeweils eigenen Verhältnisse. Denn zu den Kernbegriffen alternativer Unternehmensführung gehört das sogenannte Konsent-Prinzip: »Keiner ist dagegen« anstatt »alle sind dafür«. Die Augenhöhe-Macher definieren das so: »Zunächst legt die Gruppe fest, wer die Entscheidung treffen soll – meistens im Konsent. Der Entscheider konsultiert relevante Kollegen […]. Auf Grundlage dieser Informationen trifft und verantwortet er die Entscheidung alleine. Der konsultative Einzelentscheid kombiniert die Kraft der Perspektivenvielfalt mehrerer Beteiligter mit der Entscheidungsstärke eines Einzelnen.«
Auch wenn es sich durchaus lohnt das Prinzip des »Konsent« hinsichtlich seiner gruppendynamischen Umsetzbarkeit noch einmal gegen den Strich zu bürsten, so zeigt dieses Element alternativer Organisationsformen aus dem Umfeld soziokratischer Organisationskonzepte sehr deutlich, dass Designelemente alleine noch nicht ausreichen, um Organisationen nachhaltig zu führen – es bedarf praktikabler und wirksamer Umsetzungstools; gerade für den Fall, dass EntscheiderInnen wechseln, also Führungsrollen dynamisch und flexibel besetzt werden.
Damit Organisieren wirklich funktioniert und akzeptiert wird, gehören die Basisstrategien von Bass und Avolio ebenfalls in den Werkzeugkasten von Organisationen, die – gerade soziale – Innovation vorantreiben möchten. Aus meiner Sicht sind Modelle wie das Konzept der transformationalen Führung deshalb besonders interessant, weil sie eine Brücke zwischen klassischen Führungsorganisationen und echt alternativen Unternehmen bilden können; nicht nur für die Generation Y, die sich zunehmend weniger von historisch erprobten Führungsansätzen motivieren lässt.
Dieser Beitrag erscheint zum Titelthema der August-Ausgabe 2017 von OXI »Wirtschaften fürs Gemeinwohl«.
Weiterlesen:
Ulf Brandes et al: Management Y. Campus, Frankfurt/Main 2014, 240 S., 34,99 €
Jörg Felfe (Hrsg.): Trends der psychologischen Führungsforschung. Neue Konzepte, Methoden und Erkenntnisse. Hogrefe Verlag, Göttingen 2015, 613 S., 59,95 €
Sven Franke et al: Impulsheft Augenhöhe. Augenhöheworks GmbH, Berlin 2015
Peter G. Northouse: Leadership. Theory and Practice. Sage Publications Inc., Los Angeles 2012, 485 S.
Oliver Stettes: Betriebsräte und alternative Mitbestimmungsformen in der Industrie und deren Verbundbranchen. Sozialer Fortschritt 8/2010, S. 199-209
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