Wirtschaft
anders denken.

»Auch Bioplastik kommt nicht ohne Zusatz von Chemikalien aus«

Ein Interview über wissenschaftlich nachgewiesene Risiken und Nebenwirkungen der aktuellen Verpackungsalternativen. Aus OXI 7/22.

22.07.2022
Dr. Lisa Zimmermann ist Biologin mit den Schwerpunkten Ökotoxikologie, Molekulare Toxikologie und Biochemie und hat an der Goethe-Universität Frankfurt am Main promoviert. Im Rahmen ihrer Tätigkeit für das PlastX-Projekt am Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main veröffentlichte ihr Team 2020 die Studie »Are bioplastics and plant-based materials safer than conventional plastics? In vitro toxicity and chemical composition«. Seit Juni 2021 ist sie Mitarbeiterin des Food Packaging Forum in Zürich.

OXI: »Pflanzenbasiert«, »natürlichen Ursprungs« oder »biologisch abbaubar« sind bekanntermaßen dehnbare Begriffe. Wie viel Verwirrung und auch Etikettenschwindel sehen Sie derzeit bei »Bioplastik-Verpackungen«?

Dr. Lisa Zimmermann: Allein der Begriff »Bioplastik« führt leicht zu Verwirrungen, da er für die Beschreibung verschiedener Materialien beziehungsweise Eigenschaften verwendet wird. Erstens für bio-basierte Materialien, die, anders als herkömmliche Kunststoffe, nicht aus Erdöl, sondern aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt sind. Dazu zählt zum Beispiel Bio-Polyethylen (Bio-PE).

Zweitens gibt es Materialien, die unter bestimmten Bedingungen biologisch abbaubar sind, also durch biologische Prozesse in Biomasse, CO2, Methan und Mineralsalze zersetzt werden. Ein Beispiel ist Polymilchsäure (PLA). Entsprechend können Materialien, die als Bioplastik bezeichnet werden, also erdölbasierte Polymere sein, die biologisch abbaubar sind (zum Beispiel Polybutylensuccinat (PBS)), bio-basierte Polymere, die biologisch abbaubar sind (zum Beispiel PLA) oder bio-basierte Polymere, die nicht biologisch abbaubar sind (zum Beispiel Bio-PE).

Bei Produkten, die als »biologisch abbaubar« gekennzeichnet sind, ist außerdem zu beachten, dass sie nur unter ganz bestimmten Bedingungen (zum Beispiel Temperatur, Feuchtigkeit) komplett biologisch abbaubar sind. Diese Bedingungen sind allerdings nicht immer gegeben, nicht einmal in industriellen Kompostieranlagen. Entsprechend sind solche Materialien keine Lösung für die Plastikvermüllung, sondern nur für einzelne Anwendungen sinnvoll.

Maisstärke, Kreide, Pilzkulturen – es scheint, als gäbe es im Verpackungsbereich dennoch kaum etwas, das nicht als möglicher Nachfolger für Plastik erforscht wird. Wo sehen Sie das größte Potenzial?

In meiner Forschung habe ich mich darauf konzentriert, die chemische Zusammensetzung und potenzielle Toxizität verschiedener Produkte aus Plastik und alternativen Materialien zu untersuchen. Wir haben beispielsweise Materialien betrachtet, die auf Stärke basierten oder mit Hilfe bestimmter Bakterien hergestellt wurden. Das hat gezeigt, dass bio-basierte und/oder bioabbaubare Produkte ebenso viele Chemikalien enthalten können und diese ebenso toxisch sein können wie die Chemikalienmischungen, die in konventionellen, erdölbasierten Kunststoffen enthalten sind. Insgesamt hat unsere Studie gezeigt, dass bio-basierte und bioabbaubare Materialien aus toxikologischer Perspektive nicht besser sind als herkömmliche Kunststoffe.

Neben potenziellen gesundheitlichen Auswirkungen sind auch weitere Faktoren dafür ausschlaggebend, ob ein Material das Potenzial hat, Plastik im Verpackungsbereich zu ersetzen. Beispielsweise: Gleicht es etwa Plastik in seiner Funktionalität und sind die Herstellungskosten tragbar? Die »eierlegende Wollmilchsau«, also ein Material, das Plastik in seiner Funktionalität gleicht, nicht teurer und in großen Mengen herstellbar ist und das Plastik in Bezug auf Nachhaltigkeit und gesundheitliche Auswirkungen schlägt, gibt es meines Wissens unter den »Biokunststoffen« bisher nicht. Zumindest ist es nicht kommerziell erhältlich oder in Verwendung.

In einer 2020 veröffentlichten Studie haben Sie festgestellt, dass viele Verpackungen aus »alternativen Kunststoffen« giftig sind. Was bedeutet das genau und wie ist es zu erklären?

Kurz zu dem Hintergrund der Studie, die Sie hier ansprechen. Wir haben dafür 43 Produkte aus bio-basierten und bioabbaubaren Materialien auf ihre chemische Zusammensetzung und toxikologische Unbedenklichkeit hin untersucht. Dazu haben wir die Produkte in Stücke geschnitten und, um möglichst viele der Chemikalien abzubilden, die in den Materialien verwendet werden, die Chemikalien mit einem Lösemittel aus den Produkten herausgelöst. Diese sogenannten Extrakte wurden anschließend unter anderem in verschiedenen Zelltests auf ihre Toxizität (unspezifische, hormonähnliche Wirkung) hin untersucht.

Unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass in bio-basierten und bioabbaubaren Produkten komplexe Substanzmischungen enthalten sind, die in Zelltests toxische Effekte hervorrufen. Um die Auswirkungen auf Mensch und Natur zu bestimmen, müssen weitere Studien untersuchen, welchen Mengen dieser Chemikalien Mensch und Umwelt tatsächlich ausgesetzt sind und welche Effekte »in vivo« auftreten.

Was die Ergebnisse jetzt schon verdeutlichen, ist, dass »Bioplastik« ebenso wie konventionelle Kunststoffe eine Vielzahl oft unbekannter sowie oft toxikologisch nicht charakterisierter Chemikalien enthält. Auch Biokunststoffe kommen nicht ohne Zusatz von Chemikalien aus, da diese unter anderem nötig sind, um eine gewünschte Funktionalität wie Elastizität oder Hitzebeständigkeit zu erreichen. Um die toxikologische Unbedenklichkeit von Kunststoffen und deren Alternativen zu garantieren, sollte man daher daran arbeiten, die Produkttestung anzupassen. Beispielsweise, indem man die Effekte der Gesamtmischung der Chemikalien in Produkten untersucht. Unterstützend sollte die Komplexität von Kunststoffen reduziert werden, indem man möglicherweise nur ein bestimmtes Set an Chemikalien und Polymeren zulässt, und die Transparenz hinsichtlich der Inhaltsstoffe erhöht werden, damit man weiß, welche Chemikalien sich in einem Produkt befinden.

Was folgt daraus kurzfristig: Wenn schon Einwegverpackung, dann lieber aus herkömmlichem Plastik, weil da die gesundheitlichen Risiken und Nebenwirkungen besser erforscht sind?

Auch Produkte aus herkömmlichem Plastik sind weder zwingend besser erforscht noch gesundheitlich unbedenklicher. Unsere Studie hat gezeigt, dass die chemische Zusammensetzung und Toxizität spezifisch für das jeweilige Produkt ist, also nicht allein davon abhängt, aus welchem Kunststoff, egal ob herkömmlich oder »bio«, es hergestellt ist. Entsprechend müsste man jedes einzelne Produkt untersuchen, um eine Aussage darüber zu treffen, ob es potenziell gesundheitliche Auswirkungen haben könnte. Dies ist aufgrund des damit verbundenen Zeit-, Kosten- und Arbeitsaufwands schlichtweg unmöglich. Daher ist es aus gesundheitlicher Perspektive besser, inerte – also aus chemischer Sicht reaktionsträge – Materialien wie Glas oder Edelstahl zu nutzen. Mehrweg statt Einweg hilft zudem, Ressourcen zu schonen. Noch besser ist es, unverpackt einzukaufen, wann immer möglich.

Ihre erwähnte Studie schließt mit dem Appell, neben den Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit auch den CO2-, Wasser-, Land- und Ernährungs-Fußabdruck zu berücksichtigen, »um keine Plastik-Alternativen zu entwickeln, die wir später bereuen«. Was wäre für einen derartigen ganzheitlichen Ansatz nötig?

Ein Ansatz, um die Sicherheit und Nachhaltigkeit von Produkten aus herkömmlichem Plastik oder dessen Alternativen zu bewerten, sind Ökobilanzen (Life Cycle Assessments), welche die oben genannten Parameter, also auch potenzielle gesundheitliche Auswirkungen, berücksichtigen. Deren Erstellung ist allerdings mit großem Zeitaufwand und Kosten verbunden, und somit ist eine Bewertung aller Materialien mit dieser Methode einfach nicht möglich.

Die Studie von Dr. Lisa Zimmermann findet sich hier.

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