Böse daneben berichterstattet
Die Griechenland-Berichterstattung in der Süddeutsche Zeitung und auf dem Online-Portal der SZ ist seltsam widersprüchlich. Noch vor wenigen Tagen erschien ein Text darüber, dass Griechenland droht, zugrunde zu gehen und das nicht, weil Alexis Tsipras es so will, sondern weil ein böses Spiel mit ihm getrieben wird. In der Wochenendausgabe 10./11. Dezember 2016 dann auf der Titelseite der Zeitung der Aufmacher »Böse Überraschung«. Unterzeile: »Alexis Tsipras beschenkt die Griechen mit Renten-Millionen, Italiens Regierung muss mitten im politischen Führungschaos eine Großbank retten. Europa ist plötzlich wieder im Krisenmodus.«
Das Millionen-Geschenk des griechischen Premiers Tsipras geht an 1,6 Millionen Pensionäre, die eine Extrazahlung erhalten sollen. Sie alle beziehen weniger als 850 Euro Rente. 617 Millionen Euro will der griechische Staat für die Sonderzahlung ausgeben. Wie bitte? Weniger als 850 Euro Rente im Monat und die Zeitung schreibt »beschenkt die Griechen mit Renten-Millionen«, deklariert das als vorweihnachtliches Geschenk, als seien wir hier in einer Luxusbude unterwegs, in der die Leute nicht mehr wissen, wohin mit ihrer Kohle, und tut so, als sei der Mann jetzt völlig von der Rolle.
Tsipras will die erpresserisch geforderte Mehrwert-Steuer-Erhöhung für die Inseln der nördlichen Ägäis nicht umsetzen und die SZ begründet dies damit, dass ihm die Zeit davonläuft und seine Umfragewerte sinken. Schreibt in einem kleinen Satz, ja, auf diesen Inseln seien ja in der Flüchtlingskrise (Flüchtlingskrise, das Unwort der Jahre, als hätten wir nicht eher eine Krise des Anstands und der Menschlichkeit) Tausende Menschen gestrandet. »Gestrandet« ist auch ein hübscher Euphemismus dafür, dass jemand es geschafft hat, lebend übers Mittelmeer zu kommen.
Aber zurück zu den Millionen-Geschenken an griechische Rentner. Erinnern wir uns der Zeiten, da uns die Griechen als eine Bevölkerung dargestellt wurden, die korrupt ist, ihre Menschen irrwitzig früh in Rente gehen lässt und dann noch reich beschenkt mit Ruhegeldern? Und auch jetzt, da wir sie gerettet und gerettet haben mit unseren Steuergeldern, wagen die es, wieder ihre Alten zu beglücken. Als käme man mit 850 Euro im Monat nicht super über die Runden. »Ein Affront bleibt es in jedem Fall: Tsipras hat seine Wohltaten nicht mit den Gläubigern abgestimmt.« Hätte er aber tun müssen, schreibt die Zeitung weiter und findet es wohl auch richtig so.
2015 wurde uns allen Ernstes erzählt, das durchschnittliche Renteneintrittsalter in Griechenland betrage 56 Jahre. Was haben wir geschäumt über die faulen Griechen. Dann hat sich herausgestellt: Es liegt in Griechenland bei 64,4 Jahren bei Männern und bei 64,5 Jahren bei Frauen. In Deutschland bei 64. Upps! Hat aber niemanden mehr wirklich interessiert. Der Grieche an sich war und blieb im kollektiven Gedächtnis, das im Zweifelsfall so kurz sein kann, wie schlechter Sex, ein Frührentner.
Das Schlimmste an dem Titelbeitrag in der Süddeutsche Zeitung vom vergangenen Wochenende aber ist die Grafik mit der Überschrift »Deutschland und die Sorgenkinder«. Die heißen nämlich Griechenland, Italien und Frankreich.
»Sorgenkinder«, das muss man sich wirklich trauen. Das ist nicht neokoloniale, das ist koloniale Sprache. Missionare, in deren Gefolge dann die Männer mit den Handfeuerwaffen kamen, haben bestimmt für ihre wilden Sorgenkinder gebetet, auf dass sie erleuchtet und auf den rechten Pfad gebracht werden.
So kann man Europa natürlich auch deklinieren. Hier Deutschland – liebevolle Eltern, wenn auch ein bisschen streng, aber alles nur zum Besten der Kleinen. Und da die Sorgenkinder – wir werden sie nicht im Stich lassen. Vielleicht kriegen sie Fernsehverbot oder das Taschengeld wird gestrichen oder sie dürfen nur noch eine Stunde am Tag mit dem Smartphone spielen. Entscheidend ist aber: Wir meinen es gut mit ihnen und wir reißen uns den Arsch auf für sie.
Das ist keine böse Bescherung, das ist einfach nur schlimme Arroganz.
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