Wirtschaft
anders denken.

Bedrückende Aktualität

18.12.2019
Ausriss aus dem Cover

Über das Verhältnis von natürlicher Umwelt, Ökologie-Bewegung und fortschrittlicher Politik wird nicht erst seit Fridays for Future diskutiert. Was uns ein Band zur umweltpolitischen Kontroverse von 1981 heute noch zu sagen hat.

Es ist meist lehrreich und zugleich frustrierend, in ältere linke Fachveröffentlichungen zu schauen. Lehrreich, weil zumindest die besseren unter ihnen bemerkenswert oft noch aktuell sind. Zugleich aber auch frustrierend, weil die Archivlektüre einen Abgleich zwischen dem damaligen und dem aktuellen Niveau hinsichtlich theoretischer Versiertheit und zugleich Konkretion der Debatte, durchdachter politischer Methode und allgemein der innerlinken politischen Diskussionskultur herausfordert. 

Bedauernswert oft bleibt man nach dem Lesen einerseits mit der Gewissheit darüber zurück, wie viel an intellektuellen linken Wissensbeständen, Reflexionen über politisch-praktische Erfahrungswerte und strategiefähigen Visionen seither verloren gegangen ist. Andererseits ist man erstaunt und wenig erfreut über eher befremdliche Positionen, die sich auf der Linken halten oder nur in andere Namen, Schlachtparolen und Kostüme gekleidet wiederkehren.

Dieser Eindruck drängt sich auch auf, wenn man im »Argument«-Sonderband von 1981 über »Alternative Umweltpolitik« nachliest. Auf die darin verhandelten Spannungsfelder verweist schon auf dem grün gehaltenen Einband das Bild, das die aus Arbeiterbewegungs-Ikonografie gut bekannte geballte Faust neben einem Baum zeigt. 

Grob gesagt geht es zum einen um das Verhältnis von natürlicher Umwelt, Ökologiebewegung und fortschrittlicher beziehungsweise sozialistischer Politik insgesamt, zum anderen wird theoretisch-politischer Streit ausgefochten um die Frage, ob die Ursachen von Umweltschäden in den Produktionsverhältnissen oder in den Produktivkräften zu finden sind. Hier vertritt eine Position, dass die Gleichgültigkeit der tauschwertgesteuerten Akkumulation im Kapitalismus beziehungsweise die Naturblindheit der Knappheitspreise auf dem Markt ursächlich seien, man also die ökologische Problematik auf die Produktionsverhältnisse zurückführen müsse. Die Gegenseite insistiert darauf, dass die Ursache in den Produktivkräften zu suchen sei, weil diese eine quasi »systemneutrale«, weil in kapitalistischen wie in sozialistischen Gesellschaftsformationen gleichermaßen naturschädigende Entwicklungsdynamik entfesselten.

Der erstgenannten Position zuzurechnen ist das Papier zu »21 Thesen zu Ökologie und Sozialismus« des »Argument«-Herausgebers Wolfgang Fritz Haug. Folgerichtig mahnt er an, dass »unter die Zielwerte des Wirtschaftens die Regeneration der Naturbedingungen aufgenommen wird. Es soll die Produktion nicht mehr nur Produktion von Lebensmitteln und von Mitteln zur künftigen Produktion von Lebensmitteln, von Produktionsmitteln sein, sondern immer auch Reproduktion der Öko-Sphäre, also Reproduktion der Lebensgrundlagen der menschlichen Gattung«. Hiergegen wird als Hindernis die Privatwirtschaft ausgemacht. 

Unter ähnlichen Prämissen erschließt das Thema Gerd Albracht, damaliger Leiter der Umweltschutzabteilung der IG Chemie, Papier, Keramik. Wer die aktuellen Positionierungen der Nachfolgegewerkschaft IG BCE zum Thema Braun- und Steinkohle, ihre bis zum Anschlag sozialpartnerschaftliche Tarif- und Gesellschaftspolitik kennt, kommt bei Albrachts Beitrag aus dem Staunen kaum mehr heraus. Nicht nur der weist der Autor bereits im Aufsatztitel die angebliche alleinige Alternative »Umweltschutz oder Arbeitsplätze« zurück. Mit Verweis auf intern bereits damals weiter gediehene Diskussionen des BDI, Ergebnisse internationaler Vergleiche und Positionen des DGB von Mitte der 1970er (deutlich vor den Durchbrüchen der Umweltbewegung in Deutschland) plädiert er für die Notwendigkeit und Möglichkeit eines Wirtschaftswachstums, »das ökonomisch und sozial notwendig und ökologisch verantwortbar ist«. 

Wenn Albracht auch nicht so weit geht wie Haug, für den ökologisches Wirtschaften »nur als Planwirtschaft möglich« ist, so fordert er doch unter Gesichtspunkten eines vorsorgenden statt nur nachträglichen korrigierenden Umweltschutzes eine ökologische Investitionslenkung, mehr Befugnisse für Gewerkschaften und Betriebsräte sowie transnationale Harmonisierungen ein, um einen Standortwettbewerb auf Kosten der Umwelt zu unterbinden. Weiter als der Gewerkschafter gehen wiederum Rolf Czeskleba-Dupont und Karl Hermann Tjaden, die das Potenzial sehen, bereits unterm Kapitalismus eine von der herrschenden, naturzerstörenden abweichende Reproduktionsstrategie einzuschlagen, die durch politische Konflikte und Zuspitzungen hindurch in eine vernünftige (sprich: sozialistische) Nutzung von menschlicher Arbeit und natürlichen Ressourcen umschlagen könne: »Die Abweichungen vom Status quo können dann Schritt für Schritt massiver werden, kumulieren und endlich dadurch aus der Transformationskrise herausführen, dass die gegebene Produktionsweise durch eine neuartige Form ersetzt wird.«

Eine drastische Gegenposition nimmt hier Wolfgang Sternstein ein. Der umweltbewegte Friedensforscher bezieht frontal Stellung gegen das Marxsche Lob der Produktivkräfte. Es reiche nicht aus, die herrschenden Klasse von den Kommandohügeln der Produktionsapparate zu vertreiben, sondern die Apparate seien selbst das Problem. Weiterhin sieht Sternstein ein unter den Prämissen kapitalistischer Wachstumsimperative unlösbares Ausbeutungsverhältnis zwischen Metropolen und Peripherien am Werk, woraus er auf die Notwendigkeit von breiter Deindustrialisierung (mit Ausnahme »sanfter Technik« wie Photovoltaik) und Null-Wachstum schließt. 

Mit seiner fundamentalistischen und provokativen Position nimmt der Autor vieles von dem vorweg, was heute innerlinks unter Stichworten wie »›imperiale Lebensweise« oder »Externalisierungsgesellschaft« verhandelt wird. Ich möchte keinen Hehl daraus machen, dass mir die theoretische wie empirische Basis dieser Thesengebäude höchst zweifelhaft erscheint, zumal zumindest bei Sternstein deutliche Anklänge an neo-malthusianische Ökonomik durchscheinen. 

Mit deutlich mehr Gewinn lesen sich die Beiträge des Mathematikers und Umweltökonomen Arnim Lechmann. In einem ersten Beitrag entwickelt er ein ungemein plausibleres Argument dazu, warum nicht nur allein die Produktionsverhältnisse sich umweltschädigend auswirken, sondern auch der den Produktivkräften zuzurechnende großindustrielle Produktionsapparat, unter anderem weil er Form und Inhalt sozialer Beziehungen prägt, zu pfadabhängigen Monopolisierungen führt und naturzerstörende Agglomerationen von Menschen bedingt. In einem daran anschließenden Beitrag argumentieren Bechmann und Ko-Autoren empirisch vergleichend anhand der Entstehung des Politikfelds Umfeld in der Bundesrepublik, der DDR, Indien, China und Korea, dass es über die bisweilen radikal unterschiedlichen Gesellschaften und Regierungssysteme hinweg deutliche Analogien gebe. Einzelne Politiken zum Schutz der Umwelt gab es schon lange, doch zu einem eigenen Politikfeld mit darauf bezogenen offiziellen Programmatiken, Expertengremien, Institutionen und sich daraus ergebenden Gesetzgebungen kam es erst, als die »objektiven« Krisen der Produktivkraftentwicklung mit Folgen für die Umwelt auch Eingang ins subjektive Bewusstsein fanden, als solche erlebt und zum Anlass für politische Mobilisierung gemacht wurden.

Auf die Frage der Subjekte stoßen auch die Erörterungen zur genuin politischen Dimension, die sich durch die verschiedenen Beiträge ziehen. Der zeitweise Grünen-Bundesvorstand und spätere Transformationsforscher Helmut Wiesenthal arbeitet in seinem Thesenbeitrag messerscharf heraus, dass zwar die absolute Knappheit natürlicher Energieträger die (systemneutrale) Grenze stofflicher Produktionsvoraussetzungen markiert. Die letztendlich entscheidende Schranke sei aber zu finden in den politisch mobilisierbaren Ansprüchen der Individuen. Erst wenn diesen die Lösung des Energieproblems über Atomkraft als zu teuer, etwa weil zu risikoreich, erscheint, wird die materielle Produktion problematisch. Betrachtet man den Eiertanz um den Ausstieg aus schmutzigen Energieträgern und die phänomenale Politisierung des Klimawandels im vergangenen Jahr, erscheinen Wiesenthals Worte geradezu prophetisch. 

Auf ihre Art warnen mehrere der Autoren vor einer etatistischen oder technokratischen Verkürzung der Umweltpolitik. Der Sozialdemokrat Knut Krusewitz betreibt eine wichtige Nestbeschmutzung, indem er der sozialliberalen Koalition für die 1970er Jahre nachweist, ihre Umweltpolitik unter Ausblendung ihrer machtpolitischen und kapitalismusspezifischen Randbedingungen betrieben zu haben. Nach wie vor lesenswert sind schließlich Wolf Haugs Anmerkungen dazu, wie ArbeiterInnen- und Umweltbewegung sinnvoll zu verschränken sind. »Das große Problemfeld ungesättigter Bedürfnisse der Sinne und des Sinns, der Kommunikation und der Persönlichkeitsentwicklung muss den andern beiden Problemfeldern der Arbeiterbewegung und der Ökologie angelagert werden«. Wer könnte dem heute widersprechen?

Alternative Umweltpolitik. Natur- und arbeitsorientierte Politik, Wissenschaft und Technologie, Argument-Sonderband 56, Argument-Verlag, Berlin 1981.

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