Wirtschaft
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Arme Künstler, ärmere Künstlerinnen: Wenn der Gender Show Gap den Gender Pay Gap antreibt

26.04.2018
GemeinfreiWar gar nicht so einfach, ein Bild ohne Mann zu finden: Die Künstlerin Nevin Çokay in ihrem Atelier

Bildende Künstlerinnen in Berlin können von ihren Arbeiten kaum leben. Eine neue Studie zeigt, wie es um Gender Pay Gap und Gender Show Gap in der Kunstszene bestellt ist. Altersarmut, Verzicht auf Kinder, »sexualisierter Machtmissbrauch« – die Ergebnisse sind teils alarmierend. 

Das die Kunstszene auch eine des Prekariats ist, darf als alt bekannt gelten. Dass sich an der schlechten Bezahlung in der Branche nicht viel ändert, zeigt freilich auch, wie wichtig es ist, immer wieder darauf hinzuweisen. Das Institut für Strategieentwicklung IFSE hat dieser Tage die Ergebnisse einer umfangreichen Studie veröffentlicht, in der es um die Einkünfte von bildenden Künstlern geht, um ihre, wenn man das überhaupt so nennen darf: Rentenerwartung, vor allem aber um die Benachteiligung von Frauen in der Kunstszene. Dort ist nicht nur der Gender Pay Gap deutlich höher als in der bundesweiten Gesamtschau über alle Berufe hinweg. Er wird auch noch durch eine Überrepräsentation von Männern in den Kunstgalerien verstärkt und angetrieben. 

Gender Show Gap: Männer stellen häufiger aus

»In Deutschlands wichtigster Stadt für Bildende Kunst ist die durchschnittliche Anzahl von Einzelausstellungen bei Männern insgesamt 22 Prozent höher«, heißt es beim IFSE. In konkreten Fällen wie dem diesjährigen Gallery Weekend Berlin liege der Gender Show Gap gar bei über 40 Prozent. Damit werden Erkenntnisse früherer Untersuchungen bestätigt. Und auch wenn man die Verteilung der Einzelausstellungen nicht als einzigen Treiber für die ungleichen Einkommen ansehen kann, ist es dann auch kein Wunder, wenn bildende Künstlerinnen auch deutlich weniger Einkünfte erzielen. 

Laut IFSE liegt der Gender Pay Gap, also der geschlechtsspezifische Lohnunterschied, in der Berliner Kunstwelt bei 28 Prozent – im allgemeinen Durchschnitt beträgt er aktuell 21 Prozent. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ergibt sich die Lücke »gewöhnlich aus der durchschnittlichen Differenz zwischen den Bruttostundenlöhnen aller beschäftigen Männer und denen aller beschäftigten Frauen und wird berechnet als prozentualer Anteil am Verdienst der Männer«. in unserem Fall also: Künstlerinnen und Künstler. 

Nun »verdienen« die ohnehin schon sehr wenig: »Die durchschnittliche Höhe der Einkünfte aus künstlerischer Arbeit liegt bei gerade einmal 9.600 Euro pro Jahr«, so die IFSE-Studie. Die Hälfte der befragten bildenden Künstler verdiene mit ihrem Beruf sogar weniger als 5.000 Euro im Jahr. Blickt man auf die Geschlechterunterschiede liegen die bildenden Künstler bei durchschnittlich etwa 11.600 Euro, die Künstlerinnen bei nur knapp 8.400 Euro. 

90 Prozent können von ihrer späteren Rente nicht leben

Davon kann niemand leben, zumal nicht in einer Stadt wie Berlin. » Für 80 Prozent ist ihre künstlerische Arbeit ein Verlustgeschäft«, heißt es zu der Studie. In der Szene können nur 13 Prozent der Männer und nur 8 Prozent der Frauen ihr Jahreseinkommen aus der Kunst bestreiten. Als »alarmierend« bezeichnet das IFSE die durchschnittliche Rentenerwartung – sie liegt bei 357 Euro, »wobei über die Hälfte aller Künstler*innen weniger als 280 Euro erwarten«. 90 Prozent der befragten bildenden Künstler werden »später nicht von ihrer Rente leben können«.

Die Studie wirft nun also noch einmal ein Schlaglicht auf die prekäre Lage von Künstlern und vor allem auf die Situation der Künstlerinnen. Frauen »verdienen nicht nur weniger als die Männer. Sie haben einen größeren Anteil an der Kindererziehung und wenn es zur Trennung kommt, ist in neun von zehn Fällen der alleinerziehende Elternteil die Mutter. Hier weicht der Kunstbereich nicht vom Bundesdurchschnitt ab. Unter den ohnehin prekären Verhältnissen in der Kunst bedeutet das oft, dass sich Kind und Karriere ausschließen«, so das IFSE. Die Hälfte der befragten Künstlerinnen würden »ihren Kinderwunsch aufgrund ihrer beruflichen Situation zurückstellen«. 

Die Studie fordert eine Debatte über »das Verbleiben der Frauen in der Kunst«, auch deshalb, weil es eben auch die aktuelle Kunstszene ist, die »gesellschaftliche Missstände wie die Benachteiligung von Frauen reproduziert«, statt an der Auflösung solcher Ungleichheiten mitzuwirken. Das IFSE regt zudem einen »Entwicklungsplan zur Gegenwartskunst« an, »der Ziele auf eine Sicht von zehn Jahren entwickelt und umsetzt«. Es gehe um »Rahmenbedingungen und Perspektiven für fruchtbare Entwicklungen«.

Was sich in der Studie zunächst in ökonomischen Indikatoren wie dem Einkommen niederschlägt, geht aber noch weit darüber hinaus. Das IFSE spricht von »sexualisierten Machtmissbrauch«, »wie anderswo spiegelt sich die immer noch ungleiche gesellschaftliche Stellung der Frau auch im Kunstbereich« in Zahlen über Belästigungen: »Fast ein Drittel der Frauen geben an, sexuell belästigt worden zu sein«, so die Studie. Für diese waren über 1.700 Künstlerinnen und Künstler befragt worden, das Durchschnittsalter lag bei 47 Jahren.

Frauen sind außen vor im Topsegment des Markts

Um noch einmal auf die ungleiche Bezahlung von Künstlerinnen und Künstlern zurückzukommen: Der Gender Pay Gap reproduziert sich auch im Spitzensegment des Kunstmarkts, also bei der Nachfrage und dem Auktionsumsatz. Hier stand 2017 keine einzige Künstlerin unter den 50 weltweit gefragtesten Künstlern, wie der Ökonom Roman Kräussl von der Luxembourg School of Finance für das »Manager Magazin« berechnet hat. 

In den Index fließen zwar auch bereits verstorbene Künstlerinnen und Künstler ein – Kräussls Aussage, »Frauen sind außen vor im Topsegment des Markts, in das 80 Prozent des Geldes fließen«, ist aber bloß der Abdruck eines gesellschaftlichen Zustandes in den höheren Etagen. »Kunst von Frauen erzielt bei Auktionen im Durchschnitt nur halb so hohe Preise wie Werke von Männern«, wird Kräussl zitiert. 

Und selbst in der Liga der da Vincis, Picassos und Basquiats wird man die ungleichen Umsätze bei Auktionserlösen nicht allein damit begründen können, dass Frauen erst im 20. Jahrhundert vollen Zugang zu den Kunstakademien bekamen. Kräussls Studie, die Daten von über fünf Millionen Transaktionen in über 700 Auktionshäusern zusammenfasst, zeigt auch für die nach 1950 geborenen Künstler, wie Frauen bei den Auktionsumsätzen 2017 benachteiligt sind: Unter den Top 20 finden sich auch hier nur drei Frauen.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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