Wirtschaft
anders denken.

»Arbeitgeber können es sich leisten, höhere Löhne zu zahlen«: Wie weiter mit dem Mindestlohn?

29.06.2018
Lowdown , Lizenz: CC BY-SA 3.0Aus der Vorzeit des Mindestlohns: Bei einer Aktion 2007

Wie weiter nach einer Mindestlohn-Erhöhung, die von vielen als zu niedrig angesehen wird? Es wird darum gehen müssen, die Debatte über Ungleichheit insgesamt voranzutreiben – und den Einfluss einer vorherrschenden ökonomischen Sichtweise zurückzudrängen. 

Die Entscheidung der zuständigen Kommission zur Anhebung des Mindestlohns in zwei Schritten hat kurz für Schlagzeilen gesorgt. Ab dem 1. Januar 2019 soll die Mindestvergütung 9,19 Euro betragen, ein Jahr später steigt sie auf 9,35 Euro – so die Empfehlung, deren Umsetzung zwar noch aussteht, worüber es aber keine Zweifel gibt. Ist das Thema nun wieder zu den Akten gelegt, bis wieder eine turnusmäßige Erhöhung ansteht? Das wäre nicht besonders klug. Denn es gibt gleich mehrere Baustellen, und was dort zur Bearbeitung vorliegt, geht über den so üblichen wie berechtigten Hinweis hinaus, dass auch ein wie eben beschrieben angehobener Mindestlohn sein Ziel verfehlt, ein »Mindestschutz« zu sein, da er schlicht zu niedrig ist. Nur, wie ändert man das?

Einen Hinweis gibt Reinhards Bispinck, der langjährige frühere Leiter des WSI-Tarifarchivs: »Dass die Gewerkschaften überhaupt mehr durchsetzen konnten als das Statistische Bundesamt vorgerechnet hatte, hängt zweifellos mit der Politisierung des Themas zusammen. Seit geraumer Zeit ist die Verteilungsfrage zurück auf der politischen Agenda. Der nach wie vor große Niedriglohnsektor, die anhaltende soziale Spaltung und die um sich greifende soziale Unsicherheit haben in der Gesellschaft ihre Spuren hinterlassen. Die Bereitschaft, neue und weiterreichende Lösungen zur Bewältigung der sozialen Probleme in Betracht zu ziehen, ist zweifellos gewachsen. Die kommenden zwei Jahre sollten genutzt werden, um die Mindestlohndebatte in diesem Sinne voranzutreiben.« 

Bispincks kurzer Bilanzbeitrag zur aktuellen Anhebung ist auch aus anderen Gründen lesenswert, weil er das gesamte Problem in seiner Widersprüchlichkeit in den Blick nimmt. Dazu gehört auch, die real existierenden Fortschritte nicht zu verschweigen, wie es in mancher Reaktion aus dem parteipolitischen Betrieb gern getan wird, wo dann ausschließlich betont wird, dass es sich bei der aktuellen Untergrenze nur um einen »Armutslohn« handelt. Das stimmt, aber es stimmt eben auch, dass es vor 2015 gar keine Untergrenze gab und der Mindestlohn »zu deutlichen Steigerungen des Stundenlohns am unteren Rand der Stundenlohnverteilung geführt« habe, wie der Mindestlohnbericht formuliert – dies vor »insbesondere für Beschäftigte in Ostdeutschland und in Kleinbetrieben, geringfügig Beschäftigte, gering Qualifizierte und Frauen«, wie Bispinck hinzufügt. »Damit ist ein wichtiges Ziel des Mindestlohns zumindest im Ansatz erreicht.« Es erscheint politisch sinnvoll, auch diese Seite nicht ganz unter den Tisch fallen zu lassen, weil es zeigt, dass sich soziale Kämpfe und politische Auseinandersetzung durchaus lohnen können.

»Zweitens: Alle Befürchtungen und teils hysterischen Prognosen über die vermeintlich katastrophalen Beschäftigungswirkungen der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes haben sich nicht bestätigt«, schreibt Bispinck. Beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, immerhin die Forschungseinrichtung der Bundesagentur, hieß es schon zuvor: »Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es durch den Mindestlohn kaum zu negativen Externalitäten in Bezug auf die Beschäftigung gekommen ist und sich damit die Befürchtungen einiger Ökonomen im Vorfeld der Mindestlohneinführung nicht bestätigt haben. Insgesamt entsprechen die Befunde nicht dem, was bei einer rein neoklassischen Sicht auf den Arbeitsmarkt zu erwarten gewesen wäre. Demnach hätte ein bindender Mindestlohn zu einem flächendeckenden Beschäftigungsabbau führen müssen.«

Hier liegt ein weiterer wichtiger Punkt der ganzen Debatte: Nicht nur der viel zu niedrige Einstieg in den Mindestlohn ist auch Ergebnis der Hegemonie bestimmter ökonomischer Denkweisen. Die Wirkung des jahrelangen Dauerfeuers von medial verbreiteten Warnungen, der Mindestlohn werde Arbeitsplätze vernichten, die Wirtschaft schädigen und was sonst noch alles prognostiziert wurde, ist nicht zu unterschätzen. Vor allem, wenn man einmal den wirtschaftspolitischen und ökonomischen Sachverstand der politischen Entscheidungsebene mit in die Überlegung einbezieht – da wird sich gern in den Windschatten der als prominent geltenden »führenden Ökonomen« gestellt. Und unter denen wurde gern und lauthals vor dem Mindestlohn gewarnt.

Sebastian Dullien hat nach der Mindestlohn-Empfehlung der Kommission auf Twitter daran erinnert. Es »wäre schön, dazu vom Sachverständigenrat und dem ifo-Institut etwas Selbstkritischeres zu lesen als ›Im Großen und Ganzen hatten wir beim Mindestlohn recht‹, hofft der Berliner Ökonomie-Professor dort. 2014 habe das ifo-Institut »lautstark den Verlust von bis zu 900.000 Jobs durch Mindestlohn« prognostiziert. »Wo ist jetzt die kritische Evaluation der Methoden?«, fragt Dullien.  

Guntram Wolff, der Direktor von Bruegel, nennt das eine »interessante Debatte zum Mindestlohn. Ein stringentes Papier, dass die Vorhersagen und Methodik aufarbeitet, wäre gut. Negative Effekte scheinen ja schwächer als von ifo vorhergesagt, die Frage ist warum? Bessere Konjunktur? Falsches Modell etc?« Der Wirtschaftsweise Lars P. Feld konterte: »Es hilft auch, wenn Kritiker sich die Methodik anschauen«, das ifo-Institut »schätzt langfristige Effekte. Im« Schverständigenrat »sind wir kurzfristig von 100.000 weniger Stellen ausgegangen. Das IAB belegt Arbeitsplatzverluste von 60.000 für das erste Jahr.«

Inzwischen ist eine weitere Studie über die »Regionalen Auswirkungen des deutschen Mindestlohns« erschienen. In dem Diskussionspapier des Enter for Economic Policy Research geht es um ökonomisch eher schwache Regionen und darum, welche Auswirkungen der Mindestlohn hier hatte. Ergebnis: »Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass der Mindestlohn wie erwartet die Löhne von Beschäftigten im Niedriglohnsektor signifikant erhöht hat, insbesondere in Regionen, welche ein niedriges durchschnittliches Lohnniveau aufwiesen. Entgegen den im Vorfeld der Einführung vielfach geäußerten Befürchtung, kam es in diesen Regionen jedoch nicht zu einer Verringerung der Beschäftigung oder einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Offensichtlich konnten die Unternehmen die Löhne erhöhen ohne Arbeitsplätze abbauen zu müssen.«

Gerade für diese Regionen hatte es im Vorfeld der Einführung ja vielfache Befürchtungen gegeben, »dass aufgrund des relativ hohen einheitlichen Mindestlohns, Regionen mit niedrigeren Löhnen von der Einführung des Mindestlohns negativ betroffen sein könnten. Erwartet wurde ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, da die Unternehmen ihre Lohnkosten nicht erhöhen könnten. Weiterhin wurde befürchtet, dass es durch erhöhte Arbeitslosigkeit zu einer verstärkten Abwanderung aus diesen Region kommen würde.« 

Gabriel Ahlfeldt von der London School of Economics und der TU Berlin bringt es auf einen wichtigen Punkt: »Die Tatsache, dass wir von der Politik erzwungene Lohnerhöhungen ohne Arbeitsplatzverluste beobachten, bedeutet wohl, dass viele Beschäftigten unter ihrem Grenzprodukt entlohnt wurden. Dies steht nicht im Einklang mit dem Standardmodell der Arbeitsökonomie und legt nahe, dass Arbeitgeber es sich leisten konnten, höhere Löhne zu zahlen.«

Foto: Lowdown / CC BY-SA 3.0

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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