Wirtschaft
anders denken.

Das alte Biest hat Gegenwind

02.11.2016
Mann mit Anzug läuft vor farbig gestreifter WandFoto: Matthias Uhlig / Flickr CC-BY 2.0 LizenzDa kommt Farbe ins Spiel. Es gibt viele Ideen, Wirtschaft anders zu denken.

Für die Novemberausgabe ist OXI auf die Suche gegangen nach den kleinen und größeren Anfängen einer Art anders zu wirtschaften.

»Die Krise des Kapitalismus – und das ist eine wichtige erste Feststellung, die es zu machen gilt – wird nicht durch die Handlungen seiner Kontrahenten bestimmt.« (Anselm Jappe in Utopie Magazin für Sinn und Verstand, 2. Ausgabe 2016)

Der Kapitalismus, das mehr als fünfhundert Jahre alte Biest, steckt in einer umfassenden Krise. Das ist eine gute Nachricht für unseren kleinen Planeten, dem unendliches Wachstum und Ausbeutung all seiner Ressourcen den Garaus zu machen drohen.

Weniger gut ist, dass die Alternativen zum bestehenden System zwar schon weit gedacht und klug überlegt sind, die bessere Gesellschaft aber bisher weder einen richtigen Namen hat, noch zeichnen sich in der Praxis deren Umrisse schon so deutlich ab, dass wir von einer tätigen Neugestaltung sprechen können. Nichtsdestotrotz werden das andere Leben und das andere Wirtschaften an vielen Orten ausprobiert. Und funktionieren.

Sand im Getriebe

Das andere Wirtschaften – das Titelthema der neuen Ausgabe unserer Zeitung OXI – bedient sich eines Behelfswortes. Andere reden wiederum von der Postwachstumsgesellschaft. Auch das ist ein Behelfswort. Post sagt ja nur, etwas geht zu Ende und dann wird etwas Neues kommen. Die Produktions- und Konsumzyklen des Kapitalismus sind krank und funktionieren nicht mehr wie geschmiert. Rückkehr in Vergangenes geht nicht. Was möglicherweise auch nicht geht ist der blinde Glaube, die Informationsgesellschaft und die mit ihr einhergehende immaterielle Produktion werde alle Mechanismen des Kapitalismus außer Kraft setzen, sein Ende besiegeln und dann wird alles gut.

Die Marktwirtschaft hat mal klein angefangen und in zweieinhalb Jahrtausenden durch innere und äußere Kolonialisierung fast die ganze Welt erobert. Die Ware ist zum Fetisch geworden und die Frage, ob wir anders leben können setzt eine Antwort auf die Frage voraus, ob wir es überhaupt wollen.

Der zu Beginn dieses Beitrages zitierte Philosoph Anselm Jappe beschreibt den aus seiner Sicht wahren Teufelskreis jeglicher Befreiung mit dem Satz: »Die Sklaven müssen für ihre Befreiung bereits befreit sein.« Der Historiker Jèrome Baschet nennt, was wir aktuell haben »Kapitulismus«.

Die Zeitung OXI ist für ihre Novemberausgabe auf die Suche gegangen nach den kleinen, manchmal schon größeren Anfängen einer Art zu wirtschaften, in der das Privateigentum an Produktions- und Tauschmitteln – also der bislang stabile Kern des Kapitalismus – durch andere Formen des Miteinander-Tuns ersetzt wird. Wir haben uns die Frage gestellt, ob es Bewegungen gibt, die für eine Post-Gesellschaft stehen, oder ob wir es »nur« mit einer bunten Vielfalt von Nischen zu tun haben, die der Kapitalismus verschmerzen kann. Mehr jedenfalls als die Tatsache, dass er tatsächlich an sich selbst unterzugehen scheint.

Die deprimierende Alltäglichkeit

Stellen diese Bewegungen und die verschiedenen, teils schon weit gediehenen Versuche, anders zu wirtschaften eine wirkliche Alternative dar? Sind Degrowth-Konferenzen, SOLIKON-Kongresse, Vernetzungsplattformen gemeinwohlorientierter ProduzentInnen, Fairphones und Genossenschaften, Wandelwochen und Gemeinwohlbilanzen zusammengenommen mehr als die Summe ihrer Teile?

Und können sie Menschen, die noch ganz woanders sind, Anstoß sein, herauszutreten aus ihrer deprimierenden Alltäglichkeit, die von der Sozialwissenschaftlerin Marianne Gronemeyer so beschrieben wird: »Abends, nach der Arbeit, sind die Produzenten Konsumenten, und noch wenn sie schlafen, konsumieren sie, garagiert neben ihren abgestellten Autos, gleichsam auf Transitstation ihre Unterbringung und produzieren an sich selbst so viel Erholung, dass sie anderntags wieder produzieren und konsumieren können.«

Wer behauptet, auf diese Fragen schon fertige Antworten zu haben, lügt entweder oder verwechselt Marketing mit Diskussion. Wer in diesen Zeiten die Fragen gar nicht erst stellt, muss mindestens ein Ignorant oder Verdränger par excellence sein.

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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