Wirtschaft
anders denken.

Arme, bedrohte Männer: Zehn kleine Wahrheiten über den Siegeszug des Feminismus

07.05.2018
123rf/jolka

Alle paar Wochen meldet sich ein Vertreter der bedrohten Art »Männer« zu Wort, um Klage über die Ungeheuerlichkeiten der Zurücksetzung zu führen, denen sie in Zeiten von Genderpolitik, Feminismus und Gleichberechtigung ausgesetzt sein sollen. Kathrin Gerlof hat schon richtig Mitleid.

Es gibt nichts Böses über Jens Jessen, den Ressortleiter Kultur der »Zeit«, zu schreiben. Was gesagt werden musste, ist gesagt worden. Und dann ist zu dem, was gesagt worden ist, wieder etwas gesagt worden. Und nachdem alles seine Kreise gedreht hatte, fiel es in sich zusammen. 

Jessen war in Panik geraten, weil ihn das Gefühl beschlichen hatte, alles, was Männer tun, sagen, fühlen oder denken, sei falsch. Aber nicht, weil es falsch ist, sondern nur, weil sie dem falschen Geschlecht angehören. Im Gegensatz zu anderen Männern, die das auch so empfinden, hat Jessen kraft seines Jobs die Möglichkeit, wenn ihm so etwas einfällt, es dann auch zu veröffentlichen. Dass er in seiner Gefühlseloge die feministische Rhetorik mit bolschewistischen Schauprozessen verglich und eine fürchterliche Ausweitung der Kampfzone beklagte, war möglicherweise einfach nur ein Übersprung. 

Letztlich kann Jens Jessen beruhigt werden, weil es genügend Anzeichen dafür gibt, dass der Mann – mal als Geschlecht gedacht – eher nicht bedroht ist. Jedenfalls nicht dort, wo es Entscheidungen zu treffen und etwas zu sagen gibt. Und schon gar nicht in der Wirtschaft.

Eins

Der Sachverständigenrat beispielsweise (im Volksmund werden seine Mitglieder »Wirtschaftsweise« genannt) wird auf Volker Wieland, dessen Amtsperiode ausgelaufen war, nicht verzichten müssen. Die Bundesregierung hat sich mit sich darauf geeinigt, dass er bleibt. Das Wirtschafts- und das Familienministerium (beide SPD) hatten zuvor auf das Bundesgremiengesetz verwiesen, das eine geschlechterparitätische Besetzung derartiger Gremien vorschreibt. Im Sachverständigenrat sitzt bisher Isabel Schnabel und das war es dann mit der Parität. Doch es gibt, so denkt offenbar die Bundesregierung, gegenwärtig keine weitere Ökonomin, die es wert wäre und den Beifall aller Entscheider und -innen fände. Das klingt, als hätte man zumindest gesucht. Weiß aber niemand genau. Auch die Gewerkschaften, die 2019 einen Nachfolger für Peter Bofinger benennen dürfen, müssen keine geeignete Ökonomin finden, weshalb sie wohl Jens Südekum ins Rennen schicken werden. 

Zwei

Gewerkschaften machen auch sonst und auf keinen Fall eine bessere Figur, was die Sache mit der Gleichberechtigung anbelangt. Haben sie noch nie gemacht. Gewerkschaften sind, was ihre Führungsetagen betrifft, Männerdomänen. Umso lauter wurde gefeiert, als die IG Metall sich mit Christiane Benner eine zweite Vorsitzende ins Haus holte. Gefeiert wie ein Sieg, mit dem nie jemand gerechnet hätte. Auch deshalb nicht, weil es für Gewerkschaften kein Quotengesetz gibt. 2017 (sic!) hat die Bundesfrauenkonferenz den Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes aufgefordert, zumindest einen Antrag zu stellen, dass bei der Besetzung von Führungspositionen künftig eine Frauenquote gilt, und zwar entsprechend des Anteils von Frauen auf allen Strukturebenen. So betrachtet hinken die Gewerkschaften weit hinter der Wirtschaft zurück, denn …

Drei

… seit 2016 ist den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen gesetzlich eine Frauenquote von 30 Prozent vorgeschrieben. Und inzwischen sind in den so verpflichteten Unternehmen 27,5 Prozent der Aufsichtsratsposten mit Frauen besetzt. In den Vorständen sieht es dann aber wieder anders aus. 2017 gab es in rund 75 Prozent dieser Gremien gar keine Frau. In den Vorständen ist der Mann also unter und mit sich und dürfte somit gar nicht bedroht sein.

Vier

Das mit der Quote können wir an beliebigen Branchen durchspielen, da, wo nicht für Hunger- oder schlechte Löhne gearbeitet wird, sieht es nicht allzu gut aus. Im Filmgeschäft zum Beispiel (in dem es auch ein großes freiberufliches Prekariat gibt) wurden im Zeitraum 2004 bis 2013 insgesamt 480 Anträge auf Projektfilmförderung genehmigt, an 89 dieser Projekte waren Frauen beteiligt. Das sind 18,5 Prozent. Schaut man, wie viel Geld diese Frauen insgesamt bekommen haben, landen wir bei nur noch 16,1 Prozent.

Eine Studie, die am Institut für Medienforschung der Universität Rostock gemacht wurde, hat jüngst ergeben, dass Regisseurinnen im Jahr 2016 die Filmfördermittel dreimal effizienter verwendet haben als ihre männlichen Kollegen. Regisseurinnen benötigten durchschnittlich 13 Euro, um einen Zuschauer oder eine Zuschauerin ins Kino zu locken, bei Regisseuren lag dieser Wert bei 41 Euro. Wirtschaftlich betrachtet läge es also nahe, dass mehr Frauen mehr Fördermittel bekommen. 

Helke Sander schrieb bereits 1979 in »Frauen in der Kunst«, erschienen bei Suhrkamp: »Die Frage nach einer weiblichen Ästhetik kann nicht getrennt werden von den Lebensbedingungen der Künstlerinnen. Die Zeichen des Mangels sollten nicht uminterpretiert werden in spezifische weibliche Wahrnehmungs- und Aneignungsformen, die dann, vertrackterweise, immer mit besonders billigen Materialien, für die Frauen angeblich eine Vorliebe haben, korrespondieren: lieber mit Video zu arbeiten statt mit 35-mm-Film, lieber mit Wolle statt mit Marmor.« Das ist so ehrlich wie zeitlos. 

74 Prozent aller Regieaufträge in Deutschland werden heutzutage laut der Initiative Pro Quote an Männer vergeben, dabei stellten Frauen fast die Hälfte aller Regie-Absolventen der Filmhochschulen. Klingt irgendwie: beschissen. 

Fünf

Viel besser hingegen klingt: Kaum jemand hätte noch vor wenigen Jahren prognostiziert, dass der Gender Pay Gap aktuell in manchen Regionen Ostdeutschlands gerade mal zwei Prozent beträgt, während er in anderen bayerischen Regionen gut und gern 38 Prozent erreicht. Betrachtet man es noch kleinteiliger, gibt es im Osten sogar Gegenden, da verdienen die Frauen besser als Männer. Was einer Zuarbeit für Jens Jessen gleichkommt. Die Rolle des Mannes scheint an diesen Orten bedroht. 

In Ostdeutschland liegt der durchschnittliche Bruttostundenverdienst bei Frauen bei 13,52 und bei Männern bei 14,78 Euro. In Westdeutschland stehen 15,73 Euro 20,58 Euro gegenüber. Je niedriger die Löhne, umso größer die Gleichberechtigung ließe sich daraus schlussfolgern. In der Armutsfalle hätte, dieser Logik folgend, die Gleichberechtigung vollständig gesiegt. 

Aber dass die Frauen im Osten dem anderen Geschlecht so bedrohlich nah gekommen sind in Fragen Lohngleichheit, hat mit vielen Faktoren zu tun, die manches relativieren: Die Löhne sind halt niedriger, die klügeren Männer machen sich vom Acker und übrig bleiben eher die mit den schlechteren Abschlüssen, die auf die Frage nach ihrem Job »Hartz IV« antworten (in den Dörfern Sachsen-Anhalts kann man das an jeder Bushaltestelle beobachten. Kaum noch von Bussen angefahren, treffen sich dort oft kleine Gruppen bedrohter Männer, die wissen, dass Holsten am dollsten knallt und auch von Transferleistungen berappt werden kann). 

Sechs

Falls Jens Jessen nicht nur das Schicksal der deutschen Männer beklagt hat, hier noch eine beruhigende Nachricht: Bei den britischen Angestellten der Billigfluglinie Ryanair beträgt der Unterschied zwischen den Gehältern von Männern und Frauen 67 Prozent. Das hat auch etwas damit zu tun, dass es dort nur acht Pilotinnen gibt, denen 550 Piloten gegenüberstehen. Zumindest der Pilot scheint also nicht bedroht.

Sieben

Ganz anders als bei Ryanair sieht es in der neuen Bundesregierung aus, die als das weiblichste Kabinett aller Zeiten bejubelt wird. Neun Männer und sieben Frauen regieren uns. Die CSU hat nur Männer benannt, alle anderen Regierungsparteien waren brav. Immerhin gibt es eine CSU-Staatsministerin für Digitales namens Dorothee Bär. Unterhalb der Ministerebene wird es dann aber dünner mit dem Frauenanteil. Und im Bundestag sitzen so viele Männer wie schon lange nicht mehr. Von 709 Abgeordneten sind 218 Frauen, fast sechs Prozent weniger, als im vorherigen Bundestag. 

Acht

Dafür haben wir den 21. Mann in Folge, der den Posten des Finanzministers innehat.

Neun

Was ganz gewiss daran liegt, dass (siehe Eins) noch nie eine Frau zu finden war, die den Job hätte machen können. Dieser Befund trifft auch auf das Amt des Bundespräsidenten zu, dem wir aber nicht allzu große Bedeutung beimessen sollten. Finanzministerin wäre schon wichtiger. Und interessant wäre es auch …

Zehn

… rückte bei der Deutschen Bank mal eine Frau an die Spitze. Da aber sind neben Gott noch viele andere vor. Das Geldhaus hat kürzlich seinen Vorstand umgebaut und nun ist Garth Ritchie der alleinige Chef der Investmentsparte, neuer Vorstandschef wird Christian Sewing. Man muss allerdings sagen, dass die Deutsche Bank ansonsten fast vorbildlich ist, wenn es um Frauen in Führungspositionen geht. Schon 2015 waren 20,5 Prozent der Managing-Director-Verantwortungsstufe mit Frauen besetzt.

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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