Wirtschaft
anders denken.

Stigmatisierende Sanktionen

15.11.2022

Helfen sie bei der Integration in den Arbeitsmarkt oder nicht? Sanktionen sind nicht erst seit der Diskussion über das Bürgergeld umstritten

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat sich in seinem IAB-Forschungsbericht 17/2022 (Oktober 2022) mit zentralen Befunden aus Studien zu Sanktionen im SGB II befasst. Der Fokus lag dabei auf den Wirkungen der Sanktionen und der Sanktionswahrscheinlichkeit.

Die Diskussion um Sanktionen hat im Zuge der geplanten Einführung eines Bürger:innengeldes ab Januar 2023 noch einmal an Fahrt aufgenommen, auch wenn es seit Beginn der Einführung von ALG II, in der Alltagssprache Hartz IV, eine stetige Debatte über Sinn oder Unsinn von Sanktionen gab.

Auch mit dem Bürger:innengeld sollen sie nicht abgeschafft, stattdessen moderat verändert werden. Leistungsminderungen werden nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes neu geregelt. Ob das geplante Gesetz den Bundesrat passieren wird, ist noch nicht klar. Aufgrund der Pandemie sind Sanktionen bis Mitte 2023 ausgesetzt worden.

Und die Diskussion bekommt leicht hysterische Züge. In einem Gastkommentar für die Zeitung »Wirtschaftswoche« schrieb die Bundesvorsitzende des Verbandes »Die Jungen Unternehmer«, Sarna Röser: »Stellen Sie sich vor, es fehlen Millionen von Arbeitskräften, und die Bundesregierung lädt dazu ein, sich in die soziale Hängematte des Staates fallen zu lassen und das Arbeiten einzustellen. Bittere Realität in Deutschland! Mit dem geplanten Bürgergeld baut die Regierung trotz aktueller Krisen und leerer Kassen nicht nur den Sozialstaat weiter aus, sondern verschärft auch noch den großen Arbeitskräftemangel.« Dass es möglich ist, im November 2022 Arbeitslose als Schmarotzer:innen der Nation hinzustellen, erstaunt zwar nicht, ist aber in dieser Deutlichkeit doch ein wenig überraschend.

Eine große Allianz, die nicht nur aus Friedrich Merz besteht, sieht die Reform hin zu einem Bürgergeld als Vorlage, die der Faulheit Vorschub leistet und die falschen Anreize setzt. Vor allem fehle in dem Mitte September eingebrachten Entwurf eines Bürgergeld-Gesetzes die »harte Hand« des fördernden Sozialstaates. Arbeit werde sich, so die Kritiker:innen nicht mehr lohnen.

Sanktionen für Leistungsbeziehende sind dafür da, diese zur Mitwirkung bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu motivieren, so die Intention der Arbeitsmarktreform im Zuge der »Agenda 2010«, wie sie unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder beschlossen wurde. Eine Reihe von Studien zeige, so der IAB-Forschungsbericht, dass Sanktionen wegen Pflichtverletzungen »die Übergangsrate in Beschäftigung erhöhen«. Zwei Studien wiesen jedoch nach, dass Sanktionen die Beschäftigungsqualität verringern. Einige untersuchte Studien befassten sich mit der Frage, welche Personengruppen besonders oft sanktioniert werden und warum dies so ist. Häufiger von Sanktionen betroffen seien demnach weniger gebildete Menschen, sowie Menschen, die jünger als 25 Jahre sind. Frauen werden weit seltener sanktioniert, als Männer, Alleinstehende häufiger als Menschen, die mit einem Partner/einer Partnerin und oder mit Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft leben.

Eine Studie verweist darauf, dass es Menschen mit geringerer Bildung häufig schwerfalle, die Konsequenzen von Meldeversäumnissen und anderen Pflichtverletzungen zu verstehen. Zugleich hätten sie häufig geringere Chancen, eine Arbeit zu finden und es gelinge ihnen schlechter, als höher gebildeten Personen, »die Inhalte ihrer Eingliederungsvereinbarung zu beeinflussen.« (Studie Zahradnik, 2016, »Wenig gebildet, viel sanktioniert?«, Zeitschrift für Sozialreform 62/2)

Abschnitt 4 des IAB-Forschungsberichtes fasst eine ganze Reihe interessante Erkenntnisse in Bezug auf besonders betroffene und weniger betroffene Gruppen zusammen, gibt beispielsweise eine Erklärung für die häufigere Sanktionierung von Jüngeren, bei denen es eine höhere »Aktivierungsintensität« gebe. »Personen unter 25 Jahren müssen besonders intensiv gefördert werden, damit sie schnell eine Ausbildung oder einen Job finden. Mit einer höheren Förderung oder mehr Fordern erhöht sich zugleich die Wahrscheinlichkeit, Pflichten nicht nachzukommen.« Eine Studie weise explizit darauf hin, dass junge Menschen »mit ihren eigenen Biografien und den Anforderungen des Jobcenters überfordert sein können. Durch Pflichtverletzungen versuchen sie, ihre Autonomie zurückzugewinnen.«

Die IAB-Zusammenfassung und Auswertung von wissenschaftlichen Studien zu Sanktionen im SGB II konzentriert sich wesentlich auf arbeitsmarkt- und sozialpolitische besonders relevante Aspekte. »Grundsätzlich wird zwischen zwei Sanktionstypen unterschieden: Sanktionen aufgrund von Meldeversäumnissen werden dadurch ausgelöst, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen Termin beim Jobcenter oder einen ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin nicht wahrnehmen. Sanktionen wegen anderer Pflichtverletzungen als der Meldepflicht treten ein, wenn beispielsweise Personen eine Arbeit, Ausbildung oder Maßnahmeteilnahmen nicht beginnen, bzw. fortführen.«

Sanktionen können, so die Ergebnisse einiger untersuchter Studien, dazu führen, dass Betroffene besser mit den Jobcentern kooperieren und ihre Bemühungen um Aufnahme einer Erwerbsarbeit verstärken. »Neben dieser intendierten Wirkung sind allerdings nicht intendierte Wirkungen möglich. So kann eine Sanktion dazu führen, dass arbeitsuchende erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Ansprüche an Arbeitsbedingungen zurücknehmen. Infolgedessen kann zwar schneller eine Arbeit aufgenommen werden, allerdings auch zu geringerer Entlohnung.«

Im Fazit der Auswertung heißt es: »Die Folgerungen aus den bislang vorliegenden Erkenntnissen würden nicht ein Sanktionsmoratorium oder eine Abschaffung der Sanktionen begründen.« Stattdessen sei bei einer Reform eher darauf zu achten, je nach Stärke der Verstöße die Sanktionen zu variieren, wobei die Verfasser:innen des Forschungsberichtes sehr wohl für relativ strenge Sanktionen bei einer abgelehnten Arbeitsaufnahme plädieren, wohingegen eine abgelehnte Fördermaßnahme weniger stark sanktioniert werden könne, da nicht sicher von einer unmittelbaren Integrationswirkung ausgegangen werden kann.

In der gesellschaftliche Debatte dürften diese Ergebnisse eher Befürworter:innen von Sanktionen für Leistungsbeziehende bestärken. Zumal es logischerweise keine Erkenntnisse darüber geben kann, wie schlimm faul denn die von vornherein der Faulheit Bezichtigten wirklich wären, gäbe es gar keine Sanktionen.

Eine Langzeitstudie des Vereins Sanktionsfrei, durchgeführt vom Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung (INES) kommt zu dem Schluss. »Die stärkste Wirkung, die von Sanktionen ausgeht, ist Einschüchterung und Stigmatisierung. Die Menschen fühlen sich kontrolliert und bestraft. Bereits die Androhung von Sanktionen verstärkt bei den Betroffenen das Gefühl von Ausweglosigkeit und Isolation und kann sogar Krankheiten verursachen und verstärken.«

Richtig ist: Eine ethische Debatte in Bezug auf Sanktionen wurde und wird auch mit der Diskussion über das Bürgergeld nicht geführt. Und nun sieht alles danach aus, dass selbst die zaghaften Ansätze einer Reform in diesem Bereich aufgrund eines doch recht konzertierten Widerstandes wegfallen werden.

Stattdessen feiert erneut das Narrativ von der nicht lohnenden Arbeit, so ein Bericht von Johannes Steffens, der im Oktober auf dem Portal Sozialpolitik veröffentlicht wurde, fröhliche Urständ. Verschwunden war es nie. Es werde, so Steffens, durchgängig mit unkorrekten Vergleichen »belegt«. Er schreibt:

»Verglichen wird der Anspruch auf Bürgergeld bzw. der Gesamtbedarf eines Haushalts alleine mit dem Nettolohn aus niedrig entlohnter Beschäftigung. Beim Erwerbstätigen-Haushalt werden die Ansprüche auf die dem Bürgergeld vorgelagerten Sozialtransfers wie Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag oder Unterhalts(vorschuss)-Leistungen nicht oder nicht vollständig berücksichtigt. Und selbst der aufstockende Anspruch auf Bürgergeld bei niedrigem Lohn wird in aller Regel ausgeblendet.«

Was Publikationen wie »Focus« oder gar »BILD«, aber eben auch die »Wirtschaftswoche« nicht sonderlich stört.

Geschrieben von:

Kathrin Gerlof

OXI-Redakteurin

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