Wirtschaft
anders denken.

Brandstifter oder Feuerwehr?

14.02.2023
Eine schwarze Kreditkarte vor schwarzem HintergrundFoto: Ales Nesetril Mit der Kreditkarte gegen Währungsschwankungen?

Der IWF agiert nicht immer nach gleichen Regeln für alle, sondern handelt politisch und vorurteilsbehaftet. Das spürt vor allem der Globale Süden. Aus OXI 2/23.

Es zeichnen sich zweierlei Tendenzen in Bezug auf internationale Institutionen ab: Einerseits nimmt mit multiplen Krisen (Klima-, Schuldenkrise, Corona-Pandemie etc.) die Notwendigkeit von inter- und supranationaler Kooperation immer mehr zu. Und andererseits scheint der Multilateralismus, wenn nicht am Ende, so doch massiv geschwächt zu sein, durch Handelskriege und die Quasi-Wiederauferstehung der Blockkonfrontation. Das Fortbestehen von internationalen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) scheint vor diesem Hintergrund wie ein Fels in der Brandung für internationale Kooperationsfähigkeit zu stehen. Der IWF wurde 1944 ins Leben gerufen, mit dem Ziel, die internationale Finanzstabilität der Wirtschaftsordnung in der Nachkriegszeit zu gewährleisten. Doch wie gut erfüllt er diese Aufgabe und zu welchem Preis?

Grundlegende Funktion des IWF ist es, Notfallkredite an Länder mit Zahlungsschwierigkeiten zu vergeben. Dafür hat der IWF eine eigene Recheneinheit: die Sonderziehungsrechte (SZR) – ein Währungskorb, bestehend aus US-Dollar, Euro, Yuan, Yen und Britischen Pfund. Diese IWF-Kredite werden aber nur zu bestimmten Bedingungen gewährt: In sogenannten Strukturanpassungsprogrammen (SAP) wird vertraglich geregelt, dass im Gegenzug für die Finanzspritzen beispielsweise staatliche Sparmaßnahmen ergriffen, Handelsschranken abgebaut, der lokale Bankensektor für ausländische Banken geöffnet, Wechselkurse der lokalen Währung dereguliert und Preiskontrollen abgeschafft werden. Außerdem soll öffentliches Eigentum privatisiert und sollen private Eigentumsrechte gestärkt werden. Dieses Politikpaket wurde unter dem Begriff »Washington Consensus« zusammengefasst.

Mit diesen Notfallkrediten wird das Ziel verfolgt, dass Länder ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen können – anstatt beispielsweise einen Schuldenschnitt zu fordern. Die SAP sollen die Wettbewerbsfähigkeit des Landes stärken: Das Wegstreichen von staatlichen Wohlfahrtsleistungen drückt das Lohnniveau. Wird der Wechselkurs wegen seiner Deregulierung nicht mehr durch die Zentralbank stabilisiert, wertet die Länderwährung in einer solchen Schuldenkrise ab. Das macht Importe teurer und die eigenen Exporte für das Ausland billiger. Insgesamt soll bei Investoren Vertrauen hergestellt werden, dass in diesem Land Kapitalinteressen Vorrang haben.

Für die Logik der SAP wird der IWF von Beginn an kritisiert. Seine wirtschaftspolitische Ausrichtung gilt als extrem marktgläubig und geht zulasten der Ärmsten der Gesellschaft, mit wirtschaftlich wie menschlich meist desaströsen Folgen. Neben Verarmung haben die SAP auch für mehr Hunger gesorgt: Vielerorts ist der Unterhalt von öffentlich betriebenen Kornspeichern öffentlichen Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen, und damit die Möglichkeit, gegen Lebensmittelpreisspitzen staatlich vorzugehen.

Die SAP haben auch wirtschaftlich negative Auswirkungen. Die vom IWF geforderte Wechselkursderegulierung verursachte in Ländern des Globalen Südens massive Abwertungen und Wechselkursschwankungen, die wiederum makroökonomische Instabilität nach sich zogen (siehe Artikel »Die Normalität unseres Geldsystems«, OXI 10/22). Auch bedeuteten sie in vielen Ländern das Ende staatlicher Förderprogramme für heimische Industriezweige. Letztere halfen aber maßgeblich dabei, dass sich Länder wie Südkorea (oder Deutschland) zu Industrieländern entwickeln konnten und damit der Schuldenfalle entkamen. Das Beispiel Jamaikas zeigt, dass die SAP wirtschaftspolitisch sinnlos sind: Auch nach einer Dekade strenger Einhaltung der Bedingungen des IWF hat sich die lokale Wirtschaft nicht erholt.

Insbesondere seit den 1980ern haben immer mehr Länder des Globalen Südens Notfallkredite des IWF aufgenommen. Damals trieben der Ölpreis- und der Volcker-Schock Länder des Globalen Südens massenhaft in externe Schulden. Die Geschichte wiederholt sich: Damals hat die US-amerikanische Fed die Leitzinsen massiv erhöht, um die von den gestiegenen Energiepreisen getriebene Inflation zu bekämpfen. Eine tiefe Rezession, Arbeitslosigkeit, Kapitalflucht und real gestiegene Auslandsschulden im Globalen Süden – sprich: die »verlorene Dekade« – waren das Ergebnis. Die irrige Annahme, mit Zinserhöhung Inflationsbekämpfung zu vertretbaren Kosten betreiben zu können, ist immer noch Teil des ökonomischen Mainstreams. Auch in den letzten Monaten haben die meisten Länder des Globalen Nordens ihre Leitzinsen erhöht, obwohl die Inflation nicht von zu viel geschöpftem Geld, sondern von den stark gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen befeuert wird. Effektiver Klimaschutz und die Unterbindung von Energiespekulationen wären hier sinnvollere Maßnahmen.

Der IWF wird auch für seine Doppelmoral kritisiert: Während Länder des Globalen Südens harte Auflagen für Notfallkredite erhalten, drückt der IWF in dem seltenen Fall, dass Länder des Globalen Nordens in Zahlungsschwierigkeiten geraten, ein Auge zu. Das ist zum Beispiel im Fall von Island und Irland während der internationalen Finanzkrise offenbar geworden. Island hat, während es sich in einem IWF-Programm befand, entgegen der üblichen IWF-Linie Kapitalkontrollen angewendet, Banken zerschlagen und Wohlfahrtsleistungen aufrechterhalten – und sich schnell wieder von der Krise erholt. Irland hat zwar staatliche Ausgaben reduziert, dabei aber seine Wohlfahrtsleistungen nicht angetastet. Länder des Globalen Nordens sind meist Ursprung von Finanzkrisen, aber diszipliniert wird der Globale Süden.

Tatsächlich kommt es selten vor, dass Länder des Globalen Nordens auf solche Notfallkredite angewiesen sind. Das hat mehrere Gründe: Ihr Technologievorsprung ermöglicht den Export von verarbeiteten Gütern, die ein verlässliches Deviseneinkommen garantieren. In Ratings öffentlicher Schuldverschreibungen genießen sie oft einen Vertrauensvorschuss, der mit makroökonomischen Variablen wenig zu tun hat. Und zu guter Letzt: Sie haben oft Länderwährungen, die in internationalen Handels- und Kreditverträgen verwendet werden, und können demnach autonome Geld- und Fiskalpolitik betreiben. Tatsächlich konnten Industrieländer im Vergleich zu Ländern des Globalen Südens im ersten Corona-Jahr 2020 das 580-Fache an öffentlichen Ausgaben tätigen.

40 Jahre SAP haben ihre Spuren hinterlassen: In kaum einem Land gibt es noch Kapitalkontrollen oder Maßnahmen dafür, die einheimische Wirtschaft mittels Handelsbarrieren zu schützen, um eine aufholende Industrialisierung zu betreiben. Stattdessen dominiert prozyklische Wirtschaftspolitik, zusätzlich dazu, dass Länder des Globalen Südens Wirtschaftszyklen nun voll ausgesetzt sind. Sogar von der Forschungsabteilung des IWF wird dessen politische Linie infrage gestellt.

Klar wird, dass der IWF keine rein nach gleichen Regeln für alle agierende Institution ist, sondern politisch wie vorurteilsbehaftet agiert. Vor diesem Hintergrund schlägt der frühere IWF-Ökonom Peter Doyle vor, der IWF solle einem festen präventiven Insolvenzverfahren folgen, wie es beispielsweise im US-Bankensektor praktiziert wird. Hier wird Umschuldung schon vor der Insolvenz vorgenommen, um einen Ansturm auf die Bank und damit selbsterfüllende Prophezeiungen zu verhindern. Im Kontext von Ländern heißt das, ein Downgrade von Seiten der Ratingagenturen zu vermeiden, das wiederum Kapitalflucht, eine Abwertung der Vermögenswerte eines Landes und weitere Downgrades zur Folge hätte, die in der Schuldenkrise als Brandbeschleuniger wirken.

Dabei könnte der IWF auch ganz anders aussehen: Als Alternative zum White-Plan, aus dem der IWF hervorgegangen ist, wurde die von John Maynard Keynes vorgeschlagene Internationale Verrechnungsunion (International Clearing Union, ICU) diskutiert. Die ICU fungiert als eine Art Zentralbank der Zentralbanken und verwaltet alle internationalen Transaktionen. Dafür hat sie eine eigene Recheneinheit, den Bancor, der sich wie die SZR des IWF aus einem Währungskorb zusammensetzt.

Hauptziel der ICU ist die Schaffung eines weniger krisenanfälligen und gleichgewichtigen Währungssystems. Keynes schwebte ein Währungssystem vor, das die Lasten gleichmäßig auf Gläubiger und Schuldner verteilt. Überschussländer werden durch einen Strafzins dazu angeregt, Kredite an Defizitländer zu vergeben – eine Maßnahme, die Keynes in den späteren Versionen seines Vorschlags abschwächte, um die Zustimmung des damals größten Gläubigers, der USA, zu erhalten.

Die Verhinderung von Währungsspekulationen und plötzlicher Kapitalflucht soll Finanzstabilität fördern: Der Bancor würde nur als Rechnungseinheit zwischen den Zentralbanken und der ICU dienen und wäre für Private nicht zugänglich. Wechselkurse werden mit dem Bancor-Währungskorb als Anker festgelegt, sind aber im Hinblick auf Inflationsraten und Lohnniveaus der Länder anpassbar, um eine stabile Kaufkraft zu gewährleisten.

Neben Finanzstabilität verfolgt der Keynes-Plan auch das Ziel, eine erhöhte Transparenz des Kapitalverkehrs zur Eindämmung von Steuerhinterziehung herzustellen. Darüber hinaus soll verhindert werden, dass komparative Handelsvorteile durch eine unterbewertete Währung ausgenutzt werden können.

Auch wird gefordert, dem IWF die Rolle eines technokratischen Lieferanten antizyklischer und bedingungsloser Liquidität zuzuschreiben, um Finanzzyklen abzufedern. Die zusätzliche Liquidität in Form von SZR könnte als eine Art Puffer dienen, um das Vertrauen in den Bankensektor und die Finanzmärkte wiederherzustellen. Ziel ist hier, vorübergehende Devisenknappheit in Bärenphasen der internationalen Finanzzyklen abzumildern und damit den begrenzten politischen Spielraum zu überwinden, den insbesondere Länder des Globalen Südens in Krisenzeiten haben. Zudem wird gefordert, dass der IWF SZR für die Finanzierung der sozialökologischen Transformation bereitstellt. Die Ausschüttung von 650 Milliarden US-Dollar durch den IWF als Reaktion auf die Corona-Krise zeigt, dass eine solche Reinterpretation seines Mandats möglich ist.

Anne Löscher ist Mitglied im Netzwerk Plurale Ökonomik. Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Klimakrise und -politiken auf Zahlungsbilanzen und Wechselkurse im Globalen Süden.

Geschrieben von:

Anne Löscher

Ökonomin

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