Auf Sand gebaut: Über preiswerte Wohnungen, knappe Rohstoffe und eine wachsende Baubranche
Preiswerte Wohnungen sind knapp, doch gebaut wird vor allem anderes. Das bleibt nicht ohne Folgen für Umwelt und Ressourcen: Der Sand wird knapp. Weltweit wächst die Baubranche, ein Ende des steigenden Verbrauchs ist also nicht in Sicht. Und zugleich brauchen wir neue Wohnungen. Ein Dilemma.
Bauen ist schön und förderlich. Wir werden mit Wohnungen, Gewerberäumen, öffentlichen Gebäuden, Industrieanlagen, Ställen für kleine und Massentierhaltung, Flughäfen, Schlössern versorgt, und all das brauchen wir. Was es kostet, das Bauen, darüber gibt es unendlich viele Statistiken. Die wenigsten von ihnen preisen das ein, was Stephan Lessenich externalisierte Kosten nennt.
Die Sintflut findet immer woanders statt. Das Bauen, Bewirtschaften und Nutzen von Häusern und Straßen bedarf einer Menge natürlicher Ressourcen und befördert den Klimawandel. Die Umweltbilanz des Bausektors ist nicht gut: hoher Bedarf an fossilen Energieträgern; Steine, Erden, Sand, Metalle, Holz werden verbaut, Fläche wird der Natur entrissen und versiegelt.
In der Europäischen Union entfallen zum Beispiel 40 Prozent des Gesamtverbrauchs an Energie auf die Nutzung von Gebäuden. An jedem Tag werden heute hierzulande ca. 66 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen, das sind rund 94 Fußballfelder. Jede Sekunde werden etwa zwei Quadratmeter Fläche versiegelt und ein Quadratmeter überbaut. Derzeit entspricht die Siedlungs- und Verkehrsfläche Deutschlands der Größe der Bundesländer Thüringen, Schleswig-Holstein, Saarland, Berlin, Hamburg und Bremen. Beruhigend mag klingen, dass es bei dem Tempo erst in 1.927 Jahren nur noch Siedlungs-, Verkehrs- und Wasserflächen geben wird. Keinen Wald, kein Feld, keine Wiese. Wer sollte sich heute schon darum scheren?
Keinen Wald, kein Feld, keine Wiese
Politisch gewollt ist – ob daran auch wirklich gearbeitet wird, bleibt unklar –, dass der Flächenverbrauch bis 2030 auf 30 Hektar täglich verringert und bis 2050 auf null gefahren wird. Mit diesen Vorhaben ist es allerdings wie mit dem Klimaschutz: Es gibt immer Gründe, davon die Finger zu lassen.
Seit Längerem schlägt die Bauwirtschaft Alarm, weil der Sand knapp wird. Die rund 2.000 deutschen Kiesgruben liefern jährlich rund 100 Millionen Tonnen Sand. Aus Wasser, Sand, Kies und Zement wird Beton. Ohne Sand kein Beton. Die Tatsache, dass wir die Substantive Beton und Gold zusammengesetzt haben, sagt viel, jedoch nicht alles über die Besorgnis. Auf jeden Fall aber widmen sich die Klagen nicht der mit der Knappheit einhergehenden Verrohung der Produktionsbedingungen und Geschäftsbeziehungen. Wenn etwas knapp wird, wird es immer auch gleich kriminell.
Hierzulande rund 100 Millionen Tonnen Sand jährlich
In Deutschland wird die Gewinnung von Sand immer schwieriger. Viele Abbauflächen sind überbaut oder zu Schutzgebieten erklärt worden, was die Wirtschaft nicht freut. Da die Preise für Ackerland steigen, geben Landwirt*innen auch nicht mehr so gern ihre Flächen für den Abbau von Sand her. Es gibt lukrativere Möglichkeiten, Fläche zu Geld zu machen. Jährlich werden hierzulande rund 100 Millionen Tonnen Sand gewonnen. Eine Tonne Sand kostet in Berlin 9, in München 15 Euro. Stahlbeton besteht zu einem Drittel aus Zement und zu zwei Dritteln aus Sand. Selbst für ein Einfamilienhaus braucht es 200 Tonnen Sand.
In der DDR kursierte der Witz, dass in der Wüste der Sand alle würde, schickte man einen DDR-Ökonomen dort hin. Das hatte aber eher etwas mit dem schlechten Ruf der Ökonomen zu tun. Denn Wüstensand lässt sich nicht verbauen, er ist viel zu fein geschliffen.
Sand vom Meeresboden wiederum eignet sich. Der Dokumentarfilmer Denis Delestrac bezeichnet Sand als die neue Umweltzeitbombe. In Marokko verschwinden ganze Strände, in Indonesien Inseln, Singapur importiert trotz Verbots Unmengen Sand aus den Nachbarländern, Dubai holt sich den Rohstoff aus Australien, in Indien kontrolliert die Mafia die gesamte Bauwirtschaft, Florida füllt Strände mit fremdem Sand wieder auf, in Frankreich sichern sich Konzerne Standorte in Küstennähe, um dem Meeresboden Sand zu entreißen, in Vietnam werden die Flüsse ausgebaggert.
Weltweiter Verbrauch von rund 40 Milliarden Tonnen
Bereits 2014 erklärte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen, dass der Sand sehr, sehr knapp ist. 30 Milliarden Tonnen Sand wurden allein im Jahr 2012 für die Herstellung von Beton verwendet. Der UN-Bericht geht von einem jährlichen Verbrauch von rund 40 Milliarden Tonnen Sand aus.
Weltweit wächst die Baubranche, ein Ende des steigenden Verbrauchs ist also nicht in Sicht. Gearbeitet wird an Technologien, um Bauabfälle zu recyceln. Skeptiker sagen, damit ließe sich der Bedarf nicht decken. Und sie haben wohl recht. Weniger bauen wäre sicher auch eine Lösung, die aber im Rahmen dessen, was gerade ist, nicht wahrscheinlich klingt.
Der Bundesverband Mineralische Rohstoffe fordert stattdessen schnellere Genehmigungszeiten für den Abbau und mehr Abbauflächen. Es dauere derzeit zwischen fünf und zehn Jahren, bis eine Fläche freigegeben werde.
Gleißende Fassaden, wirklich hohe Hochhäuser, Einkaufstempel – in manchen Metropolen und Ländern ist der Pro-Kopf-Verbrauch an Sand dermaßen hoch, dass man an einen Zahlendreher glaubt. Singapur weist zum Beispiel 5,4 Millionen Tonnen verbauten Sand pro Einwohner und Einwohnerin aus, damit steht der Stadtstaat an der Spitze der Weltrangliste. China hat in vier Jahren so viel Sand verbaut wie die USA in einem ganzen Jahrhundert. Das ist die große, weite Welt. Und die ist weit weg.
In Deutschland rechnet die Bauwirtschaft in diesem Jahr mit Engpässen. Man kann nur hoffen, dass dem nicht durch schnellere Genehmigungszeiten oder mehr Importe begegnet wird. Vielleicht ein paar weniger Straßen? Der neue Bauminister heißt Horst Seehofer.
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