Wirtschaft
anders denken.

Die fabelhafte Vielfältigkeit der Arbeitsverweigerung

14.07.2023
Mann an einem Schreibtisch, mit verzweifelt gelangweiltem Gesischtsausdruck.Foto: Andrea Piacquadio Häufig fällt der Arbeitsalltag dröge und eintönig aus. Die Arten auf denen man ihm entfliehen kann, scheinen dagegen schier endlos.

»Sag alles ab!«
2015 erschien im Nautilus Verlag ein »Plädoyer für die Weltrevolution mit Stil«, herausgegeben vom Haus Bartleby (über den Schreiber gleichen Namens gleich im Anschluss des Vorspanns). Lebenslanger Generalstreik schien den Autor:innen die einzig vernünftige Antwort auf die Zumutungen kapitalistischer Produktionsweise. Den Anfang machte ein Text der ziemlich coolen Band »Deichkind«: Halt die Deadline ein, so ist’s fein!
Hol‘ die Ellenbogen raus, burn dich aus!
24/7, 8 bis 8, was geht ab, machste schlapp, what the fuck?!
Und im Vorwort der Autor:innen heißt es: »Als wir unsere Karrieren hinter uns gelassen hatten, öffnete sich der Horizont weit, wie nach einer hässlichen stürmischen Nacht.«
Es gibt viele Arten und Möglichkeiten, sich dem Ethos einer Arbeitsgesellschaft, deren Grundlage privates Eigentum und somit die Möglichkeit ist, andere für sich arbeiten zu lassen, zumindest in Teilen zu entziehen. Die sind begrenzt und ändern nichts am System. Es sei denn, sie arteten wirklich in einen massenhaften und lebenslangen Generalstreik aus. Bis es so weit ist, haben wir das 1,5-Grad-Ziel wahrscheinlich weit verfehlt und sind gezwungen, uns mit dem Generalstreik aller Ökosysteme zu arrangieren. Trotzdem schreiben wir: Nur Mut! Subversives Handeln ist ein Akt der Selbstbestimmung. Und Arbeit ist NICHT der Sinn des Lebens.

I would prefer not to
Herman Melville kennen diejenigen, die ihn kennen, eher seines Buches »Moby Dick« wegen.
»Bartleby der Schreiber« ist wohl nicht Pflichtliteratur. 1853 in zwei Teilen in einer Zeitschrift veröffentlicht, gab es die deutsche Erstübersetzung der Erzählung erst 1946 im Zürcher Arche Verlag. Kurz bevor das Wirtschaftswunder begann.
Die Erzählung ist schräg, Kritiker bescheinigten ihr kafkaeske Qualitäten. Ein Vergleich zwischen dem definitiv wahnsinnigen Käpt’n Ahab, der keine Mühe und Ausbeutung scheut, einen weißen Wal namens Moby Dick zu erlegen, und der völlig antriebslosen Hauptfigur Bartleby ließe sich höchstens in derer beider unendlicher Einsamkeit ziehen.

Die Geschichte:
Ein bereits älterer Anwalt und Notar berichtet von seinem Schreibgehilfen Bartleby. Still, einsiedlerisch, unambitioniert, ausdauernd arbeitet dieser fleißig und ausdauernd ab, was ihm aufgetragen ist. Er kopiert Verträge. Damals gab es noch keine Kopierer. Also schrieb er sie ab. Jede andere Tätigkeit verweigerte er mit den Worten: »Ich möchte lieber nicht.« Karriere will er nicht machen, arbeiten will er aber schon. Nur eben nicht mehr und nichts anderes und schon gar nichts, was interessanter oder karrierefördernder sein könnte.
Bartleby richtet sich in seinem Büro häuslich ein. Versuche, ihn loszuwerden oder abzufinden, scheitern. Stattdessen zieht der Arbeitgeber, der sich dem seltsamen Kauz irgendwie verbunden fühlt, aus der Kanzlei und sucht sich andere Räume. Sein Nachfolger ist weniger zimperlich, lässt den Schreiber abführen und ins Gefängnis werfen, wo Bartleby Nahrung und Kommunikation verweigert bis zum Tod. Angeblich hat der Schreiber in seinem früheren Leben in einem sogenannten »Dead Letter Office« gearbeitet, wo nicht zustellbare Briefe landen. Möglicherweise hat dieser Bullshit-Job, wie wir das heute nennen würden, einen irreparablen Schaden hinterlassen.
Literaturwissenschaftler sind sich sowieso nicht sicher, ob Bartleby nicht nur eine Imagination des Ich-Erzählers ist. Für diesen kleinen Text kann dies egal sein. Bartleby ist ein Karriereverweigerer par excellence gewesen. Bis zum Tod.

In die Tonne
Alle fangen mal klein an: Student:innen jobben in Kneipen, Schüler:innen räumen Supermarktregale ein. Viel Verantwortung wird ihnen nicht übertragen, die Tätigkeit bleibt eher simpel. Trotzdem geben auch solche Jobs, die sicherlich nicht nur von den zuvor genannten Gruppen ausgeführt werden, immer noch viel Spielraum, die Arbeitszeit bei gleichem Lohn zu reduzieren – und das nicht unbedingt durch mehr Effizienz.
Eine Anekdote: Frisch 14 Jahre alt möchte sich sicherlich der eine oder die andere Schüler:in das Taschengeld aufbessern und geht am Wochenende Werbeprospekte austeilen – so auch der Autor dieses Textes. Doch aller Start ist schwer und die Gebiete sind fest abgesteckt. Als Einsteiger:in bekommt man – ohne sich über die Konsequenzen bewusst zu sein – das Villenviertel der westdeutschen Kleinstadt zugewiesen. Weitläufige Wege für wenige Bewohner:innen riesiger Grundstücke. Das heißt: Viel Laufen für ein paar Cent pro Prospekt. Doch man macht sich das Wissen über den Arbeitsablauf zu eigen. Ein Haus steht gerade leer? Auf einem Anwesen wird zurzeit gebaut? Die Hausnummer existiert gar nicht mehr? Obwohl die oder der pflichtbewusste Zeitungsausträger:in dies natürlich meldet sollte, wird es klassenbewusst verschwiegen. Denn mehr Zeitungen bedeutet auch mehr Honorar. Das Ergebnis: Im Keller stapeln sich immer mehr nicht ausgetragene Zeitungsbündel, die in bunten Lettern für Tütensuppen im Hunderterpack oder Technikgerät in Höchstqualität werben. In den Hausmüll passen diese sicher nicht, ab zum Recyclinghof. Mutter stöhnt, was tut man nicht alles, um dem Kind Arbeitsethos im Kapitalismus beizubringen.

Totrecherchieren
Es gibt Themen, die sind keine. Aber wer sich als Journalistin in die Kommunikationsabteilung eines renommierten Wissenschaftsnetzwerks verirrt, hat das nicht zu entscheiden. Schon gar nicht, wenn der unmittelbare Vorgesetzte den in der strammen Hierarchie noch weiter oben angesiedelten Vor-Vorgesetzten vergöttert. Also wird aus jeder Meta-Studie folgsam eine Presserklärung verfasst und über den Verteiler versandt. Danach meldet das Mail-Programm zuverlässig so viele Fehler bei den Adressdaten und das »Einpflegen der Korrekturen« dauert Tage. Kostbare Zeit, in der sie sicher ist vor jeder anderen Aufgabe. Ganz so wie sie es schon im ersten Tageszeitungspraktikum bei der gehobenen Springerpresse gelernt hatte: Wo Widerspruch zwecklos ist, hilft Gründlichkeit. Die vor der Erfindung des Internets noch sehr viel mehr Zeit benötigte. Und ein unbedingtes Verlassen der Büroräume. Um in der Pressestelle höchst persönlich die Protokolle der Stadtratssitzung einzusehen. Ein anderer Kollege zu einer anderen Zeit pflegte jede Pressemitteilung der städtischen Hafenbehörde persönlich zu überprüfen. Vor Ort bei Wind und Wetter und Fischbrötchen und dem ein oder anderen Kurzen. Ein anderer, der nichts dagegen hatte, die langen Beine lange unter den Schreibtisch zu strecken, ließ sich gerne auch mal Akten aus dem Staatsarchiv kommen. Selbstverständlich solche, für die es eine Genehmigung braucht, deren Erteilung Wochen dauern konnte. Bis dahin hatten die jeweiligen Vorgesetzten meist vergessen, dass sie das betreffende Thema mal wichtig und dringend gefunden hatten. Oder die Konkurrenz war schneller und hat die Angelegenheit schon so ausgiebig breitgetreten, dass nichts mehr hinzuzufügen ist. Ansonsten lässt sich immer noch mit Fug und Recht behaupten man habe »das ja wirklich spannend klingende« Thema gründlich recherchiert und leider, leider sei alles anders und deshalb so keine Geschichte. Also jedenfalls noch nicht. Aber mit ein bisschen mehr Zeit ließe sich vielleicht ein Dreh finden… Welche:r Vorgesetzte, die oder der auf sich hält, hat schon die Zeit, das nachzuprüfen? Daran hat auch das Internet nichts geändert.

Nicht eine mehr
Keine Überstunden, keine nicht-vertraglich vereinbarte Arbeit – nur die Arbeit leisten, für die man bezahlt wird. Das beschreibt Quiet Quitting (dt. stilles Kündigen). Das Konzept, das insbesondere in den sozialen Medien viel diskutiert wird, suggeriert mitnichten, dass Menschen ihren Job nicht gerne machen oder gar kündigen. Vielmehr ist es die bewusste Entscheidung, dass die Arbeit nicht das Leben bestimmen, die Produktivität nicht über den Menschen an sich entscheiden sollte.
Bei 583 Millionen bezahlten und ca. 702 Millionen unbezahlten Überstunden im Jahr 2022 in Deutschland scheint diese Idee noch nicht in den Köpfen zu vieler Arbeitender angekommen zu sein. Das mag daran liegen, dass das Quiet Quitting vor allem von der Generation Z propagiert und praktiziert wird. Jene Generation, die mit Self Awarenes – dem Auf sich selbst Achten -, Einfordern von Teilzeitarbeit und Home Office, Workation (Verbinden von Reisen und Arbeiten) so manch ältere Kolleg:innen zum Verzweifeln und Kopfschütteln bringt. Andere empfinden das Verhalten als egoistisch und unkollegial.
Ist Quiet Quitting antikapitalistisch? Sich gegen das patriarchale System stellen, dass auf Ausbeutung ausgelegt ist, wird in der Vereinzelung in den meisten Fällen nicht funktionieren. Erst wenn sich viele zu einer »Rest Revolution« zusammentun, gemeinsam die stillschweigend vorausgesetzte unbezahlte Mehrarbeit be-streiken, und stattdessen ausruhen, kann ein Umdenken in der Arbeitswelt stattfinden. Einen Systemwandel wird dadurch aber wahrscheinlich nicht erreicht.
as

Flucht in die Mittagspause
“Die jungen Leute heutzutage wollen einfach nicht mehr richtig arbeiten” so rumort es wieder durch Arbeitgeberverbände und Supply Side think tanks weltweit. Das Problem? Eine weichgekochte Generation, die vor lauter Wohlstandsverwahrlosung gar nicht mehr den Wert eines ordentlichen Arbeitstages zu schätzen wissen, so zumindest berichtet meine Großtante von Schlagzeilen aus den “wilden 60ern”. Wenn man in den Archiven der Welt den Satz “Nobody wants to work anymore” sucht, wird man fündig – in so ziemlich jeder Epoche, in der das Zeitgeschehen festgehalten wurde. Und so werden auch heute dieselben Rufe von Vertretern des Kapitalinteresse wieder laut. Jedoch kommen die Prediger des Arbeitsmoralverfalls dieses Mal mit recht stichhaltigen Zahlen. Sowohl die Stundenproduktivität als auch der Mangel an Arbeitskraft hierzulande befinden sich auf Rekordtiefs. Natürlich kann man hinter dem Wiedererstarken solcher Diskurse den gezielten Versuch vermuten, Arbeitnehmerrechte gezielt zu attackieren – schließlich gehen mit der Thematik auch die Forderung einer Abkehr von der 40 Stunden Woche einher. Eine Forderung, die vor 20 Jahren noch ein Skandal gewesen wäre, sich heutzutage aber gemeinsam mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters in eine Reihe von Rückschritten in den Errungenschaften der Arbeitnehmer:innen-Schicht einreiht. Aber vielleicht spielt hier noch ein zweiter Faktor mit, eine andere allgemeingültige, recht banale Wahrheit: Arbeiten ist scheiße. Das gibt selbst die Ökonomik zu. Das klassische Konzept der Opportunitätskosten postuliert, dass der Verkauf der eigenen Arbeitskraft die Inkaufnahme von Disnutzen ist, um im Gegenzug “seinen zukünftigen Nutzen zu maximieren”. Auf Deutsch: um nicht zu verhungern oder auf der Straße zu landen. Die hohe Arbeitsproduktivität der Nachkriegsjahre ging mit einem Wohlstandsversprechen einher. Heute ist erben die einzige Art und Weise an Wohneigentum zu kommen. Sonntagsbraten und Auto haben als Statussymbol ausgedient und bei der unfassbar unsicheren Weltlage hat man von einem 200.000€ Einkommen herzlich wenig, wenn die Hütte in 10 Jahren sowieso abbrennt. Letztlich muss Mensch natürlich arbeiten, Verhungern ist schließlich keine Alternative, aber die Mittagspause mal eine halbe Stunde länger ausfallen zu lassen und die wichtige Mail erst morgen zu schicken, sind hier die letzte bleibende Flucht.

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