Wirtschaft
anders denken.

»Ein Desaster«: Ein Ökonomen-Aufruf, Jubel bei der AfD und das kritische Echo der Wirtschaftswissenschaft

22.05.2018
Tasch Michael ,Lizenz: CC BY-SA 4.0Symbolbild "Leermeinung". Was Lustigeres fiel uns nicht ein.

Über 150 Ökonomen machen gegen europapolitische Reformvorschläge aus Paris und Brüssel Front. Die AfD ist begeistert. Und in den Wirtschaftswissenschaften herrscht lagerübergreifend Kopfschütteln über die »deutsche Überheblichkeit« einer »radikalen Minderheit«.

»Ökonomen warnen in Euro-Reformdebatte vor Kurswechsel«, meldet die Deutsche Presse-Agentur. Da ist von »Sorgen« die Rede, die sich »die Professoren« machen, wegen der »hohen Risiken für die europäischen Bürger«. Und wenn »mehr als 150 Ökonomen« das sagen, ja sogar »154 Wirtschaftsprofessoren aus Deutschland«, dann bleibt da sicher irgendwas hängen.

Aber was? Zum Beispiel Frohlocken ganz weit rechts. Mit dem Appell würden die Ökonomen »dringend zur Wahl der AfD« aufrufen, freute sich die rechtsradikale Politikerin Beatrix von Storch. Und aus der AFD-Spitze hieß es, der Inhalt »spiegelt die ureigene kritische Eurozonen-Politik der AfD wieder«, »nur Politiker wie Macron und Merkel wollen die kritischen Stimmen der Fachleute nicht hören«.

Was hier zum Ausdruck kommt, ist aber nicht bloß parteipolitisches Ausschlachten. Was die in der »Frankfurter Allgemeinen« zuerst veröffentlichte Einlassung der Wirtschaftsakademiker zum Schwingen bringt, ist ein politisches Ressentiment, das in Europa eine Art Melkkuh-Konstruktion zur Ausbeutung der armen Deutschen sieht, bei der nun ein »Kurswechsel«, also Reformen a la Paris und Brüssel, dazu führen könnte, das alles noch noch noch schlimmer würde.

Interessant und im Grunde viel wichtiger ist, was die Deutsche Presse-Agentur in ihrer ersten Meldung über den Appell nicht mitteilt: den weithin hörbaren Unmut unter den Ökonomen über das Machwerk. Der Düsseldorfer Professor Jens Südekum etwa verwies auf »die politischen Folgekosten dieses Aufrufs«, also auf den Jubel aus der AfD-Ecke. Er verwies auch darauf, dass sich nun auch CSU-Politiker mit Wortmeldungen wie »Wer ist Macron, was zeichnet Juncker aus, als dass man den beiden mehr vertrauen sollte als 154 namhaften Ökonomen?« aus der Hinterbank vorwagen – alles unter der Parole »Keine weitere Haftungsunion«.

Frontmache gegen Brüssel und Paris

Denn in diese Richtung zielt ja die öffentliche Intervention: Der Aufruf soll die Front derer mit dem Anschein wirtschaftswissenschaftlicher Expertise aufwerten, die sich »gegen die Vorschläge der EU-Kommission und Emmanuel Macrons« wenden, wie es die FAZ einordnet – das Blatt sieht darin einen »eindringlichen Appell« gegen »wesentliche Elemente der Euro-Politik, wie sie Paris und Brüssel vorschlagen«. Es ist, um es noch einfacher zu sagen, ein Beitrag zur Festigung der Berliner Blockade gegenüber einer auf weitere Vertiefung der Integration setzenden Europapolitik; eine Absage an alles, was den großen Profiteur der Eurokonstruktion, die Bundesrepublik, zu erweiterter Solidarität verpflichten könnte.

Das Problem solcher »Politik per Aufruf« besteht darin, dass hier über eher schwierige Zusammenhänge geurteilt wird, bei der adressierten Öffentlichkeit aber meist nur hängenbleibt, dass das Ökonomen (ist gleich Experten) dagegen sind. Die CSU-Politikerin treibt dies konsequent auf die Spitze, indem sie den Personen, die Paris und Brüssel verkörpern, sogleich die Glaubwürdigkeit abspricht.

Not exactly three linksversiffte

Aber es gibt ja noch andere Ökonomen, man hätte über deren Reaktion gern mehr gelesen – immerhin greift die FAZ die von ihr selbst erst angestoßene Debatte ausführlich auf. Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für WIrtschaftsforschung twitterte, der »sichere Weg den Euro zu zerstören und Europa und auch Deutschland in eine Krise zu treiben, ist den Empfehlungen dieser deutschen Ökonomen zu folgen«. Es drücke sich darin auch »unsere deutsche Überheblichkeit« aus: »Viele von uns Deutschen glauben, andere Europäer hätten kaum Reformen gemacht, dabei ist es Deutschland, das in den letzten zehn Jahren viel zu wenige Wirtschaftsreformen umgesetzt hat.« Es sei zudem ein »Grundfehler einiger deutscher Ökonomen«, wegen potenzieller Fehlanreize »jegliche Versicherung abzulehnen. Jede Versicherung schafft immer und überall auch Fehlanreize (z.B. Autos, Gesundheit) – das heißt aber nicht, dass man keine Versicherung braucht«, so Fratzscher.

Die Kritik kam aber nicht nur aus einer Richtung. »Wenn man immer das Schlechteste fürchtet und wohl auch nur für möglich hält, dann stellt sich eigentlich die Existenzfrage für den Euro. Das Papier lässt einen ratlos zurück«, so äußerte sich Michael Hüther, immerhin Chef des unternehmensnahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.

Simples Schwarz-Weiß-Argument

Gustav A. Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung erklärte zu dem Aufruf, »nein, diese Kollegen und wenige Kolleginnen sind ein radikale Minderheit, die die vergangenen zehn Jahre nicht verstanden haben«. Mark Schieritz von der »Zeit« ergänzte, »und die in Wahrheit an Einfluss verliert. Die Stars haben nicht unterschrieben.« Rüdiger Bachmann twitterte: »The views of those that have not signed are very pluralistic. Note there is no Clemens Fuest or Michael Hüther on there. I am not on there. Not exactly three linksversiffte economists.« Und der Frankfurter Ökonom Jan Pieter Krahnen nannte es »erstaunlich, dass sich Wissenschaftler für ein simples Schwarz-Weiß-Argument hergeben, wo es doch tatsächlich um kluges institutionelles Design geht«.

Der Bonner Ökonom Christian Bayer nannte den »Aufruf der Altherrenmannschaft doppelt schädlich. In der Sache flacher Unfug, der sich als ›wissenschaftlich‹ fundiert verkleidet. Und auch schädlich, weil er die Außenwahrnehmung ›der Ökonomen‹ beschädigt.« Die FAZ hat noch weitere Reaktionen zusammengetragen, darunter auch aus dem Sachverständigenrat.

Gibt es Hoffnung? Allerdings. Die erste besteht in einer Frauenquote für Ökonomenappelle. Zacharias Zacharakis von Zeit online hat vorgerechnet, dass nur sechs der 154 unterzeichnenden Ökonomen Frauen seien. »Entweder hat das Fach ein Problem oder die Frauen sind einfach nicht so pessimistisch, was die Zukunft des Euro angeht.« Oder es bekommt zweitens und noch besser der Münsteraner Professor Johannes Becker recht: »Ich habe bislang noch bei jeder Art Aufruf gedacht, dass dies eine eher ungünstige Art der Intervention ist. Vielleicht macht dieses Desaster der Form ja den Garaus.«

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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