Wirtschaft
anders denken.

Brücken, Infrastrukturpolitik und zubetonierte Mobilitäts-Alternativen

15.08.2018
Jeff74/CC0 1.0 Universal

Die Katastrophe von Genua hat auch wieder den Blick auf den Zustand der Straßen-Infrastruktur hierzulande gelenkt. Doch es geht nicht nur um Autobahn-Überführungen, wer über langfristige Investitionen redet, der redet auch über die Frage, welche Konzepte der Mobilität, des Transportes den Vorrang bekommen.

»Der Brückeneinsturz im italienischen Genua mit zahlreichen Toten lenkt auch den Blick auf die Infrastruktur in Deutschland«, schreibt ein Nachrichtensender und listet dann den aktuellen Zustand der Überführungen an Autobahnen und anderen Fernstraßen auf. »12,2 Prozent der Brücken sind in einem ›nicht ausreichenden beziehungsweise ungenügenden Bauwerkszustand‹«, heißt es da, gut jede achte Brücke ist marode, 2008 lag der Anteil der noch bei 15 Prozent, er ist also leicht zurückgegangen. Der Bundesanstalt für Straßenwesen zufolge gibt es bundesweit rund 39.600 Brücken an Autobahnen und anderen Fernstraßen, »30 Millionen Quadratmeter schwebender Asphalt über deutschem Boden«, wie es Spiegel online ausgerechnet hat. Auch für die übergroße Mehrheit der Brückenbauwerke gelte, »bei ihnen können schon heute Teile der Konstruktion beeinträchtigt sein, mindestens mittelfristig wird eine Instandsetzung nötig«.

Das wirft eine Reihe von Fragen auf, die in der berechtigten Mahnung einen Ausdruck finden, endlich wieder mehr in die Infrastruktur zu investieren. Erstens geht es ums Geld und wo es herkommt, hier schließen sich Einfallstore für Privatisierung wie ÖPP-Projekte an, die umstritten sind aber auch Anhänger in der Bundespolitik haben. Ein damit zusammenhängendes aber noch um eine demokratiepolitische Dimension erweiterte Frage ist die der Steuerung und der Mitentscheidung über das Was und Wie von Infrastrukturinvestitionen. Mit Blick auf die Brücken an Autobahnen und anderen Fernstraßen ist hier erst vor Kurzem mit der Autobahngesellschaft der Weg der Zentralisierung beschritten worden, bei dem Sorge vor Privatisierung mit Befürchtungen einhergeht, das Ganze werde intransparenter und Kontrollen durch öffentliche Einrichtungen wie den Bundesrechnungshof würden erschwert. 

Während die schrecklichen Meldungen aus Genua über den Ticker laufen, konzentriert sich die Diskussion hierzulande nun vor allem auf den bedenklichen Status quo der Bauwerke im Straßenverkehr, weniger aber kommt zur Sprache, dass hier ein ganzes Mobilitäts- und Transportsystem in Beton gegossen ist – eine umfassende und milliardenschwere Erneuerung des auf Automobilität und Individualverkehr orientierten Modells trägt ganz praktisch zu dessen »Verlängerung« in die Zukunft bei, obgleich Kritiker auf die ökologischen und sonstigen gesellschaftlichen Folgen dieser Verkehrskultur schon lange hinweisen. 

Ende 2016 wurde der Bundesverkehrswegeplan 2030 verabschiedet, der unter dem Motto »Erhalt geht vor Neubau« steht. Das ist schon eine kleine Kursänderung, sie geht aber vielen Kritikern nicht weit genug. Von den insgesamt geplanten knapp 270 Milliarden Euro Gesamtinvestitionen sind laut Verkehrswegeplan rund 141,6 Milliarden Euro für Erhaltungsmaßnahmen vorgesehen. Für die Straße heißt das: von 132,8 Milliarden Euro gehen 67 Milliarden in Erhaltung und Ersatz. Nun kommt das Aber: Das Haushaltsrecht erlaubt die Verwendung von Erhaltungsmitteln für Neubauprojekte, wie zum Beispiel Sabine Leidig von der Linksfraktion warnt. 

Noch einmal zurück zur Frage, wie mit Investitionen in Infrastruktur, die ja in der Regel längerfristig wirken, anders als zum Beispiel Umverteilungsmaßnahmen, die auch kurzfristig wieder geändert werden können, Zukunft wortwörtlich »betoniert« wird: Vor knapp einem Jahr haben die Grünen im Bundestag den Zustand unserer Schieneninfrastruktur in der Bundesrepublik erfragt – und man kann sagen, es steht nicht gut um die 25.700 Bahnbrücken. »Im Durchschnitt sind unsere Eisenbahnbrücken 65 Jahre alt. Deutschlandweit sind 1.100 Brücken so stark beschädigt, dass nur noch ein Abriss und Neuaufbau vertretbar ist«, so die Grünen. 

Es ist sicher nicht sinnvoll, straßenbauliche Erhaltungsmaßnahmen, bei denen man auch wichtige Schritte in Richtung ökologische oder mobilitätspolitische Erneuerung gehen könnte (weniger Fahrstreifen, mehr Platz für Radfahrer, Fußgänger, ÖPNV usw.), und die Schieneninfrastruktur gegeneinander aufzurechnen. Aber wer viel Bahn fährt, sich die regionale Abdeckung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ansieht, die Frage nach ökologischeren Varianten des Warentransports stellt, der wird hoffen, dass nun im Lichte der Katastrophe von Genua nicht nur über neue Autobahnbrücken gesprochen wird.

Es müsste um eine echte Verkehrswende gehen, und da sind vorausschauende Politikansätze wichtig, da die Frist parlamentarischer Legislaturen viel kürzer ist als die Dauer von Planung und Bau von großen Infrastrukturmaßnahmen. Noch einmal die Grünen: »Allein um den Verfall des Bahnnetzes aufzuhalten, müssten bei einer angenommenen Lebensdauer von 100 Jahren jedes Jahr 257 Brücken ersetzt werden«. In den Jahren vor 2017 sind aber nur durchschnittlich nur 115 Brücken im Jahr erneuert worden. Das heißt, ein Teil der Bauwerke verfällt – mit enormen Folgen: »In den letzten zwei Jahren hat sich der Zustand von mindestens 438 Brücken so weit verschlimmert«, so die Grünen vor einem Jahr, »dass eine Sanierung kaum noch wirtschaftlich wäre. Hätte die Bundesregierung für diese Brücken Geld zur Sanierung zur Verfügung gestellt und diese Brücken bereits vor einigen Jahren saniert, hätten der Bund und die Bahn – und somit die Steuerzahlenden – sehr viel Geld sparen können. Jetzt ist vielerorts nur noch der komplette Austausch der Brücken möglich.«

Zeichnung: Jeff74, CC0 1.0 Universal

Geschrieben von:

Vincent Körner

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