Wirtschaft
anders denken.

… aber besser als Jamaika: Die DGB-Gewerkschaften und das Sondierungspapier

16.01.2018
Marek Śliwecki ,Lizenz: CC BY-SA 4.0 DGB-Zentrale in Berlin

Die DGB-Gewerkschaften loben das Sondierungsergebnis – allerdings eher verhalten. Je genauer auf die vorläufige Vereinbarung von Union und SPD geschaut wird, desto größer erscheinen die Lücken zu dem, was sich die Gewerkschaften erhofft hatten. Dennoch wird die SPD nun zu Koalitionsverhandlungen gedrängt.

Was hört man aus dem DGB? Inzwischen vor allem Äußerungen, die wie Appelle in Richtung der SPD-Basis klingen – oder gern auch von Parteipolitikern als solche weiterverbreitet werden. Die Medien geben die Positionen bisweilen auch so wieder. Vor den Bundestagswahlen war das traditionelle Band zwischen Partei und Gewerkschaften gern betont worden, selbstverständlich im Rahmen der überparteilichen Selbstsicht im DGB. Die Hoffnungen auf einen Politikwechsel dürften freilich größer gewesen sein, wobei man die einzelnen Organisationen nicht in einen Topf werfen kann. In Sachen Energiepolitik vertritt die IG BCE eher konservative Positionen, ver.di gilt wie die NGG eher links stehend. Das drückt sich auch in den Äußerungen zum Sondierungsergebnis aus.

Der DGB hatte in einer ersten »Bewertung der Sondierungsergebnisse« noch am Tag des Abschlusses der Gespräche zwar »Substanz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer« entdeckt. Man machte dabei vor allem auf »die Stabilisierung der Rente, die Wiederherstellung der Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung, die Stärkung von Bildung und die Verbesserung der Pflege« aufmerksam. »Auch die Vorschläge für ein solidarisches und soziales Europa sind ein wichtiger Schritt.« Der Unterschied zu einer möglichen Jamaika-Koalition wird überdies zum Hauptargument: »Im Vergleich«, so der DGB-Chef Reiner Hoffmann, sei das Sondierungsergebnis von Union und SPD »in der Summe besser als das, was wir mit Jamaika jemals erreicht hätten«. In Koalitionsverhandlungen müsse es jedoch »bei erkennbaren Schwachpunkten Verbesserungen geben« – dies wurde zunächst allerdings nur bezogen auf »die Herausforderungen der digitalen Transformation«, wobei es dem DGB vor allem um »eine stärkere Akzentuierung von Zukunftsinvestitionen mit einer soliden Finanzierung, und die Förderung von sicherer Arbeit und Tarifbindung« geht.

Kernforderungen wurden nicht erfüllt

Von vor der Wahl seitens des DGB geäußerten Forderungen, etwa in Sachen Hartz IV, findet sich nach der Sondierung aber nichts im Papier der Parteien. DGB-Vorstand Annelie Buntenbach erklärte inzwischen denn auch, »es gibt noch viel zu tun – und einige Kernforderungen der Gewerkschaften wurden nicht erfüllt, kritisiert«. Buntenbach verweist auf uneingelöste Ziele etwa die Abschaffung von sachgrundlosen Befristungen. Mehr Konkretes wünschte man sich beim DGB auch in Sachen Stärkung der Tarifbindung und Mitsprache bei der Arbeitszeit. Mit Blick auf die Pläne zur Förderung von Langzeitarbeitslosen heißt es, »ein neues Regelinstrument zur Teilhabe am Arbeitsmarkt begrüßen wir. Wir fordern schon lange öffentlich geförderte Beschäftigung für Langzeitarbeitslose zu vernünftig abgesicherten Bedingungen. Dafür muß aber auch genügend Geld zur Verfügung gestellt werden«. Dies sei bisher aber im Sondierungsergebnis nicht abgesichert.

Kritisch äußerte sich auch die Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten NGG, Michaela Rosenberger. Zwar sieht auch sie »begrüßenswerte Punkte«; vor allem aber mit Blick auf den Arbeitsmarkt jedoch nachgebessert werden: »Es fehle ein klares Bekenntnis zum Arbeitszeitgesetz und zum Mindestlohngesetz«, so die Gewerkschafterin. Zudem machen Formulierungen des Papiers, etwa zu den »Wünschen« zur Arbeitszeitgestaltung Sorgen, dass damit der Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit Tür und Tor geöffnet werde. Hinzu kommen Befürchtungen, dass die Dokumentationspflichten im Mindestlohngesetz und die Sanktionen bei Nichterfüllung dem im Sondierungspapier aufgeführten »Bürokratieabbau« oder der »Verringerung der Statistikpflichten« zum Opfer fallen. Wie Buntenbach meint auch Rosenberger, die geplante Ausweitung der Midi-Jobs müsse Sorgen machen. »Gerade für Frauen, die überwiegend in Mini- und in Midi-Jobs arbeiten, wäre damit der weitere Weg in die Altersarmut vorgezeichnet.«

IG BCE lobt »Realismus in der Energiepolitik«

Bei der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) findet man »in den Ergebnissen der Sondierungen von Union und SPD einen spürbaren Fortschritt für die Arbeitnehmerschaft«. Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis erklärte, »das Sondierungspapier birgt elementare Verbesserungen für die Beschäftigten und die soziale Gerechtigkeit«. Genannt werden dann unter anderem »die Pläne zur Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, zur Schaffung eines Rechts auf befristete Teilzeit oder zur Rückkehr zu einer paritätisch finanzierten Krankenversicherung«. Typisch für die Gewerkschaft ist der Fokus auf einen »Realismus in der Industrie- und Energiepolitik«, dem hätten sich die Sondierer angenähert. Vassiliadis sieht dies unter anderem in dem Vorhaben bestätigt, »Forschungs- und Investitionsprojekte stärker zu fördern und den Umbau der Energieversorgung sozial verantwortlich zu gestalten«. Dies kann als Lob für die im Vergleich zum Jamaika-Papier reduzierten klimapolitischen Zielsetzungen verstanden werden. Zu diesem Themenbereich hätte sich die IG BCE offenbar noch mehr Zugeständnisse gewünscht. »Gleichwohl bleibe das Sondierungspapier hier teils widersprüchlich, sagte Vassiliadis«, heißt es bei der Gewerkschaft.

Die unter dem Dach des DGB organisierte Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat vor allem begrüßt, »dass die innere Sicherheit in den Sondierungsgesprächen« einen wichtigen Stellenwert einnahm. Es komme nun »darauf an, dass die im Sondierungspapier angekündigte Personalverstärkung bei der Polizei neben dem Bund vor allem auch in den Ländern zeitnah umgesetzt wird«, so GdP-Chef Oliver Malchow. Es sei zwar »klar, dass Absichtserklärungen noch keine praktische Regierungsarbeit bedeuteten, jedoch haben die in den Sondierungsrunden gefundenen Kompromisse eine Chance verdient«.

Hier geht es zum großen OXI-Überblick zur Regierungsbildung.

Geschrieben von:

OXI Redaktion

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