Wirtschaft
anders denken.

It’s the world market, stupid!

15.08.2022
Zwei Roboter schrauben an einem halbfertigen Auto auf einer ProduktionsstraßeFoto: Lenny KuhneNicht so sauber, wie es aussieht: Die Autoproduktion basiert auf globaler Ausbeutung.

Die globale Arbeitsteilung ist Ausdruck der imperialen Konstellation des automobilen Kapitalismus. Auszug aus einer Broschüre zum Imperialismus der Autoindustrie.

Große Konzerne sind international agierende und produzierenden Akteure. Auch in der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre existiert die internationale Arbeitsteilung als Kategorie: Die Komplexität moderner Produktion erfordere ein Maß an Arbeitsteilung, in dem einzelne Produktionsschritte dort verrichtet werden, wo die Bedingungen für den entsprechenden Schritt am günstigsten sind. Diese Bedingungen können natürliche oder geografische Faktoren sein, wie das Vorkommen von Bodenschätzen, die geografische Lage eines Produktionsstandortes oder sein Zugang zu logistischer Infrastruktur. Gleichzeitig gehören zu den Bedingungen aber auch soziale und politische Faktoren. Arbeitsschritte, die ein geringes Maß an Spezialisierung erfordern werden deshalb immer wieder »Out-Gesourced« in Länder mit niedrigem Lohnniveau und geringem gewerkschaftlichem Einfluss. Insgesamt machen diese Produktionsbedingungen also aus, wie attraktiv ein Standort für einen Konzern ist. Und die Rechnung ist klar: Je weniger Arbeitsschutz, Lohn und Rücksicht auf natürliche Ressourcen, desto lukrativer ist die Eröffnung eines Produktionsstandortes aus der Sicht des Kapitals. Das Arrangement dieser Faktoren ist aber keinesfalls eine zufällige Konstellation: Vor allem die sozialen und politischen Bedingungen der Produktion sind die Ergebnisse historischer Klassenkämpfe. Sie sind das Ergebnis von Auseinandersetzungen um Produktion, Verteilung, Arbeit und die natürlichen Ressourcen. Jedes noch so kleine bisschen mehr an Rücksicht auf Mensch und Natur mussten kämpfende Lohnabhängige dem Profitmaximierungstrieb des Kapitals abringen. Ob Länder also aus Kapital-Perspektive günstige Bedingungen für die Vernutzung von Arbeitskraft haben, ist eine Frage nach vergangenen Kämpfe und vor allem danach, wer sie gewonnen hat.

Im viel beachteten Buch »Die offenen Adern Lateinamerikas« fasste der uruguayische Journalist Eduardo Galeano die historische Entwicklung der globalen Arbeitsteilung zwar grob schematisch, aber insgesamt richtig zusammen: Am Beispiel der Silbermine in Potosí, im heutigen Bolivien, vollzieht er nach, dass die sogenannte »ursprüngliche Akkumulation«, also die Entwicklung des Kapitalismus aus der feudalen Gesellschaftsordnung in Europa einherging mit einem globalen Dreieckshandel. Aus den europäischen Zentren, zunächst in Spanien und Portugal starteten die »Expeditionen«, um auf dem afrikanischen Kontinent Menschen zu versklaven und als völlig entrechtete Arbeitskräfte nach Lateinamerika zu verschiffen, wo sie in den Minen oft unter Einsatz ihres Lebens die Bodenschätze abbauten, die von den frühen europäischen Kapitalisten importiert wurden und ihnen zu Macht und Reichtum verhalfen. Grob vereinfacht gesagt fand also der erzwungene Austausch statt, in dem aus Europa die kriegerischen und finanziellen Mittel, aus Afrika die menschliche Arbeitskraft und aus Lateinamerika die natürlichen Ressourcen eingesetzt wurden. Die sogenannte globale Arbeitsteilung ist also seit ihrem Beginn eine Geschichte von Unterdrückung, Kolonisation und Gewalt. Auch wenn die Erklärung sehr schematisch ist und sicher ihre Schwachstellen hat, ist der Grundgedanke ein unverrückbar richtiger: Die globale Arbeitsteilung war nie ein freiwilliger oder gleichberechtigter Austausch. Durch den Kolonialismus wurden von Beginn an Bedingungen geschaffen, durch die ein gleichberechtigter Austausch auf dem Weltmarkt gar nicht erst möglich war. Diese historische Hypothek konnte niemals bezahlt werden, die geopolitischen und ökonomischen Konsequenzen bestehen bis heute fort. Unter anderem dieses Ungleichgewicht meinen wir, wenn wir von vergangenen Kämpfen sprechen und warum entscheidend ist, wer sie gewonnen hat.

Das bedeutet, dass der Welthandel auf einem gleich doppelt ungleichen Tauschverhältnis beruht. Im Kapitalismus findet Handel dann statt, wenn er einen Mehrwert einstreicht, die ursprüngliche Investition also vergrößert. Ansonsten würde sie sich aus der Perspektive des Kapitals nicht lohnen. Zur Produktion von Waren, also von Gütern, die auf dem Markt getauscht werden, ist dabei eine doppelte Verausgabung nötig: die von menschlicher Arbeitskraft und die von natürlichen Ressourcen. Im Arbeitsprozess stellt also ein*e Kapitalist*in Arbeiter*innen an, die für den*die Kapitalist*in Waren produzieren und dabei einen bestimmten Umfang natürlicher Ressourcen vernutzen. Die Arbeiter*innen, die um ihrer eigenen Reproduktion willen dazu gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, sind nicht dazu in der Lage, ihre soziale Lage individuell zu verbessern, da der von ihnen produzierte Mehrwert nicht ihnen zufällt, sondern von der*dem Kapitalist*in abgeschöpft wird. Dieses Ausbeutungsverhältnis ist Grundstein und Garant des kapitalistischen Klassenverhältnisses zugleich und damit die eine Seite des ungleichen Tauschverhältnisses. Die viel beschworene »soziale Mobilität«, der American Dream vom Tellerwäscher zur Millionärin ist eben aufgrund dieses Verhältnisses eine Sache, die es in Hollywood geben mag, in der Realität aber nicht.

Auf der anderen Seite ist ein Tausch im Maßstab des Weltmarktes immer gebunden an die lokalen, regionalen und nationalen Gegebenheiten von Produktion, aber auch an die Verbindungen, Abhängigkeiten und Verträge zwischen Staaten. Die Staaten begegnen sich auf dem Weltmarkt als »ideelle Gesamtkapitalisten«. Das bedeutet, dass sie danach trachten, dem Kapital, dass auf ihrem Territorium ansässig ist, die denkbar besten Bedingungen zu verschaffen, damit es nicht abwandert. Dabei kann ein Staat auch mal gegen das Interesse eines Konzerns handeln, im Blick hat er stets das Gesamtarrangement der ansässigen Kapitalfraktionen. Er ist eben Staat des Kapitals, nicht einfach Staat der Kapitalist*innen. Durch die koloniale Überausbeutung der sogenannten kapitalistischen Peripherie, also des globalen Südens, sind die Startbedingungen derart ungleich, dass von einem freiwilligen Tausch auf Augenhöhe auch in diesem Sinne nicht zu sprechen ist. Anders wäre nicht zu erklären, warum Länder mit starkem Rohstoffvorkommen wie der Kongo nicht den Weltmarkt anführen, brächten sie doch formal gesehen alles mit, um eine starke Exportwirtschaft aufzubauen. Die koloniale Überausbeutung hat derart starke Pfadabhängigkeiten geschaffen, dass die Rollen auf dem Weltmarkt – bis auf einige Ausnahmen – seitdem relativ klar verteilt sind. Es sind diese ungleichen Startbedingungen, welche die Vormachtstellung des globalen Nordens im Welthandel historisch über ein massives Gewaltverhältnis begründen. Diese systematische Ungleichheit führt dazu, dass im Rahmen globaler Lieferketten Länder des globalen Südens gar nicht dazu in der Lage sind, eigenständig Löhne oder Arbeitsbedingungen zu verbessern, da es sich für globale Konzerne ansonsten nicht mehr lohnen würde, in diesen Ländern zu produzieren. Das Gerede der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre von den optimalen Produktionsbedingungen an den jeweiligen Standorten differenzierter globaler Produktionsketten ist vor diesem Hintergrund nichts als menschenverachtender Zynismus. Die miesen Arbeitsbedingungen auf den Lithiumfeldern Chiles, in den Coltan-Minen im Kongo oder den etwa 40.000 Zulieferbetrieben von VW sind dabei kein Nebeneffekt, sondern Grundlage des wirtschaftlichen Erfolges der jeweiligen Unternehmen. 

Vor diesem Hintergrund ist es der Automobilindustrie möglich, in Deutschland als einer der sichersten und sozial verträglichsten Arbeitgeber aufzutreten: Die Facharbeiter*innen bei VW in Wolfsburg oder Daimler in Stuttgart erhalten verhältnismäßig hohe Löhne und arbeiten unter relativ guten Arbeitsbedingungen. Auch wenn über jedem deutschen Werk das Damoklesschwert des Outsourcing baumelt, sind die Bedingungen in deutschen Werken mit denen in den Zuliefererbetrieben in Osteuropa oder im globalen Süden nicht vergleichbar. Gleichzeitig lassen sich insbesondere die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften immer wieder im Sinne der Sicherung von Arbeitsplätzen am deutschen Standort zu Deals mit den Konzernleitungen erpressen. Aber dazu an späterer Stelle mehr.

Die globale Arbeitsteilung ist Ausdruck einer imperialen Konstellation auf einem Arbeitsmarkt, der fast genauso grenzenlos agieren kann, wie das Kapital selbst. Diese imperiale Konstellation ist derart fest ökonomisch abgesichert, dass in den aller seltensten Fällen noch militärische Unterdrückung nötig wird, auch wenn sie als Drohgebärde fortbesteht und auch bestehen muss.

Der vorliegende Text ist ein Auszug aus der Broschüre »Zur imperialen Dimension des automobilen Kapitalismus« der kommunistischen Gruppe »Antifa AK Köln«. Sie lässt sich hier als PDF herunterladen oder frei per Mail bestellen.

Geschrieben von:

Antifa AK Köln

Kommunistische Gruppe

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