Ghosting oder Tang Ping
Gehen dem globalen Kapitalismus die Arbeiter:innen aus? Kolumne aus OXI 2/22.
Das Nö Theater in Köln vertont monatlich die arbeitsunrecht-Kolumne aus OXI. Sie wird in der Radiosendung arbeitsunrecht FM ausgestrahlt, die jeden 1. und 3. Mittwoch des Monats auf Radio Dreyeckland läuft.
Sowohl die linksradikale, operaistische Zeitschrift »Wildcat« als auch die konservative, marktradikale FAZ berichten neuerdings über eine Entwicklung, die den einen Hoffnung macht, gerade weil sie den anderen den Angstschweiß auf die Stirn treibt: Arbeiter:innen und Angestellte haben zunehmend keinen Bock mehr. Sie verduften, ohne Adieu zu sagen (auf Englisch Ghosting), oder legen sich flach hin (auf Chinesisch: Tang Ping). Und sie werden knapp. Was ihre Macht erheblich vergrößert.
Wenn im Feuilleton der FAZ das »Recht auf Faulheit« des ungeliebten Marx-Schwiegersohns Paul Lafargue zitiert wird, muss es schon weit gekommen sein. Es scheint, als würde der Mörtel langsam rissig, der das Gebäude der Herrschaft zusammenhält: Der Glaube an die Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit, wie auch des großen Ganzen, zerbröselt. Pandemie und Lockdown haben den Trend geboostert. Die Demografie gibt dem Ganzen zusätzlich Zunder – Frauen kriegen keine Kinder mehr, auch in China nicht, Babyboomer gehen bald in Rente. Und durch geschlossene Grenzen fehlt den Knochenmühlen, optimierten Wertschöpfungsketten und bürokratischen Apparaten dringend notwendiger menschlicher Nachschub.
Aus den USA dringen Schreckensmeldungen herüber – im November 2021 sollen laut US-Statistikbehörde 3,6 Millionen Beschäftigte mehr den Job quittiert haben als im Vergleichsmonat 2019. Niemand weiß, wo sie bleiben. Die SZ schreibt: »Einerseits liegt die Zahl der Beschäftigten um 5 Millionen niedriger als zu Beginn der Pandemie, andererseits gibt es seit Monaten unverändert um die 10 Millionen offene Stellen.« Eine schlüssige Erklärung bleibt die Presse bislang schuldig.
Und immer mehr Beschäftigte verschwinden von einem Tag auf den anderen spurlos. Der Begriff Ghosting, der ursprünglich aus dem Online-Dating kommt – Kommunikationsabbruch nach lebhaftem Kontakt –, hat es in die Personalabteilungen geschafft.
Nicht nur aus den maroden USA, auch aus dem aufstrebenden China ist Ähnliches zu hören. Das wiederum freut die angloamerikanische Presse (BBC, »New York Times«, »Independent«, »Guardian« etc.) dermaßen, dass in Ermangelung unabhängiger chinesischer Quellen eine gewisse Vorsicht angebracht ist. »Wildcat« erklärt das Phänomen Tang Ping (»sich flach hinlegen«), das sich im chinesischen Internet seit April 2021 angeblich viral ausbreitet und dessen Schriftzeichen 躺平 von der weisen kommunistischen Führung schon verboten worden sein sollen, wie folgt: »Es ist eine neue Metapher für das Verweigern des sozialen Konkurrenzdrucks. […] Tang Ping heißt, (in seltenen Fällen) gar nicht zu arbeiten, die meisten machen Teilzeit oder jobben hin und wieder, andere machen ganz unambitioniert Arbeit nach Vorschrift.«
Willkommen im Club! Falls wir diesen Berichten Glauben schenken dürfen, machen die Chines:innen auch nichts anderes als die autonome BRD-Hausbesetzerszene in den 1980er Jahren. Konsumverweigerung und Easy Going plus ideologische Dissidenz. Das klingt sympathisch. Allerdings: Besonders viel kam nicht dabei raus, als Faulheit und Anti-Haltung regierten. Es gab jede Menge Randale, aber in der Nachbetrachtung doch recht wenig substanziellen künstlerischen oder erkenntnistheoretischen Ertrag. Eher waren wir Pioniere der Gentrifizierung und neuer Formen von elitärer Spießigkeit.
Und Deutschland heute? Ein junger Krankenpfleger, der nebenbei in meinen Stamm-Pub »The Lucky Pig« kellnert (weil er es lustiger findet, in Gesellschaft zu trinken und dafür bezahlt zu werden, als in der Pandemie zu Hause abzuhängen), erzählte, dass er jetzt doch lieber Polizist werden wolle. Meiner Vorhaltung, dort gebe es doch auch nur Überstunden und Stress, entgegnete er mit glaubhaften Schilderungen über Personalknappheit und Schikanen im Gesundheitswesen. In dem Fahrrad-Lieferdienst, für den meine Kollegin Ruth Wiess zur Abwechslung und aus Neugierde fährt, sagte ihr ein Gebäudereiniger der Wisag, dass er seinen Job bald schmeißen werde. Er sieht die Riders gemütlich abhängen oder bequem auf E-Bikes durch die Gegend radeln, für 12 Euro die Stunde mit unbefristeten Verträgen, während er selbst nur 11,50 verdient, dabei schuftet wie blöde und jede Menge unbezahlte Überstunden kloppen muss. Der Bruder eines guten Freundes macht die traditionsreiche Familienmetzgerei im Friesland demnächst dicht. Es fehlt nicht an Kundschaft, sondern an Arbeitskräften. Haben wir es hier mit einem globalen Trend, gar einer Zeitenwende zu tun? Ob sich die neoliberale Weigerung endlich rächt, angemessenen Lohn zu bezahlen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern? Es klingt schön, vielleicht etwas zu schön…
Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht und berät Betriebsräte und Gewerkschaften in strategischer Konfliktführung. Zusammen mit Ruth Wiess erforscht er Organisierung am Arbeitsplatz.
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