Wirtschaft
anders denken.

Vokabeln der Linken: Ausgesprochen und schon tot

29.06.2016
Foto: Tom Simpson / Flickr CC-BY-NC-ND 2.0 LizenzBegriffe zum Davonlaufen - Linke werfen gern mit Wortungetümen um sich.

Mit Wortungetümen wie »Austeritätspolitik« bezeichnen Linke gern die Missetaten ihrer Gegner. Kein Wunder, dass kaum jemand zuhört.

In ihrer Ausgabe vom 28. Juni schreibt die Süddeutsche Zeitung über die Äußerungen des Linksparteivorsitzenden Bernd Riexinger: »›Wir brauchen eine neue Ausrichtung der Politik der EU.‹ Das Brexit-Votum sei ›eine Quittung‹ für die Austeritätspolitik der Kanzlerin. (…) Ansonsten aber fühlt die Linke sich bestätigt in ihrer EU-Kritik. Nötig seien nun 100 Milliarden Euro im Jahr für öffentliche Infrastruktur und Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit, so Riexinger. Die Kluft zwischen Arm und Reich müsse geschlossen, der ›überholte Stabilitäts- und Wachstumspakt‹ beendet werden.«

Wortstanzen sind keine Erfindung der Linken. Eher könnte der Vorwurf lauten, dass sie sich, wie alle anderen auch, der immer gleichen Worthülsen bedienen, die durch ständige Wiederholung ihren Sinn verlieren. »Austeritätspolitik« ist ein häufig benutztes Wort, und es mag stimmen, dass alle sofort wissen, wovon die Rede ist. Das lässt sich schwer überprüfen.

Wikipedia sagt, wer von Austerität rede, meine damit eine staatliche Haushaltspolitik, die einen ausgeglichenen Staatshaushalt anstrebe. Unklar, ob das tatsächlich auch so verstanden wird und gemeint ist, wenn Bernd Riexinger und andere Linke sich des Wortes bedienen, also ob sie hier von Austeritätspolitik im Gegensatz zu expansiven Konjunkturanstrengungen reden oder eher davon, dass ein Land wie Deutschland die Eigeninteressen vor alle anderen Interessen stellt und mit nationalstaatlichen Mitteln durchzusetzen versucht.

Sprache macht Mühe

Im Prinzip ist es auch ein bisschen egal. Denn Tatsache ist, dass der Nutzen einzelner Begriffe zur Erklärung von Zusammenhängen endlich ist und Linke den Begriff »Austeritätspolitik« schon längst vernutzt haben. Zumal er viel über Faulheit sagt. Die Unlust, der Sprache Worte und Sätze abzuringen, die wirklich erklären, was gemeint ist.

Es geht auch anders, aber das erfordert Mut (im Zweifelsfall auch zum Pathos), und es macht Mühe. Ganze Sätze, gar eine Erzählung sind schwerer zu finden, als ein Wort zu nehmen, das sehr wohl einmal die Kernschmelze vieler Gedanken und einer langen Geschichte gewesen sein mag, dann aber nur noch geronnene Faulheit ist.

Wie es anders gehen kann? »In diesen Tagen sind es der Hochmut und das Geld, die die Welt bestimmen und den Weg verformen und das Wort verdrehen. Wir wollen eine Welt, wo der Weg und das Denken in eine gute Richtung weisen. Wo es einen guten Weg für alle gibt und alle einen Platz haben und diesen mit Respekt und Würde besetzen.« Das erklärte das Geheime Revolutionäre Indigena-Komitee – Generalkommandantur der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung im Jahr 1996 in Mexiko. So mag es vielen natürlich zu pathetisch daherkommen; das sind wir in Deutschland nicht gewohnt, dass jemand von einem »guten Weg für alle« spricht, obwohl das vielleicht eine schöne Übersetzung für das Gegenteil von Austeritätspolitik sein könnte.

Schreckliche »Kluft zwischen Arm und Reich«

Noch schrecklicher ist die Worthülse »Kluft zwischen Arm und Reich«. Die geschlossen werden muss. Wobei nicht gesagt wird, ob danach – wenn sie geschlossen ist – die Armen immer noch arm und die Reichen immer noch reich sind, nur, dass dazwischen eben keine Kluft mehr existieren möge. Was dann? Vielleicht ein unüberwindlicher Berg, ein Stacheldrahtzaun, eine Mauer, vermintes Gelände, Gated Citys, Halden voller Wohlstandsmüll, verbrannte Erde, gerodete Flächen, verseuchte Meere? Die »Kluft zwischen Arm und Reich« ist eine Binsenweisheit. Was sonst sollte es zwischen den beiden Extremen menschlicher Existenz wohl geben?

Gleich nach der »Kluft« kommt das Wortgebilde von »den Armen, die immer ärmer, und den Reichen, die immer reicher werden«. Danach folgt meist die Forderung nach »Umverteilung von oben nach unten«. Sind wir davon noch berührt? Merkt irgendjemand auf? Zumal dem Wort »Umverteilung« der Geschmack des Konfiszierens auf der einen Seite und des Almosens auf der anderen Seite anhängt. Als hätten nicht alle gleichermaßen einen Anspruch auf Auskommen und Fortkommen.

Wie sollten wir stattdessen sprechen?

Und wie sagen es die Zapatisten? »Für den Mächtigen ist das Leben nur möglich als Komplize der Verbrechen des Geldes und des Hochmuts. Die Regierung, die wir derzeit haben, wollte uns töten, kaufen, zum Schweigen bringen. Sie ist gescheitert. Wir haben uns geweigert, Komplizen einer Regierung zu sein, die ihre Regierten bekämpft.«

Eindeutig, das ist wirklich zu pathetisch für unsere Spezies. Aber schon das Wort Komplize – was es nicht alles auslösen kann im Kopf. Und Weigerung – ein schönes Wort. Eine Regierung, die ihre Regierten bekämpft – nicht schlecht oder?

Einfach mal laut vorlesen und gleich im Anschluss das Wort »Austeritätspolitik« sagen. Wie fühlt sich das an?

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