Wirtschaft
anders denken.

»Aus einem unerträglichen Ekel…«

30.07.2019
NiklasPntk, pixabay.com

Ist der Kapitalismus doch nicht schuld am Klimawandel? Was ist sozialistischer Klima-Quatsch? Und was kann man bei Herbert Marcuse im »Spiegel«-Interview von 1969 darüber nachlesen? Vier kurze Anmerkungen.

… Schuldfrage

In der »Süddeutschen« glaubt Nikolaus Piper zu wissen, »warum der Kapitalismus nicht schuld ist am Klimawandel«. Um hier niemanden auf die Folterbank zu legen: Er weiß es nicht, und liefert stattdessen altväterliche Ermahnungen in Richtung »Fridays for Future« ab, die einer gesetzlichen Verordnung zufolge mindestens einen schiefen DDR-Vergleich und den Vorwurf beinhalten müssen, die um die Klimakrise besorgten Menschen würden mit dem Hinweis auf mögliche systemische Gründe das Thema »trivalisieren«. Das Lustige ist: Nikolaus Piper hat auf gewisse Weise sogar Recht, es ist ihm aber nicht bewusst. »Der Kapitalismus« ist für sich genommen nämlich an gar nichts schuld, weil er, wie Brecht gesagt hätte, mindestens einen Koch und einen Küchenbesitzer dabei haben muss. Irgendwer muss das schon tun, das Untergraben der »Springquellen alles Reichtums«. Genauso und nicht minder pressierte der real existierende Sozialismus »die Erde und den Arbeiter«, woran Piper gedacht haben mag, als er zwecks Untermauerung seiner These aus der DDR-»Einführung in die politische Ökonomie des Kapitalismus« zitierte. Die Polemik sagt mehr, als Piper weiß: dass eine politische Ökonomie planetarer Verhältnisse noch fehlt, in der nicht nur die Klimakrise, sondern auch alles andere überwunden werden könnte, was am Kapitalismus zu kritisieren ist. Antworten darauf wird man freilich nicht mit Schuldfragen herauskitzeln können.

… Quatsch

In der »Frankfurter Allgemeinen« reimt sich Verbot auf Verstaatlichung und auf »sozialistischer Klima-Quatsch«. Die weniger Verbohrten Redaktionsmitglieder erkennt man daran, dass sie sich beim immergleichen Vortrag das Wort »Venezuela« sparen. Die Chuzpe aber bleibt dieselbe: Seit 50 Jahren macht sich lächerlich, wer die gallopierende Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse bezweifelt. In diesen 50 Jahren hat weltweit eine Produktionsweise dominiert, von der es nun heißt: »Falsch ist schließlich auch anzunehmen, Kapitalismus vertrage sich nicht mit Klimaschutz.« Als »vernünftig« gilt eine Klimapolitik, die »auf den Markt« setzt. Man könnte das »kapitalistischer Klima-Quatsch« nennen, aber dann kramte Herr Piper sicher gleich wieder seine Schuldfrage heraus.

… Ekel

Es war einmal ein Land, in dem marxistische Philosophen im Interview eines Nachrichtenmagazins noch mit wirklichen Fragen konfrontiert wurden. Zum Beispiel Herbert Marcuse im »Spiegel« 1969: Da geht es um Revolution, um ökonomische Verhältnisse, um die herrschende Gewalt im Vergleich zu jener fliegender Eier, um Intellektuelle, die nicht nur reden, sondern sich »unter gegeben Umständen sogar an der Besetzung von Gebäuden« beteiligen sollen. Am Schluss des vierseitigen Gesprächs sage Marcuse, »wir sollten uns daran gewöhnen, dass wir uns mit einem, allerdings für die alte Linke beinahe unvorstellbaren Gedanken auseinanderzusetzen haben, nämlich dass die Revolution, wenn überhaupt, in den technisch fortgeschrittensten kapitalistischen Ländern aller Wahrscheinlichkeit nach nicht aus der Misere und der Verarmung kommt, sondern, das ist jetzt sehr schwer zu formulieren, woraus?… aus einem unerträglichen Ekel an der Art und Weise, wie die sogenannte Konsumgesellschaft den gesellschaftlichen Reichtum missbraucht und verschleudert, während sie außerhalb der Metropolen das Elend und die Unterdrückung intensiv weitertreibt. Ein solcher Ekel ist kein psychologischer Faktor, sondern eine radikale politische Reaktion, die ihrer eigene Kraft nach zur Weigerung und dann zur Rebellion tangiert.« Ist es ein halbes Jahrhundert später etwa soweit?

… Glashaus

Greta Thunberg will mit einem Segelschiff in die USA fahren. Sie habe, liest man in Berichten, monatelang dafür recherchiert. Eine Zeitschrift findet, »da hat das Googeln wahrscheinlich schon mehr Energie verbraucht als die Überfahrt«. Die Frotzelei wird gesendet: über eben jenes energiefressende Internet. Wir sitzen eben doch alle im selben Boot.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

Hinweis

Guter Journalismus ist nicht umsonst…

Die Inhalte auf oxiblog.de sind grundsätzlich kostenlos. Aber auch wir brauchen finanzielle Ressourcen, um oxiblog.de mit journalistischen Inhalten zu füllen. Unterstützen Sie OXI und machen Sie unabhängigen, linken Wirtschaftsjournalismus möglich.

Zahlungsmethode

Betrag