Wirtschaft
anders denken.

Russlands Verhältnis zu den BRICS-Staaten

30.09.2023
Vladimir Putin an einem Sprechpodest auf einer BRICS Konferenz.Foto: Kremlin Um der eigenen Isolation zu entkommen, versucht Russland vermehrt auf Bündnisse wie die BRICS-Staaten zu bauen.

Die Interessenlage ist vor allem von den wirtschaftspolitischen Strategien und den damit verbundenen wirtschaftspolitischen Zwängen bestimmt

Unlängst beschrieb Valerij Garbuzov, Direktor des Instituts für die USA und Kanada der AdW, das globalpolitische Programm des Landes als »ziemlich unsicher, instabil und eklektisch. Urteilen Sie selbst: das Programm (eher eine Zusammenstellung von Positionen) beruht auf der Mischung von Ideen zu Eurasien und zur »russischen Welt«, auf einem aggressiven Antiamerikanismus, auf dem Kampf gegen eine monopolare Welt und einen »verfallenden« Westen überhaupt. Außerdem beinhaltet es auch die Idee der »souveränen Demokratie«, des »wahren Volkes«, die Melancholie traditioneller Werte und russisch-orthodoxen Glaubens. Diese heterogenen Komponenten würden von einem konservativen Leim zusammengehalten. Das alles erinnere an eine vor 200 Jahren gemachte antiwestliche ideologische Erfindung – die »Theorie der offiziellen Narodnost‘…« (oft als Volkstümlichkeit übersetzt, richtiger wäre »des Völkischen«) Mit dieser Figur sei versucht worden, dem Volk beizubringen, dass die Unterstützung der Selbstherrschaft des Zaren die beste Garantie für die Existenz und Größe Russlands ist. Es sei allerdings fraglich, ob diese Art des Konservatismus heute noch zeitgemäß sei.

Gleichzeitig jedoch zeichnet sich die Außenpolitik auch durch ein hohes Maß an Pragmatismus aus. In der am 31. März 2023 veröffentlichten außenpolitischen Strategie Russlands werden die BRICS als eines der Projekte dargestellt, die dabei helfen, »die Weltordnung an die Realitäten einer multipolaren Welt anzupassen« (Pkt. 19,4). Außerdem werden die BRICS als ein Instrument verstanden, um Prozesse regionaler und interregionaler ökonomischer Integration zu befördern, die den Interessen Russlands entsprechen. Damit sollen Ziele, wie die Sicherung der ökonomischen Souveränität, eines nachhaltigen ökonomischen Wachstums, der strukturellen und technologischen Erneuerung, der Erhöhung der eigenen Konkurrenzfähigkeit, die Minderung der Risiken und die Nutzung der Möglichkeiten angesichts der tiefgreifenden Veränderungen in der globalen Ökonomie und den internationalen Beziehungen sowie in Verbindung mit dem »unfreundlichen Handeln ausländischer Staaten«, erreicht werden. (Pkt. 39,7) Die BRICS sind ein Instrument, um ökonomisch-technische Souveränität und eine neue Stellung in der Weltwirtschaft zu erreichen, aber nicht das einzige. Die Diskussionen in Russland beziehen sich gleichermaßen auf die Entwicklung eigener bzw. anderer Integrationsprojekte, wie der Eurasischen Wirtschaftsunion oder dem Shanghaier Forum, auf den Ausbau der bilateralen Beziehungen zu China und anderen »freundlichen« Staaten sowie auf eigene regionale Projekte, wie etwa mit Bezug auf Afrika (auch wenn der Ertrag des jüngsten Afrika-Gipfels in Russland selbst als gering bewertet wird). Dieses pragmatische und realistische Verhältnis zu den BRICS erklärt auch die Bewertungen des jüngsten Gipfeltreffens dieser Gemeinschaft in Russland.

Natürlich war dieses Ereignis ein Anlass, um in propagandistischer Weise die wachsende Multipolarität, den Niedergang des Westens und das wachsende Bestreben der Lösung von westlicher Kultur und westlichen Werten im Interesse eigener Kultur und Tradition zu beschwören. Der Hervorhebung der Rolle Lavrovs bei der Einbeziehung Äthiopiens in diesen Kreis fällt sicher auch in dieses Feld der Propaganda, womit nach innen die Bedeutung Russlands in der Welt, nach außen die Verbundenheit Russlands mit Afrika dargestellt werden sollte. Der Tonfall der Berichterstattung blieb dabei allerdings eher farblos und in gewisser Weise distanziert – auf keinen Fall euphorisch.

Viel wichtiger als der propagandistische, ist ein anderer Aspekt, der diese Zurückhaltung vielleicht verständlich macht.

Die Interessenlage bezüglich der BRICS ist vor allem von den wirtschaftspolitischen Strategien und den damit verbundenen wirtschaftspolitischen Zwängen bestimmt. Beides kann, muss aber nicht zusammenfallen. Die Frage ist, ob die BRICS in der entstandenen Konstellation helfen, die eigene wirtschaftspolitische Strategie zu realisieren und dabei ein Gegengewicht zu den Versuchen der Isolierung des Landes von den Weltmärkten zu durchbrechen.

Die sich in Russland herausbildende wirtschaftspolitische Strategie orientiert auf die Schaffung einer modernen innovationsorientierten und international konkurrenzfähigen Wirtschaft, die sich aus dieser starken Position heraus in die Weltwirtschaft einordnet. Das hatte Putin zuletzt in seiner Rede auf dem Wirtschaftsforum in St. Peterburg ausführlich entwickelt. Es geht um technologische Souveränität und Importablösung ohne wirtschaftliche Autarkie. Die Wirtschaft Russlands solle zudem eine Wirtschaft mit hohen Löhnen werden, mit neuen Anforderungen an das System der beruflichen Bildung, einer hohen Arbeitsproduktivität, auch auf Grundlage der Automatisierung und neuer Leitungssysteme, mit modernen Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen hoher Qualität. Daneben geht es natürlich um neue Absatzmärkte und Kooperation in Forschung und Produktion. Das wird propagandistisch als »Wendung hin zum Osten« umschrieben. Diese Umorientierung vollzieht sich langsam – und das kann auch nicht anders sein.

Die wirtschaftspolitischen Zwänge werden vor allem durch die vielfältigen Sanktionen bestimmt. Insbesondere die Kombination des Boykotts des Warenverkehrs und mit der der Finanzströme stellen Russland vor enorme Probleme. Russland kann internationale Zahlungssysteme nur in begrenztem Maße nutzen, weil diese entweder durch westliche Konzerne beherrscht werden oder weil formal unabhängigen anderen Anbietern ggf. sekundäre Sanktionen drohen.

Unter russländischem Blickwinkel ist vor diesem Hintergrund die Frage einer Erweiterung der Vereinigung sicher interessant, wichtiger aber das Maß ihrer Handlungsfähigkeit und die Richtung ihres Handelns als Alternative zu den westlich dominierten internationalen Institutionen. Das betrifft in erheblichem Maße die Frage nach einer gemeinsamen Währung bzw. eines gemeinsamen Zahlungssystems, nach Aufwertung der Rolle der nationalen Währungen und die Abkopplung des Finanzsektors von den Begrenzungen durch die Dominanz westlicher Akteure in diesem Sektor. So ist verständlich, dass die Weiterentwicklung der Entwicklungsbank ein wichtiges Thema in der Berichterstattung war, auch wenn Russland davon im Moment kaum profitiert. Die Bank muss ihre Operationen in Russland einstellen, um nicht unter das westliche Sanktionsregime zu fallen. Außenminister Lavrov meinte, dass jetzt die ganze Aufmerksamkeit auf die Suche nach Wegen der Absicherung des gegenseitigen Handels, gemeinsamer wirtschaftlicher Projekte und von Investitionen unabhängig von Systemen, die von den USA und ihren westlichen Verbündeten kontrolliert werden, gerichtet sei.

Bereits im Juli 2022 wurden mit Blick auf den Johannesburg-Gipfel in der offiziösen Rossijskja Gazeta drei Szenarien der Erweiterung diskutiert. Das erste bestand in der Erweiterung des Kerns, also im Beitritt weiterer Staaten, das zweite in der Entwicklung der Zusammenarbeit mit anderen regionalen Integrationsprojekten im Sinne einer »Integration der Integration«. Das dritte und von den Autoren des Beitrages als wahrscheinlich betrachtete ging von einer kombinierten Erweiterung aus. Hier wurde von einer schrittweisen Erweiterung des Kerns an Mitgliedstaaten bei gleichzeitiger Stärkung der Zusammenarbeit mit anderen Integrationsprojekten (genannt werden die Eurasische Wirtschaftsunion und Merkosur) unter Vermittlung der in diesen involvierten Mitgliedstaaten (in den genannten Fällen also Russland und Brasilien) ausgegangen.

Nach dem Gipfel heißt es in der einflussreichen Zeitschrift »Russland in der globalen Politik«, dass die Entscheidung zur Erweiterung radikal und übereilt erscheine. Diese Besorgnis würde nicht bestehen, wenn neben der Erweiterung auch Schritte zur inneren Konsolidierung der Gemeinschaft gegangen worden wären. So bleibt es bei einem »informellen, nicht formalisierten Kreis von Staaten«, einer »informellen Allianz«, einem »Klub aufstrebender Staaten des nichtwestlichen Teils der Welt«, einer »Plattform von Partnerschaft und Kooperation«. Die Hoffnung auf einen akzentuierteren und politisierteren Widerstand gegen die Dominanz des Westens könne man wohl beiseitelegen. Fjodor Luk’janov, Chefredakteur dieser Zeitschrift, meint, dass die Transformation der BRICS in eine antiwestliche Allianz nun nicht möglich sei, und sich Russland daher auf eine etappenweise Erweiterung mit dem Ziel ihrer Verwandlung in eine Gemeinschaft, die möglichst viele Staaten vertritt und die trotz oder unter Umgehung des westlichen Drucks zusammenarbeitet, zu orientieren habe. Das müsse für die nächste Zeit reichen. So scheint es die offizielle Politik (die vom Umfeld dieser Zeitschrift und dem Valdai-Klub ja maßgeblich beraten wird) auch zu sehen. Es bleibt bei einem pragmatischen Kurs, der flexibel auf die Interessenlagen und ihre Veränderungen bei den potenziellen Partnern reagieren kann. Die quantitative Erweiterung wird so auch als Chance gesehen.

Russland muss und will auf eine schrittweise Veränderung der BRICS hinwirken. Dabei kann es auf das Streben nach Eigenständigkeit gegenüber den alten Metropolen setzen. Mit Blick auf den nächsten BRICS-Gipfel im russländischen Kasan verwies Lavrov ganz in diesem Sinne darauf, dass die Finanzminister eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Frage eines gemeinsamen Zahlungssystem beschäftigen soll, bilden werden. Im kommenden Jahr wird Russland den Vorsitz der BRICS-Gruppe übernehmen. Putin kündigte als Schwerpunkte die Themen Innovation und Sicherheit an. Man wird die Wertschätzung der Partnerländer demonstrieren, indem z.B. in mehr als 200 Städten des Landes zu den Themen des Gipfels Veranstaltungen stattfinden sollen. Wie die anderen Staaten auch wird Russland weiter einen pragmatischen Kurs in Bezug auf BRICS verfolgen, auch wenn die Maximalvorstellungen einer geschlossenen antiwestlichen Allianz sich nicht erfüllen. Man spielt auf Zeit.

Geschrieben von:

Lutz Brangsch

Ökonom

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