Wirtschaft
anders denken.

Hochrüsten? Das BIP und das Zwei-Prozent-Ziel

08.09.2017
ILA-/Gemoy/GemeinfreieinfreiDienstgrade in der Bundeswehr.

Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO ist Wahlkampfthema – die rot-rot-grünen Parteien lehnen die damit verbundene drastische Aufrüstung ab. Ohnehin ist eine Koppelung an das BIP absurd. Die wichtigsten Hintergründe.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat eine aktuelle Konjunkturprognose veröffentlicht – laut der das Bruttoinlandsprodukt in der Bundesrepublik 2017 und 2018 um jeweils 1,9 Prozent steigt, für das Jahr darauf sind dann nur noch 1,6 Prozent vorhergesagt. Es soll hier weniger um die Rolle volkswirtschaftlicher Glaskugeleien gehen, als um eine eigentlich ganz andere Angelegenheit: die Militärausgaben. Seit die SPD das Thema entdeckt hat, taucht es immer einmal wieder im Wahlkampf auf: Führende Sozialdemokraten haben sich von der NATO-Zielvereinbarung distanziert, jährlich für Rüstung und Armeen zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes auszugeben.

Das wird seitens der SPD mit ganz verschiedenen Begründungen abgelehnt, mal erscheinen diese sinnvoller, mal weniger – etwa, wenn sich Außenminister Sigmar Gabriel die Frage stellt, »wo wir die ganzen Flugzeugträger hinstellen sollen, die wir kaufen müssten, um 70 Milliarden Euro pro Jahr in die Bundeswehr zu investieren«. Das ist der Betrag, der in den Medien meist als Volumen einer Aufrüstung nach dem Zwei-Prozent-Kriterium genannt wird. Zugegeben, Gabriel hat auch schon den richtigen Hinweis auf die europäischen Nachbarn gegeben, die mit einem hochgerüsteten Deutschland wohl nicht unbedingt glücklich wären. Von der Frage, worin hier eigentlich investiert werden würde – in Sicherheit? Und was das für andere öffentliche Ausgaben bedeuten würde, etwa in Entwicklung, Soziales, Bildung und so fort.

Interessant ist, dass kaum einmal in der Debatte die rein formale Absurdität des Zwei-Prozent-Zieles zum Thema gemacht wird: Von 2006 bis 2016 stiegt das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt im Durchschnitt jährlich um etwas über 1,6 Prozent. Das BIP ist also keine statische Größe, sondern eine dynamische – und auch wenn der Kapitalismus ohne Krise nicht zu haben ist, gehört eben auch das Wachstum zu ihm. Für eine Anbindung der Militärausgaben eines Landes an sein BIP hieße das also in der Regel, dass jedes Jahr immer mehr für Armee, Soldaten, Waffen, Liegenschaften, Pensionen, Rüstungsforschung und so weiter ausgegeben wird.

Man kann das an den zurückliegenden Jahren veranschaulichen: Laut Zahlen des Forschungszentrums SIPRI lag der Anteil der deutschen Militärausgaben in den Jahren von 2013 bis 2016 jeweils bei 1,2 Prozent vom BIP. (Hier gibt es eine lange Reihe des Statistischen Bundesamtes zum Bruttoinlandsprodukt.) Da aber das BIP in dieser Zeit auch gewachsen ist, machten die 1,2 Prozent von 2016 schon fast vier Milliarden Euro mehr aus als die 1,2 Prozent von 2013.

Auch ein Blick in die Vergangenheit ist interessant. (Eine Übersicht über die Entwicklung der Militärausgaben in Deutschland von 1925 bis 1944 und in der Bundesrepublik von 1950 bis 2015 im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Leistung gibt es bei Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags.) Mit diesem Hinweis auf vergangene Zeiten wird nun hier und da versucht, das Zwei-Prozent-Ziel als gar nicht sooo schlimm zu verteidigen. Motto: Die Aufregung ist doch überzogen, früher wurde auch anteilig mehr vom BIP für die Bundeswehr ausgegeben.

Das aber trifft nur auf den prozentualen Anteil zu, nicht auf den absoluten. 1992 zum Beispiel wurden laut SIPRI zuletzt zwei Prozent vom BIP bei den Militärausgaben erreicht – in damaligen Preisen gerechnet waren das etwa 33,9 Milliarden Euro – also etwa so viel wie 2013. Nun wird in dieser Betrachtung einiges verzerrt, was an der Vergleichbarkeit von Preisen über längere Zeiträume liegt und daran, was man unter Militärausgaben versteht – wie SIPRI das sieht, steht hier. Aber man bekommt einen Eindruck davon, wie aberwitzig die strikte Verteidigung des Zwei-Prozent-Zieles seitens etwa der Kanzlerin ist.

Zumal: Von einer verbindlichen Verabredung kann keine Rede sein. Die Zwei-Prozent-Zusage« bleibe »eine nicht-bindende Verpflichtung der Mitgliedstaaten«, heißt es beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags. »Sie stellt somit ausschließlich eine politische Willensbekundung dar.« Und der politische Wille kann sich ändern. Oder anders herum gefragt: Hat eigentlich seinerzeit irgendein Parlament debattiert und zugestimmt, bevor die Bundesregierung auf dem NATO-Summit in Wales 2014 das »Defence Investment Pledge« vereinbarte?

Mag sein, dass die Debatte um das Zwei-Prozent-Ziel auch einen ganz anderen Zweck erfüllen soll: Sie lässt den Eindruck entstehen, die Bundesregierung würde zu wenig Geld ins Militär lenken – worauf man dann leichter eine Erhöhung der Ausgaben für die Bundeswehr fordern und durchsetzen kann. 2017, so der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold, »hat Deutschland die Verteidigungsausgaben um 7,9 Prozent erhöht. Das sind elf Prozent des Bundeshaushalts«. Vielleicht sollte man eher über eine Etatbremse für die Rüstung diskutieren. Dann müsste nicht weniger für Bildung oder Verkehr ausgegeben werden als für das Militär.

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