Wirtschaft
anders denken.

Ich will nicht arbeiten, um zu leben. Aber anders tätig sein? Nicht so einfach

21.06.2019
3dman_eu/pixabay.com

Ich würde sie ja wirklich gerne vom Thron stoßen, die Arbeit um des Lohnes willen. Doch das ist nicht so einfach. Wie wir es trotzdem schaffen, kleine Risse im kapitalistischen System auszuweiten – und warum wir dazu eine neue Definition von Erfolg brauchen. Eine OXI-Kolumne.

Ich würde sie ja wirklich gerne vom Thron stoßen, die Erwerbsarbeit. Sie spielt in unserer Gesellschaft und auch in meinem Leben eine viel zu große Rolle. Dabei geht so vieles verloren, wenn wir unseren Blick nur auf die Tätigkeiten richten, für die wir Geld bekommen. Zu der gemeinsamen Ökonomie meiner Gemeinschaft gehören deshalb nicht nur unsere Einnahmen und Ausgaben, sondern auch unsere Zeit. Zeitökonomie meint an dieser Stelle nicht etwa effizientes Management oder Outsourcing von unliebsamen Aufgaben. Vielmehr steckt dahinter die Idee, Tätigkeiten, die nicht bezahlt werden, sichtbar zu machen und sie der Erwerbsarbeit gleichzustellen.

Dazu gehören unter anderem Care-Tätigkeiten, wie Kinderbetreuung oder Kochen, aber auch politische und kreative Arbeit sowie Arbeit in unserem Projekt, das heißt Reparaturen, Instandhaltung oder Beziehungspflege. Wir versuchen, Arbeiten so aufzuteilen, dass sie nicht immer an den gleichen Menschen hängen bleiben. So putzt nach Möglichkeit jede*r mal das Treppenhaus oder übernimmt den Spüldienst.

Zudem übernehmen wir langfristige »Patenschaften«. Ich kümmere mich zum Beispiel darum, dass unser Vorrat immer wieder aufgefüllt wird. Ein anderer kümmert sich um das Altpapier, die nächste fühlt sich verantwortlich für das Auto. All das wollen wir in unserem Alltag sichtbarer machen – und so auch anders wertschätzen.

Gleiches gilt aber auch für unsere regelmäßigen Einkommen. So bringen Menschen vielleicht im Moment viel Geld ein mit einem Job, den sie auch hinschmeißen könnten, um mehr Zeit für Kreativität, Hobbys oder Reisen zu haben. Wir können nicht alle gleichzeitig eine Auszeit machen oder unsere Stunden signifikant reduzieren. Trotzdem bietet die gemeinsame Ökonomie ganz andere Möglichkeiten als eine Single-Wirtschaft. Das liegt unter anderem auch daran, dass wir pro Person im Schnitt weniger Geld zum Leben brauchen als »draußen« – zumindest in Relation zu unserem Wohn- und Lebensstandard.

Ein Beispiel sind die Bio-Lebensmittel, die wir zusammen in großen Gebinden kaufen. Alleine würde oder könnte ich mir die wohl nicht leisten. Ich bin Geringverdienerin. Dafür habe mich nach dem Studium bewusst entschieden, obwohl ich mit meinem Abschluss mehr verdienen könnte. Doch ich habe einer Stelle in kollektiven und politischen Strukturen den Vorzug geben. Dort lässt sich leider selten das große Geld machen. Meine Gemeinschaft trägt diese Entscheidung mit, weil sie meine Projekte sinnvoll und unterstützenswert finden.

Das hilft mir, die Arbeit auch selbst wertzuschätzen, obwohl sie nur wenig Geld einbringt. Gemeinschaften können den Aufbau von Kollektiven und auch von Selbstständigkeiten ganz anders abfedern als Einzelpersonen, weil sie das Risiko gemeinsam tragen. Das bedeutet allerdings auch, dass ich vielleicht irgendwann mehr und anders arbeiten muss, weil sich die finanzielle Situation der Gruppe verändert hat – und ich aufgrund von Alter, Gesundheit und Ausbildung mehr verdienen könnte.

Vielleicht will ich aber auch selbst irgendwann wieder in anderen Strukturen arbeiten: mit Chef*in, fester Stundenzahl und Urlaubstagen. Denn: Selbstorganisation in allen Lebensbereichen ist anstrengend. Wir werden darauf in Schule und Studium nicht vorbereitet, weil die Gesellschaft andere Fähigkeiten von uns verlangt. Es ist gar nicht so leicht, mit anderen und vor allem mit mir selbst zu beratschlagen, ob ich für heute wohl genug getan habe und jetzt Feierabend machen kann.

Auch wenn ich das Okay meiner Gruppe habe und ich mit meiner Arbeit den Aufbau von nicht-kapitalistischen Strukturen unterstütze, merke ich doch hin und wieder, wer da oben immer noch auf meinem persönlichen Thron sitzt: die Arbeit. Zwar will ich anders tätig sein und anderen Bereichen meines Lebens mehr Aufmerksamkeit schenken. Ich will nicht arbeiten, um zu leben.

Trotzdem beschleicht mich immer mal wieder das Gefühl, versagt zu haben, weil ich keine »Karriere mache«. Ich ertappe mich dabei, mich schlecht zu fühlen, wenn mein Tag nicht zu einem Großteil aus Arbeit bestand. Blende ich meine Gruppe für einen Moment aus, dann arbeite ich im Grunde ziemlich prekär. Dafür schaffen wir es aber, überall kleine Risse ins kapitalistische System zu reißen. Ob wir damit irgendwann mal »erfolgreich« sein werden, weiß ich nicht. Dafür bräuchte es vielleicht auch eine neue Definition von Erfolg.

Regine Beyß lebt in der Kommune Villa Locomuna in Kassel. Sie beschäftigt sich mit Solidarischer und Gemeinsamer Ökonomie. Foto: 3dman_eu/pixabay.com

Geschrieben von:

Regine Beyß

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