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Beschäftigung im Wandel: Der OXI-Überblick zum Stand der Lohnarbeitsmühle

08.05.2018
Atlas der ArbeitBartz/Stockmar,Lizenz: CC BY-SA 4.0

Zusammen mit dem DGB hat die Hans-Böckler-Stiftung den »Atlas der Arbeit« herausgebracht. Er nimmt Arbeit unter verschiedenen Gesichtspunkten genau unter die Lupe. Das Fazit: Lohnarbeit hat sich in den vergangenen Jahren stark geändert – zum Schlechteren. Für einen Kurswechsel müssen Politik und Beschäftigte selbst sorgen.

Alle reden über Ungleichheit, meist wird jedoch nur über einzelne Aspekte diskutiert. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hat gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) den »Atlas der Arbeit« herausgebracht und damit einen umfangreichen Überblick über Ursachen und Auswirkungen von Ungleichheit im Bezug auf Lohnarbeit zusammengestellt. Mit detaillierten Zahlen, Entwicklungen über die letzten Jahrzehnte und Handlungsaufforderungen für Politik und in die eigenen Reihen zeigt er Trends der Arbeitswelt in Deutschland, Europa und der Welt auf.

Die Arbeitswelt in Deutschland wird diverser, aber auch instabiler: 75 Prozent der erwerbsfähigen Menschen sind derzeit in einem Arbeitsverhältnis, von 44 Millionen Beschäftigten gehen 31,5 Millionen einer sozialversicherungspflichtigen Lohnarbeit nach. Auffällig ist, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse (Mini-Jobs, befristete Stellen, Leiharbeit, Solo-Selbstständigkeit) sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt haben. Diese Jobs sind oft weniger stabil, schlechter bezahlt und führen zu schlechterer sozialer Absicherung im Alter und bei Arbeitslosigkeit. Die wichtigsten Entwicklungen in Deutschland:

Teilzeit: Die Zahl der Teilzeitstellen (8,5 Millionen im Jahr 2016) hat sich in dieser Zeit verdoppelt. Viermal mehr Frauen als Männer arbeiten in Teilzeit, insgesamt 48 Prozent der erwerbstätigen Frauen. Unter anderem darauf ist der große Lohnabstand (durchschnittlich 21 Prozent) von Frauen und Männern zurück zu führen.

Mini-Jobs: 7,5 Millionen Menschen arbeiten in Mini-Jobs, in denen sie maximal 450 Euro im Monat verdienen dürfen. Für fünf Millionen von ihnen ist es die einzige Einkommensquelle. 1,2 Millionen der Erwerbstätigen sind zusätzlich auf Hartz IV angewiesen. Die Erwerbsarmut hat sich seit 2004 verdoppelt – auch mit Job reicht es nicht für das gute Leben.

Leih-Arbeit: Eine Million Menschen Leihbeschäftigte gibt es derzeit. Unternehmen nutzen sie, um Produktionsschwankungen auszugleichen. Viele dieser Beschäftigten haben keine Aussicht auf reguläre Beschäftigung.

Befristungen: Rund 44 Prozent der Neuanstellungen sind befristete Beschäftigungsverhältnisse. BerufseinsteigerInnen und unter 35-Jährige sind zu 60 Prozent in solchen unsicheren Beschäftigungsverhältnissen angestellt – meist ohne Sachgrund. Gerade im öffentlichen Dienst und im Wissenschaftsbetrieb sind Befristungen die Regel.

Flexibilität: Nur etwa zehn Prozent, hauptsächlich Männer in Führungspositionen, können frei entscheiden, wann sie zur Arbeit gehen. Ein Drittel der Beschäftigten haben variable Arbeitszeiten und weitere 25 Prozent arbeiten in Gleitzeit. Das Thema flexible Arbeitszeitgestaltung wird für Arbeitende immer wichtiger, was auch jüngste Tarifverhandlungen und Umfragen gezeigt haben. Jeder fünfte Beschäftigte arbeitet zu atypischen Arbeitszeiten wie Schicht- und Nachtarbeit.

Entgrenzung der Arbeit: 2016 wurden über 1,8 Milliarden Überstunden geleistet, etwa die Hälfte davon unbezahlt. Es sind besonders Teilzeitkräfte, die über ihre Arbeitszeit hinaus arbeiten und Beschäftigte, deren Arbeitszeit nicht formal geregelt ist.

Digitalisierung: Der technologische Wandel hat Arbeitsplätze, Arbeitsmärkte und Arbeitsstrukturen maßgeblich verändert. Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken. Je höher der Grad der Digitalisierung, was auch immer das für die AutorInnen des Atlas bedeutet, am Arbeitsplatz, desto höher ist der Druck auf die Beschäftigten und desto höher die unbezahlte Mehrarbeit.

Ausbildung: Immer weniger junge Menschen beginnen in Deutschland eine Ausbildung. Das liegt nicht nur am Geburtenrückgang, immer mehr entscheiden sich für ein Studium, da die Zahl derer, die die Schule mit Abitur oder Fachhochschulreife verlassen, weiter steigt. Immer mehr Unternehmen fordern diese Abschlüsse mittlerweile als Voraussetzung für eine Ausbildung, was Menschen mit Hauptschulabschlüssen aus den Ausbildungsberufen verdrängt. Rund 1,2 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahre haben keine abgeschlossene Berufsausbildung und jeder fünfte derjenigen mit abgeschlossener Berufsausbildung verdient weniger als 10 Euro brutto pro Stunde.

Soweit einige wichtige Fakten, doch was heißt das für die Entwicklungen in Deutschland?

Die Einkommensungleichheit ist hierzulande riesengroß. Das liegt vor allem daran, dass der Niedriglohnsektor wächst, zu dem auch der Dienstleistungssektor mit einfachen und schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen zählt, der in den letzten Jahren stark gewachsen ist und aufgrund der Digitalisierung weiter steigen wird. Er ist heute einer der größten in ganz Europa. Die Einführung des Mindestlohns hat den Arbeitsmarkt am unteren Rand stabilisiert. Ein wirksames Mittel für eine Existenzsicherung kann er jedoch nur werden, wenn er steigt. Auch die Gruppe der Menschen mit hohem Einkommen wächst an. Doch die Einkommensmitte wird dünner. Frauen verdienen nach wie vor etwa 21 Prozent weniger als Männer. Die Gründe dafür sind vielfältig: unterschiedliche Erwerbsbiografien, Wahl der Berufe (Frauen arbeiten wesentlich häufiger im schlechter bezahlten Dienstleistungssektor) und häufigere Arbeit in Teilzeit. Das wirkt sich auch in der Rente aus.

Der Arbeitsmarkt wächst. Trotzdem sind immer noch 2,5 Millionen Menschen offiziell als arbeitslos gemeldet, eine Million von ihnen gilt als langzeitarbeitslos. Eine weitere Million Menschen nimmt an Weiterbildungsmaßnahmen teil oder arbeitet in öffentlich geförderten Beschäftigungen und wird deshalb nicht offiziell als arbeitssuchend gezählt. In Deutschland gibt es ein Nord-Süd-Gefälle der Arbeitslosenquoten. Besonders hohe Quoten gibt es in früheren Industriestandorten.

Demografie, Altersarmut, Zuwanderung

Demgegenüber steht der demografische Wandel: Es scheiden heute mehr Menschen aus dem Arbeitsmarkt aus als eintreten. Rein rechnerisch könnte, so die AutorInnen des «Atlas der Arbeit«, die Arbeitslosigkeit im Jahr 2027 komplett überwunden werden. Das würde den Sozialstaat entlasten, mehr Steuern in die Staatskasse spülen und in Folge der Knappheit der Arbeitskraft zu Lohnsteigerungen führen. So zumindest die Theorie.

Der demografische Wandel beeinflusst auch das Rentenniveau. Entscheidungen des Bundestages über Beitragssätze, Rentenalter und weiteren Leistungen haben das Rentenniveau reduziert, in den letzten Jahren ist es um etwa 10 Prozent gesunken und wird in den kommenden Jahren, sollte die Politik nicht einschreiten, bei 48 Prozent verharren. Immer mehr RentnerInnen sind auf eine zusätzliche Grundsicherung angewiesen. Die steigende Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse wird das noch verschlimmern.

Laut des Atlas wird die Zuwanderung in den kommenden Jahren ein entscheidender Lösungsfaktor für den demografischen Wandel sein, heute sind es bereits 50 Prozent der Neueinstellungen, die mit MigrantInnen, meist aus dem EU-Ausland, besetzt werden. Dem fortschreitenden Fachkräftemangel könne nur mit einer gezielten Zuwanderungspolitik begegnet werden.

Das Bild, dass der »Atlas der Arbeit« von der Arbeitswelt zeichnet, ist alles andere als rosig. Zumal die Zahl derer, die gewerkschaftlich organisiert sind bundesweit zurück geht. Dabei sind es die Gewerkschaften, die jedes Jahr etwa 5.000 bis 6.000 der 70.000 gültigen Tarifverträge neu verhandeln. Doch auch hier wird der Anstieg der atypischen Beschäftigung deutlich: Immer weniger Beschäftigte sind durch Tarifverträge gebunden. Den Gewerkschaften fehlen wirksame Antworten auf technischen Wandel, neue Arbeitsformen und Prekarität. Es wird nicht reichen, die Politik auf die Probleme aufmerksam zu machen und Lösungen zu fordern. Nichtsdestotrotz ist der »Atlas der Arbeit« ein wichtiger Schritt, das notwendige Schlaglicht auf die Probleme zu lenken – auch in globaler Perspektive.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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