Wirtschaft
anders denken.

Mit Bodenpolitik gegen Wohnungsnot

21.04.2021
Die Fassade eines PlattenbausBild von 11333328 auf PixabayEs werden nicht zwangsläufig Plattenbauten gegen die Wohnungsnot benötigt

Der Verkauf des wohnungspolitischen „Tafelsilbers“ in Berlin eröffnet Möglichkeiten für eine alternative Bodenpolitik. Aus OXI 4/21.

Durch die Privatisierungspolitik seit 1990 hat die öffentliche Hand Handlungsoptionen eingebüßt und aus der Hand gegeben. In Ostdeutschland haben die Maxime »Rückgabe vor Entschädigung« und gesetzliche Privatisierungsauflagen für öffentliche und genossenschaftliche Wohnungsunternehmen rigoros ihre Wirkung entfaltet. Hinzu kam die öffentliche Finanznot, die der Privatisierung von öffentlichen Gütern – seien es Immobilien, Unternehmen oder Beteiligungen – Vorschub leistete.

Das Resultat in Berlin: Der städtische Wohnungsbestand sank von über 500.000 im Jahr 1990 auf weniger als 270.000 Wohnungen im Jahr 2011 (aktuell durch Ankauf und Neubau auf rund 340.000 gewachsen). Berlin hat zudem eigene Grundstücke in einem Umfang von über zehn Millionen Quadratmetern veräußert, was etwa der Flächengröße des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg entspricht. Die Stadt hat also in den vergangenen Jahrzehnten, anfangs auch aus ideologischen, später ausschließlich aus Haushaltsgründen, Tafelsilber privatisiert. Nun muss Gestaltungsspielraum mühevoll und teuer zurückgewonnen werden.

Berlin nutzt alternative Liegenschaftspolitik

Wie geht das? Geht das überhaupt? Berlin hat seit 2011 seine Liegenschaftspolitik schrittweise umgestellt. Maßgeblich dafür waren zivilgesellschaftlicher Druck, vor allem der Initiative »Stadt neu denken«, und die politische Einsicht zunehmender Einschränkung der eigenen Handlungsmöglichkeiten. Städtische Grundstücke werden nicht mehr veräußert, sondern den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften ins Eigenkapital zur Errichtung von leistbarem Wohnraum übertragen, für öffentliche Vorhaben vorgehalten oder an Dritte in Erbpacht vergeben. Der Erbbauzins ist für Wohnnutzung auf höchstens 2,5 Prozent abgesenkt worden und wird in den Bieterverfahren bei Bedarf weiter reduziert. Auch der Wiedereinstieg in eine aktive Ankaufspolitik ist jüngst beschlossen worden.

Berlin nutzt seit 2015 das kommunale Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten, zunächst vereinzelt, seit 2017 systematisch und verstärkt. Die Anzahl der Gebiete wurde erheblich vergrößert, städtische Wohnungsbaugesellschaften beteiligen sich als aktive Partner und ein Unterstützungsfonds wurde aufgelegt. Allerdings setzen die rasant steigenden Immobilienpreise und die Nutzung rechtlicher Schlupflöcher dem Einsatz dieses Instruments Grenzen. Zwar sieht das Gesetz bei überhöhten Kaufpreisen den Erwerb zum limitierten Verkehrswert vor. Praktisch haben Gerichte diese Möglichkeit versperrt. In einem seit 2017 anhängigen Berliner Fall erkannte das Gericht einen gegenüber dem ermittelten Verkehrswert um 23 Prozent höheren Verkaufspreis nicht als spekulativ überhöht an. Hier bedarf es offenbar einer gesetzlichen Klarstellung auf Bundesebene.

Bodenpolitik ist notwendig

Ein weiteres Hindernis für das kommunale Vorkaufsrecht sind Share Deals, bei denen nicht Immobilien veräußert werden, sondern Anteile von Gesellschaften, die Immobilien besitzen. Damit auch hier Kommunen ihr Vorkaufsrecht wahrnehmen können, muss das Baugesetzbuch geändert werden. Die aktuelle Novelle enthält hierzu allerdings keine Vorschläge.

Selbst der limitierte Verkehrswert ist angesichts der Immobilienpreise vielfach zu hoch für leistbaren Wohnraum oder andere gemeinwohlorientierte Nutzungen. Es müssen also Wege eröffnet werden, den Bodenpreis an der künftigen Nutzung auszurichten. In der Theorie der amtlichen Wertermittlung bewegen sich Sachwert, Ertragswert und Vergleichswert von Grundstücken auf vergleichbarem Niveau. Die Realität zeigt jedoch, dass Verkehrswerte aufgrund immer höherer Ertragserwartungen in attraktiven Lagen hochspekulativ sind. Seit der Finanzkrise und der weltweit anhaltenden Politik des billigen Geldes haben sich Kaufpreise und Erträge von Immobilien weitgehend entkoppelt. Die rechtlichen Vorgaben für die Wertermittlung müssen darauf reagieren und durch bodenpreissenkende Elemente den Spielraum für die öffentliche Hand erweitern bzw. wiederherstellen. Das ist bisher jedoch nicht vorgesehen.

Planvolle Stadtentwicklung ohne eine bodenpolitische Agenda ist unmöglich. Zwar können Kommunen mit ihrer baurechtlichen Planungshoheit Nutzungszwecke für städtische Flächen bestimmen, verfügen sie jedoch nicht über eigene Grundstücke, Unternehmen, Investitionsmittel oder andere Instrumente, obliegt die Umsetzung von öffentlichen Planungszielen Privaten. Und deren Handlungslogik ist in der Regel nicht auf öffentliche Interessen und das Wohl der Allgemeinheit ausgerichtet. Das besondere Städtebaurecht eröffnet den Kommunen weitere bodenpolitische Spielräume durch das Einfrieren der Bodenpreise auf dem Niveau von sogenannten Anfangswerten und die Möglichkeit der Abschöpfung von planungsbedingten Wertsteigerungen.

Grundsätzlich gehört Boden als knappes Gut und als faktisches Gemeingut nicht in Privatbesitz. Das Grundgesetz erlaubt in Artikel 15 dessen Vergesellschaftung gegen angemessene Entschädigung. Und das muss ausdrücklich nicht der aktuelle Marktpreis sein, der leistungslose Gewinne und Wertsteigerungen durch öffentliche Investitionen enthält.

Katrin Lompscher ist Stadtplanerin und war bis August 2020 Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen in Berlin.

Geschrieben von:

Katrin Lompscher

Stadtplanerin

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