Wirtschaft
anders denken.

Anfang der 1970er Jahre wurde das Shareholder-Value-Konzept durchgesetzt – auch als Antwort auf die 68er-Bewegung

27.07.2018
KMJ , Lizenz: CC BY-SA 3.0

Das Shareholder-Value-Konzept hat seine Mission erfüllt. Die Offensive der Lohnabhängigen in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren wurde durch den neoliberalen Gegenangriff gestoppt; die Unternehmen wurden tiefgreifend restrukturiert, die Lohnabhängigen diszipliniert. Ein Beitrag aus dem Schwerpunkt der OXI-Printausgabe vom Juli.

Am 13. September 1970 kam Milton Friedman, einer der Vordenker des Neoliberalismus, in einem Artikel in der »New York Times« auf eine These zurück, die er schon 1962 in seinem Buch »Kapitalismus und Freiheit« vertreten hatte: Die einzige soziale Verantwortung eines Unternehmens sei, seine Profite zu steigern. 

Managern stehe es natürlich frei, so Friedman weiter, als Privatpersonen andere Ziele zu verfolgen, aber als Manager seien sie Angestellte und insoweit nur den Eigentümern ihrer Unternehmen verpflichtet, deren Ziel es im Allgemeinen sei, so viel Geld wie möglich aus ihrem Kapitaleigentum zu schlagen. Wenn Manager andere Ziele als die Profitmaximierung verfolgen würden, so würden sie dabei das Geld anderer Leute ausgeben. Der Manager, der soziale Ziele verfolge, erlege den Eigentümern de facto eine Steuer auf. Wenn die Männer der Wirtschaft selbst anerkennen würden, dass sie Arbeitsplätze schaffen, Preissteigerungen begrenzen, gegen Diskriminierung oder Umweltverschmutzung vorgehen müssten, so sei dies nichts anderes als Sozialismus und mit einer freien Gesellschaft unvereinbar. In diesem Moment werde die Trennung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen aufgehoben. Die Verwendung knapper Ressourcen werde nicht mehr durch Marktmechanismen, sondern durch politische Mechanismen bestimmt. So weit Friedman.

Seine Äußerungen müssen vor dem Hintergrund der damaligen Situation gesehen werden: Der lange Nachkriegsboom ging zu Ende, die Profitabilität des Kapitals sank, die Inflationsraten stiegen, der Krieg in Vietnam war mit immer höheren Kosten verbunden. 

Während die Verteilungsspielräume enger wurden, war die Gesellschaft in Aufruhr. Nicht nur die Studierenden rebellierten, sondern auch die Arbeiter: Die Krankenstände stiegen, es kam zu Sabotageaktionen im Arbeitsprozess und wilden Streiks. Dies alles steht hinter der Chiffre »1968«, an die in diesem Jahr wieder erinnert wurde. Friedman sah in dieser Situation offenbar den inneren Zusammenhalt der Kapitalistenklasse, ihren kollektiven Willen zur Profitmaximierung in Gefahr. 

Friedmans Text von 1970 markiert die Anfänge der Genealogie des »Shareholder-Value«-Konzepts, das maßgeblich von einem der Schüler Friedmans, Joel Stern, mitentwickelt wurde. Während einige der »Chicago Boys« unter der Militärdiktatur Pinochets in Chile Gelegenheit hatten, Friedmans Monetarismus in die Praxis umzusetzen, publizierte Stern in der »Financial Times« 1973-74 eine Serie von Artikeln, die auf ihre Weise zur neoliberalen Konterrevolution beitrugen. 

Dabei ist es nicht leicht, den sozialen Gehalt hinter der damals initiierten Diskussion über die Bedeutung finanzieller Maßzahlen und Konzepte der Unternehmensführung zu erkennen. Vordergründig erscheinen die Überlegungen von Joel Stern, Alfred Rappaport und anderen sehr technisch, doch sie haben eine Reihe von bedeutenden Implikationen für das Management von Unternehmen und zielen letztlich darauf, den Interessen der Kapitaleigner stärker Geltung zu verschaffen. 

Mit älteren Konzepten der finanziellen Unternehmenskontrolle teilt das Konzept des Shareholder Value die Sichtweise des Unternehmens als eines Bündels von Vermögensgegenständen und Investitionen. Überkommene finanzielle Kennziffern wie der »Return on Investment« oder der Gewinn pro Aktie gelten jedoch als zu wenig aussagekräftig, da die ihnen zugrunde liegenden bilanziellen Größen nahezu beliebig manipulierbar seien. Ferner könnten Investitionsentscheidungen nicht auf eine Analyse historischer Daten gestützt werden, notwendig sei vielmehr eine zukunftsbezogene Betrachtung. 

So soll der für die Zukunft erwartete Cash-flow, das heißt die Summe der Zahlungsströme eines Unternehmens, zur Grundlage von Investitionsentscheidungen gemacht werden. Der zur Verfügung stehende Cashflow, der sich aus dem Überschuss der Einzahlungen über die Auszahlungen ergibt, ist in der Regel höher als der buchhalterische Gewinn, denn Letzterer ist eine Restgröße, die sich ergibt, indem vom Cashflow unter anderem die Abschreibungen für vorgenommene Investitionen abgezogen werden. 

Die Verschiebung vom Bilanzgewinn zum Cashflow hat eine wichtige Implikation: Während beim Bilanzgewinn als Bezugsgröße und der Berücksichtigung von Abschreibungen immer schon mitgedacht ist, dass ein Unternehmen Ersatzinvestitionen vornehmen, also verbrauchte Maschinen und Anlagen ersetzen muss, um einen bestimmten Produktionsprozess fortzusetzen, wird mit dem Cashflow jeweils der Gesamtbestand an flüssigen Mitteln des Unternehmens als Verfügungsmasse betrachtet, die in unterschiedlicher Weise re­investiert oder auch an die Anteilseigner ausgeschüttet werden kann. Dies schließt prinzipiell auch die Möglichkeit der Auflösung existierender Produktionslinien oder Unternehmen ein. 

Das Shareholder-Value-Konzept berücksichtigt ferner den »Zeitwert« des Geldes, das heißt, es unterstellt, dass Geld als Kapital fungiert und sich im Laufe der Zeit vermehrt. Die Verfügung über eine Million Euro heute ist insofern mehr wert als die Verfügung über eine Million Euro in einem Jahr, kann man doch das Geld heute investieren und bekommt es in einem Jahr mit Zinsen zurück. 

Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine für die Zukunft erwartete Zahlung diskontiert, das heißt um den erwartbaren Zinssatz vermindert werden muss, wenn ihr »Barwert«, ihr Wert aus heutiger Sicht, ermittelt werden soll. Wird ein Unternehmen als Vermögensgegenstand beurteilt beziehungsweise werden verschiedene Investitionsmöglichkeiten verglichen, so muss jeweils der diskontierte Cashflow zugrunde gelegt werden, den das investierte Kapital erbringt. 

Die entsprechend der Kapitalzusammensetzung eines Unternehmens gewichteten Zinsen für das Eigen- und Fremdkapital stellen aus der Perspektive des Shareholder-Value-Konzepts die »Kapitalkosten« dar, sie implizieren eine Mindestrendite, die erreicht werden muss. »Wert« wird aus der Sicht der Shareholder-Value-Apostel nur dann produziert, wenn die realisierte Rendite über der Mindestrendite liegt, das heißt, wenn eine überdurchschnittliche Rendite erwirtschaftet wird. Eine unterdurchschnittliche Rendite gilt bereits als »Wertvernichtung«. Stellte die Eigenkapitalrendite zuvor eine Restgröße dar, so zielt das Shareholder-Value-Konzept darauf, den Eigenkapitalgebern gleichsam ein »garantiertes Mindesteinkommen« zuzusprechen. 

Das Shareholder-Value-Konzept beinhaltet allerdings kein spezifisches Rationalisierungskonzept: Wie Shareholder Value produziert werden soll, bleibt weitgehend offen. Seine Dynamik gewann es erst durch die konkrete historische Konstellation, in der es mit anderen Managementkonzepten wie »Lean Production«, »Business Re-engineering«, »Activity Based Costing« oder »Target Costing« kombiniert wurde. 

Anfang der 1980er Jahre hatten sich die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit in den USA so weit verändert, dass das Shareholder-Value-Konzept in die Praxis umgesetzt werden konnte. Der Marktwert des Aktienkapitals einer Reihe US-amerikanischer Unternehmen war infolge der damaligen Stagflation unter ihren Buchwert abgesunken. Dies war Auslöser für eine Welle von kreditfinanzierten feindlichen Übernahmen, durch die etliche große Konglomerate zerschlagen wurden, um deren Einzelteile gewinnbringend zu verkaufen. 

Das Shareholder-Value-Konzept lieferte dafür die ideologische Rechtfertigung, denn es implizierte eine prinzipielle Skepsis gegenüber diversifizierten Unternehmen: Warum sollte es Managern gestattet sein, das Geld der Aktionäre in die Diversifikation von Unternehmen zu investieren, wenn die Aktionäre doch selbst Aktien von Unternehmen verschiedener Branchen kaufen konnten, falls sie es wollten? 

Es gehört zu den Widersprüchen der Geschichte des Shareholder-Value-Konzepts, dass ausgerechnet Jack Welch, der damalige CEO von General Electric (GE), als Praktiker des Shareholder-Value-Konzepts gefeiert wurde. GE war und ist eines der weltweit größten Konglomerate. Welch betrieb einen systematischen Kauf und Verkauf von Unternehmensteilen und trieb damit den Aktienkurs von GE erfolgreich in die Höhe, doch er dachte nicht daran, den Konzern in seine Einzelteile aufzulösen. 

Nicht nur GE war ein Beweis dafür, dass diversifizierte Unternehmen sich durchaus unter dem Druck der Kapitalmärkte behaupten konnten. Ende der 1980er Jahre endete die Welle kreditfinanzierter Übernahmen in den USA mit der Pleite von mehr als 1.000 Sparkassen, die sich an der Spekulation mit den in großem Umfang emittierten hochriskanten Unternehmensanleihen beteiligt hatten. Der »Junk-Bond-König« Michael Milken, der für die Investment-Bank Drexel Burnham Lambert das Geschäft mit fremdfinanzierten Übernahmen maßgeblich vorangetrieben hatte, wurde 1989 wegen Finanzbetrugs angeklagt, zahlte mehrere hundert Millionen Dollar Strafe – und ist heute immer noch Milliardär. 

Der amerikanische Staat, der Anfang der 1980er Jahre mit der Deregulierung des Bankwesens die Voraussetzungen dafür geschaffen hatte, dass die Sparkassen sich an der Anleihespekulation beteiligen konnten, kam schließlich mit 125 Milliarden Dollar für deren Verluste auf. 

Die eigentliche große Zeit des Shareholder-Value-Konzepts sollte jedoch mit der Ära der »Globalisierung« nach dem Fall des »Eisernen Vorhangs« erst noch kommen. In den 1990er Jahren wurde das Konzept auch in Deutschland und anderen Ländern entdeckt. 

Auch hier war es Teil der ideologischen Ausstattung, die dazu beitrug, die Anpassung an veränderte Weltmarktbedingungen durchzusetzen. Um der verschärften Weltmarktkonkurrenz standzuhalten und die Chancen der Globalisierung zu nutzen, konzentrierten sich die Unternehmen zunehmend auf sogenannte Kerngeschäfte und Kernkompetenzen. Die Konzerne überließen Zulieferern wachsende Teile ihrer Produktion und setzten die frei werdenden Ressourcen für ihre internationale Expansion ein – oder für Aktienrückkäufe und höhere Dividendenausschüttungen, die die Aktienkurse in die Höhe treiben sollten. Damit reagierten sie auf den wachsenden Druck der institutionellen Kapitalanleger, die den Erfolg der Unternehmen an den Quartalsberichten messen und ihre Aktien entsprechend der Gewinnerwartungen kurzfristig umschichten. 

Während der Aktienmarkt für die Finanzierung der Unternehmen gegenüber der Finanzierung durch einbehaltene Gewinne oder Kredite eine untergeordnete Rolle spielt, ist er als »Markt für Unternehmenskontrolle« von Bedeutung. Ein hoher Aktienkurs ist für Aktiengesellschaften wichtig, um feindliche Übernahmen abzuwehren und selbst eine aktive Rolle bei Fusionen und Übernahmen spielen zu können. 

Im Gegensatz zu heute galt in den 1990er Jahren Deutschland als der »kranke Mann« Europas. Neoliberale Umstrukturierungskonzepte gewannen bis in die SPD und die Grünen hinein an Einfluss. Dazu gehörte auch die gezielte politische Förderung der Kapitalmärkte durch eine Reihe von »Finanzmarktförderungsgesetzen« und die Orientierung am Shareholder Value im Bereich der Unternehmensführung. Die langfristigen Verbindungen zwischen Banken und Industrie im Rahmen der »Deutschland AG« gerieten in Verruf. Große Konzerne wie Mannesmann oder die Hoechst AG wurden zerlegt und verkauft; die Großbanken agierten nicht länger als »geduldige Aktionäre«, die mit den Unternehmen vor allem als Kreditgeber langfristig verbunden waren, sondern bewirtschafteten ihren Aktienbesitz zunehmend unter dem Gesichtspunkt der kurzfristigen Steigerung der Aktienrendite. 

Die kommerzielle Nutzung des Internets und der damit verbundene »New Economy«-Diskurs führten in den späten 1990er Jahren zu einem Boom der Aktienmärkte, der im Jahr 2000 in einem Crash endete, als klar wurde, dass viele der neu gegründeten »Dotcom«-Unternehmen, die an die Börse gegangen waren, niemals Gewinne erwirtschaften würden. 

Mit dem Platzen der »New Economy«-Blase wurden auch die problematischen Implikationen der Shareholder-Value-Orientierung deutlich: Erstens können die zukünftig erwarteten Cashflows und die in die Diskontierung eingehenden Risikoaufschläge nahezu beliebig festgesetzt werden. Zweitens treibt das zugrunde gelegte Konzept der Kapitalkosten die Unternehmen tendenziell dazu, Eigenkapital durch Fremdkapital zu ersetzen, also die Verschuldung zu erhöhen. 

Drittens begünstigt das Konzept kurzfristig orientierte Strategien des Downsizings und der Ausschüttung von Kapitalerträgen. Viertens haben sich die von den Vertretern des Shareholder Value befürworteten aktienbasierten Anreizsysteme wie Aktienoptionsprogramme, die eigentlich dazu dienen sollten, das Managerinteresse mit dem Aktionärsinteresse zur Deckung zu bringen, vor allem als Instrumente einer gesteigerten Selbstbereicherung des Managements erwiesen. Die extremen Konsequenzen einer kapitalmarkt­orientierten Unternehmensführung machten zahlreiche Bilanzskandale und Bankrotte von Unternehmen wie Enron, Worldcom und so weiter deutlich, die zuvor gerade als vorbildliche Produzenten von Shareholder Value gegolten hatten. 

Inzwischen ist es still geworden um das Shareholder-Value-Konzept. Dies erklärt sich nicht nur mit den Verwerfungen im Zuge der ökonomischen Krisen der letzten beiden Jahrzehnte. Es gehört auch zu dem Geschäft von Consulting-Unternehmen, ständig neue Managementkonzepte zu entwickeln und zu verkaufen. Das Shareholder-Value-Konzept unterliegt, soweit seine Propagierung Teil des Geschäfts der Beratungsfirmen war, diesem Lebenszyklus. 

Selbst ehemalige Verfechter dieses Konzepts wie Jack Welch sehen es heute kritisch. Die Vorstellung, dass Unternehmen verschiedene »Stakeholder« haben, gewinnt wieder an Einfluss. Allerdings ist dies eher eine Konsequenz der inneren Widersprüche der Kapitalverwertung als ein Resultat progressiver Verschiebungen der Kräfteverhältnisse. 

Im Gegenteil: Das Shareholder-Value-Konzept hat seine Mission erfüllt. Die Offensive der Lohnabhängigen in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren wurde durch den neoliberalen Gegenangriff gestoppt; die Unternehmen wurden tiefgreifend restrukturiert, die Lohnabhängigen diszipliniert. Es bleibt einer zukünftigen Generation vorbehalten, erneut die grundlegende Frage aufzuwerfen, wer die Unternehmen beherrschen soll und welchen Zielen sie dienen sollen. 

Thomas Sablowski ist promovierter Politikwissenschaftler und arbeitet als wissenschaftlicher Referent für politische Ökonomie der Globalisierung am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Geschrieben von:

Thomas Sablowski

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