Arbeitsweltliche Zuspitzung und Rechtspopulismus im Betrieb
Die Betriebsratswahlen laufen. Rechtsradikale Listen sorgen für Schlagzeilen und machen Sorgen. Was geht da ab? Eine Studie von Dieter Sauer, Ursula Stöger, Joachim Bischoff, Richard Detje und Bernhard Müller über betriebliche Zustände als Nährboden für Rechtspopulismus schürft tief nach den Ursachen. Und macht klar, warum Solidarität in der Klasse wieder erfahrbar werden muss. Ein Auszug vorab.
Die Untersuchung liefert ein differenziertes Bild über den »Auftritt« des Rechtspopulismus in den Betrieben. Die Befragten berichten von einem breiten Spektrum, in dem der Rechtspopulismus im Betrieb sichtbar wird. Es reicht von der vorsichtigen Äußerung von Befürchtungen und Ängsten gegenüber Geflüchteten über deutlich fremdenfeindliche und rassistische Statements im Betrieb oder in den sozialen Medien bis zu offenen AfD-Aktivitäten und zur Infiltration der betrieblichen Interessenvertretung.
Durchgängig ist von einer »Klimaveränderung« die Rede, die mit der Fluchtbewegung 2015 einsetzt. Was an rechter Orientierung bei manchen schon immer vorhanden war, wird jetzt offener gezeigt und ausgesprochen. Die Aussagen gegenüber den Geflüchteten folgen meist einer einfachen Argumentation: »Die nehmen uns was weg.« In dieser fremdenfeindlichen Haltung wird ein Alltagsrassismus sichtbar, bei dem die Übergänge von provokanten, aber nicht fest im rechten Ressentiment verankerten Äußerungen bis zu verbalen rechtsradikalen Stigmatisierungen und Ausgrenzungen fließend sind.
Mehrere Vermittlungsschritte
Der Zusammenhang von betrieblichen Verhältnissen und politischen Orientierungen ist kein unmittelbarer, sondern erfolgt über mehrere Vermittlungsschritte. Und natürlich gibt es auch keine zwangsläufige Verbindung zwischen arbeitsweltlichen Verhältnissen und rechten Orientierungen.
Ausgangspunkt der Erzählungen der befragten Kolleg*innen ist zumeist eine Schilderung der betrieblichen Lage und ihrer konkreten Arbeitsbedingungen. In der Regel ist von Verschlechterung die Rede. Referenzpunkt ist dabei nicht eine Situation, in der pauschal »früher alles besser war«, sondern die Erfahrung fortwährender Umwälzungen. Als »krisenhaft« werden der fortwährende Druck und die permanente Unsicherheit von Beschäftigung, Einkommen und Arbeitsbedingungen verstanden. Als verursachender Hintergrund wird auf die beständige Restrukturierung der Abläufe im Betrieb verwiesen: Aufspaltungen, Verlagerungen, Standortkonkurrenz, Kostensenkungsprogramme, zunehmender Leistungsdruck und vieles andere mehr.
Diese Einschätzungen haben wir schon in unseren beiden Studien zum Krisenbewusstsein 2011 und 2013 vorgefunden, in denen die Konsequenzen dieses »Dauerzustands von Krise« für die Beschäftigten einschneidender erlebt wurden als die realwirtschaftlichen Folgen der Finanzmarktkrise 2008/09. Und aus der Erfahrung einer fortwährenden Bedrohung durch permanente Reorganisation erwächst subjektiv eine gesteigerte Unsicherheit und Unzufriedenheit, die vielfach in Wut oder Resignation mündet.
Noch weiter zugespitzt
Wir haben den Eindruck, dass sich seit unseren Krisen-Untersuchungen die Verhältnisse in den Betrieben noch weiter zugespitzt haben. Das Leben in den Betrieben heute kennt keine Ruhephasen mehr. Zwar sind Klagen über steigenden Arbeitsdruck nicht neu, denn Rationalisierung, die Steigerung betrieblicher Effizienz, gehört zum betrieblichen Alltag. Aber es ist eine neue Qualität der Leistungspolitik im Überlastbereich verbunden mit teilweiser Hyperflexibilisierung sichtbar. Auch nach Überwindung der Depression der Finanzmärkte werden Reorganisationsprozesse vorangetrieben, die – wie beim Profit-Center-Konzept von Siemens – Standortschließungen, Arbeitsplatzabbau, Leistungsverdichtung und Prekarisierungsstrategien weiter vorantreiben.
Hinzu kommt der neoliberale Umbau der Sozialsysteme, der Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse entsichert. »Krise ist immer« heißt deswegen nicht nur Unsicherheit, Anspannung und Überforderung, sondern es entsteht zumindest in Teilen der Belegschaften auch eine Abwärtsspirale der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.
Die offiziellen Darstellungen der deutschen Erfolgsökonomie zeichnen eine andere Welt, in der es um Wachstum, Wohlstand, Arbeitsmarkt besser bestellt sei denn je und in der Abstiegsängste verblassen. Die Diskrepanz zwischen den offiziellen Schilderungen und den Schilderungen der Arbeits- und Lebensverhältnisse aus den betrieblichen Shopfloors ist größer geworden.
Reorganisation mit hohem Tempo
Wir sprechen von arbeitsweltlicher Zuspitzung. Neben marktgesteuerten Restrukturierungsprozessen, die schon länger wirken, aber an Intensität und Reichweite zugenommen haben, treten Digitalisierung, Dekarbonisierung, neue Wertschöpfungsketten und Ähnliches, die das Tempo der Reorganisation erhöhen.
Unsere Zuspitzungsthese beschreibt also nicht nur ein leistungspolitisches Regime im Überlastbereich, sondern in der weiteren Perspektive arbeitsgesellschaftliche Verhältnisse, deren Ordnungs- und Orientierungsrahmen gleichsam aus den Fugen geraten. Sicherlich gehört zur Zuspitzung die fortgeschrittene Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen, aber ebenso das, was in scheinbar gesicherten Stammbelegschaften als Anerkennungsverluste und Würdeverletzungen erfahren wird. Man/Frau soll Höchstleistung erbringen, macht aber zugleich die Erfahrung, dass Arbeit nicht mehr wertgeschätzt wird. Abstiegssorgen, Kontroll- und Perspektivverluste sind die Folgen.
Es sind nicht nur soziale Pathologien und gesellschaftliche Instabilität, die zu einer Verbreitung rechtspopulistischer und rechtsextremer Einstellungen führen, sondern es gibt dafür auch einen arbeitsweltlichen Nährboden.
Neuer Ordnungsrahmen imaginiert
Der Rechtspopulismus kommt hier als Sicherheits- und Ordnungsversprechen ins Spiel (»Mauer«, »Schutzwall«). Durch Abschottung wird gleichsam ein neuer Ordnungsrahmen imaginiert, der eine Perspektivveränderung beinhaltet: von der vertikalen Ebene des Kapital-Arbeit-Gegensatzes zu einer horizontalen Ebene des Insider-Outsider-Gegensatzes, »wir« gegen die »Anderen«.
Der Neoliberalismus hatte noch das Versprechen des Kapitalismus als soziale Utopie reaktiviert: »Leistung muss sich wieder lohnen« – »Jeder ist seines Glückes Schmied«. Doch wo selbst enorme Bildungsanstrengungen, Arbeitsleistung und Flexibilität, also fortschreitende Selbstoptimierung, kein gesichertes Vorankommen mehr versprechen, kommt die individuelle Gestaltung nicht mehr von Fleck. Das Versprechen des Neoliberalismus, die gesellschaftlichen Bande zu kappen und das Individuum ins Zentrum zu stellen – die »Utopie« des Kapitalismus im Sinne Margaret Thatchers –, verheißt keine Zukunft mehr.
Der Rechtspopulismus ist eine Gegenbewegung, nicht, wie mitunter mit Blick auf Programmfragmente der AfD geschlussfolgert wird, ein Neoliberalismus in neuem Gewand. Er transportiert keine soziale Utopie der vereinzelten Einzelnen, sondern schöpft seine Kraft aus neuen Kollektividentitäten.
In strukturschwachen Regionen der ostdeutschen Bundesländer findet massive Problemkumulation statt. Die Probleme schlagen stärker auf, sei es, dass die Bedrohung durch Arbeitsplatzverlust höher ist oder dass fehlende Tarifbindung in vielen Betrieben nochmals verschlechterte Arbeitsbedingungen zut Folge hat.
In Ostdeutschland ein spezifische Ausprägung
Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit haben in Ostdeutschland ein spezifische Ausprägung: Die Nach-Wende-Zeit war geprägt durch Deindustrialisierung, Massenarbeitslosigkeit, massive Abwanderung und die Ausdünnung ganzer Landesteile. Dies ging einher mit der massiven Abwertung von Biografien und Lebensleistungen. Die weitere Deregulierung des Arbeitsmarkts und die massive Ausbreitung prekärer Beschäftigung haben diese Situation noch einmal deutlich verschärft.
Bei den Befragten aus den neuen Bundesländern wird eine besondere Dimension einer subjektiv empfunden Selbstwertverletzung sichtbar. Hinzu kommt, dass sie sich durch die Politik nicht unterstützt fühlen und Gleichgültigkeit gegenüber ihren Problemen beklagen. Sich radikalisierende Establishmentkritik von rechts ist die Folge.
Gegenwehr gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus sollte zu einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit den Zumutungen des Marktes führen. Dabei sind Gewerkschaften in doppelter Weise gefordert: Stärkung von Organisationsmacht und politischem Mandat auf der einen Seite und eine arbeitspolitische Neuausrichtung auf der anderen.
Es geht darum, Gewerkschaften als Schutzmacht für alle Schattierungen der Lohnabhängigen – Beschäftigte, Arbeitslose, prekär und qualifiziert Beschäftigte, Migrant*innen et cetera – zu stärken und damit ein »Gegengift« herzustellen gegen das mit Ressentiments unterlegte Sicherheitsversprechen der Rechten. Darin ist bereits angelegt: Solidarität in der Klasse erfahrbar machen – gegen Stigmatisierung, Abwertung, Rassismus und Ausgrenzung.
Der hier gekürzte und bearbeitete Auszug ist aus der Studie von Dieter Sauer, Ursula Stöger, Joachim Bischoff, Richard Detje und Bernhard Müller: »Rechtspopulismus und Gewerkschaften. Eine arbeitsweltliche Spurensuche«. Sie erscheint im März im Verlag VSA: Hamburg, 216 Seiten, 14,80 €. ISBN 978-3-89965-830-9. Infos zum Buch und Bezugsmöglichkeiten gibt es beim VSA-Verlag.
Terminhinweis
Die Studie wird am 14. März ab 18 Uhr im Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin vorgestellt. Haus FMP1 am Franz-Mehring-Platz 1 in 10243 Berlin.
Zur Geschichte der Studie
Bei der Bundestagswahl im September 2017 erhielt die AfD unter Gewerkschaftsmitgliedern mehr Zuspruch als im Durchschnitt der Wahlbevölkerung. Das war kein Ausrutscher, sondern auch in den vorangegangenen Landtagswahlen bereits der Fall gewesen. Wie ist das zu erklären? Schwappt die Entdiabolisierung der rechtspopulistischen und -extremen Rechte gleichsam von Außen – aus den gesellschaftlichen Lebensverhältnissen und dem Ärger über die »politische Klasse« – in die Betriebe, oder gibt es einen arbeitsweltlichen Nährboden für die Geländegewinne der Neuen Rechten? Dieses Frage sind Forscher*innen des Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in München und WISSENTransfer in Hamburg in einer dieser Tage erscheinenden qualitativen Befragung unter Gewerkschafter*innen nachgegangen. Die Befunde – nebenstehend ein gekürzter Auszug aus dem Buch – erweitern den Blick auf die Mobilisierungspotenziale der extremen Rechten und setzen die Arbeit von zwei Vorgängerstudien aus den Jahren 2011 und 2013 fort.
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