Wirtschaft
anders denken.

Bundesweite CSU, Macron-Partei und Liste Wagenknecht? Über die Republik der diffusen Wünsche

19.06.2018
Foto: Punktional, gemeinfrei

Parteien streiten um ihren Kurs, zerreißende Konflikte machen Schlagzeilen: Die parteipolitische Welt ist in Bewegung und was kommt, scheint immer weniger vorhersagbar. Umso besser gedeiht in einem Seitengarten des medial-politischen Betriebs eine Republik der diffusen Wünsche – Projektionen einer parteipolitischen Neuformierung.

Parteien streiten um ihren Kurs, zerreißende Konflikte machen Schlagzeilen: Die parteipolitische Welt ist in Bewegung, dies zu erkennen reicht ein Blick in die Tagespresse. In der Union wird ein Machtkampf inszeniert, der tief ins Mark parlamentarischer Gewohnheiten geht – und in dem die Frage nach der Aufstellung im rechten Lager gestellt ist: Wer repräsentiert wen? Die CSU ist dabei längst sowohl rhetorisch als auch kulturell bei der AfD angekommen und rennt weiter nach recht.

In dem, was hierzulande gern politische Mitte genannt wird, gärt die Unzufriedenheit eher stiller vor sich hin, die insgesamt orientierungslose Neuaufstellung der SPD zieht hier kaum, der rechte Wettbewerb um Tabubruch und Rechtsradikalisierung befeuert Sorgen, denen CDU und SPD nicht mehr wirksam begegnen, so die Ahnung – was die Sehnsucht nach einer neuen Formation der Mitte bestärkt.

Und wenn in der Linkspartei einige auf eine so genannte Sammlungsbewegung setzen, dann ließe sich auch dies, einmal die innerlinken Streitthemen dieser Debatte ausgeblendet, vor allem als in die Zukunft wirkende Projektion interpretieren: Etwas Neues wird da ersehnt, in der Hoffnung, das Bestehende würde dadurch aus seiner Selbstblockade gelöst, es würden Dinge möglich, die es derzeit nicht sind, wobei nicht ganz klar zu sein scheint, warum das so ist.

So gedeiht in einem Seitengarten des medial-politischen Betriebs eine Republik der diffusen Wünsche, während an den (zumeist innerparteilichen) Grenzen der real existierenden Organisationen immer neue Konflikte ablaufen.

Ganz unterschiedliche Motive

Was da erhofft wird, gründet auf ganz unterschiedlichen Motiven. Den einen geht es um mehr Solidität, hier wirkt die Imagination einer »starken Regierung«, die deutsche Interessen irgendwo in der Welt vertreten soll. Andere reagieren hier vor allem auf das, was sie aus der Politik mitbekommen – und das sich dann in eher reflexhaften Umfrageaussagen niederschlägt. Den nächsten wiederum ist es um die Veränderung der Verhältnisse bestellt, um bestimmte politisch-ökonomische Pfadentscheidungen, die jetzt hinter dem Pulverdampf der grollenden Tagespolitik ja doch getroffen werden: Wie weiter mit der EU, mit der Lohnarbeit in Zeiten beschleunigter Automatisierung, mit der sozialen Integration, der Verteilung, der kulturellen und Alltagsbeziehungen?

Die Beantwortung solcher Fragen könnte auf der Vorderbühne des politischen Betriebs laufen, tut es aber nicht. Das dominierende Thema ist die Migration, obwohl weder der an die Wand gemalte »Ausnahmezustand« real ist noch etwas geschehen ist, das den Begriff »Kontrollverlust« verdient hätte. Dies könnte man viel eher für die soziale Lage in einem reichen Land sagen. Oder für die Frage der öffentlichen Investitionen. Oder oder oder.

Das schwarze thematische Loch der Debatte

Selbst noch in der Mahnung, die »eigentlich wirklich wichtigen« Themen nicht zu vernachlässigen, wird das schwarze thematische Loch der Debatte verstärkt, das alles aufsaugt: Wer sagt, man solle sich lieber über die Wohnungsfrage, die Kinderarmut, die Zukunft von Regionen beugen, in denen der industrielle Wandel bald schon tiefe Spuren hinterlassen wird, sagt zugleich auch »Migration« und bestärkt das alles andere übertönende Motiv.

Das gilt unter dem Strich auch für die notwendige Kritik an der Rhetorik der Zuspitzung, des Tabubruchs, der Rechtsverschiebung: Sogar in dem Versuch, den Seehofers dieser Welt mit Empirie beizukommen, in jedem Versuch auch, mit Zahlen zu Asyl und Migration dem gefährlichen Gerede von der »Unregierbarkeit« zu begegnen, steckt noch ein Beitrag zur Normalisierung solcher Radikalisierung. Den Mund halten geht freilich auch nicht. Und so wird Kritik und Mahnung in der stillen Sorge vorgetragen, dass sie im real existierenden Parteiensystem gar nicht auf fruchtbaren Boden fallen können. Weshalb sehnsüchtig in den Seitengarten des Wünschbaren geschielt wird.

Anschein von empirischem Fundament

Medial lässt sich das trefflich aufgreifen – indem Umfragen lanciert werden, die diesem diffusen Wünschbaren einen Anschein von empirischem Fundament verleihen. Die »Bild«, ein politischer Benzinkanister in Zeitungsform, hat jetzt fragen lassen, was passieren würde, »wenn die CSU bei einer etwaigen Neuwahl in ganz Deutschland antreten würde?« Herausgekommen ist: Eine Seehofer-Rechtspartei würde »18 Prozent der Stimmen erhalten und wäre dann zweitstärkste Kraft hinter der CDU«.

Wie das möglich sein soll, wo die bayerischen Rechtspopulisten derzeit doch bundesweit nur auf 6 Prozent kommen, ist dabei nicht so wichtig und ergibt sich auch nicht unmittelbar aus den Umfragewerten für die anderen Parteien. Es geht ja nicht um wirklich existierende Zustimmungswerte, es ist ein bisschen wie bei den so genannten Kanzlerwahl-Fragen, die auch Umfragen ohne Unterleib darstellen, weil der Regierungschef hierzulande nun einmal nicht direkt bestimmt wird. Allenfalls könnte man aufmerken, dass in besagter »Bild«-Umfrage die AfD auf elf Prozent – also deutlich verlöre. Liegt hier der springende Punkt, das Motiv? In der politischen Debatte wird gegenüber der CSU meist kritisch oder warnend angemerkt, vom AfD-Ähnlichkeitswettbewerb profitiere nur das Original.

Es ist nicht die einzige Umfrage über den politischen Seitengarten diffuser Wünsche – unlängst hieß es, eine politische Bewegung nach dem Vorbild des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu wählen, könnten sich hierzulande 57 Prozent der wahlberechtigten Bundesbürger vorstellen.

Die Sender, die die Umfragezahlen als ihren Inhalt verkauften, sprachen von einer »Sammlungspartei der Mitte«; Zuspruch käme »vor allem von denen, die sich der politischen und gesellschaftlichen Mitte zugehörig fühlen, aber ihre Interessen bei den herkömmlichen Parteien nicht mehr in ausreichendem Maße vertreten sehen und zugleich nicht für radikales linkes oder rechtes Gedankengut anfällig sind«. Interessanter Nebenhinweis, allerdings ohne Zahl dazu: »Lediglich in den unteren sozialen Schichten überwiegt der Anteil der Bundesbürger, die sich nicht vorstellen können, eine ›Macron-Partei‹ zu wählen.«

Unbehagen an den bisherigen politischen Formen

Was unmittelbar zu der dritten Umfrage überleitet, in der es um eine parteipolitische Konstellation geht, die bisher nur auf dem Papier existiert, zu der es Hoffnungen gibt, über die als Möglichkeit gestritten wird: Auch diese kam von der »Bild«-Zeitung, auch diese hatte vor allem einen eingreifenden Charakter – kurz vor dem Linksparteitag in Leipzig befeuerte das Blatt damit die internen Debatten: Jeder vierte Befragte  könne sich vorstellen, eine »Liste Sahra Wagenknecht« zu wählen. Dies gelte, so die Berichterstattung über die Zahlen, vor allem für aktuelle Anhänger der Linkspartei und für Ältere.

Der Detailreichtum der Ergebnisse wirft methodisch einige Fragen auf, stiftet hier aber ebenfalls eine empirisch anmutende Glaubwürdigkeit – das ist der Zweck solcher Umfragen. Die wiederum wirkt, weil die gerade laufende Vorstellung von Politik mit Regierung und Opposition immer weniger diese Glaubwürdigkeit noch selbst hervorbringt. Und doch bleibt alles  Projektion: Die CSU ist bundesweit nicht wählbar, eine wählbare Liste Wagenknecht existiert nicht, eine »Sammlungspartei der Mitte« ebensowenig. Man weiß nicht einmal genau, was solche Formationen wollen würden. Und was die Leute hoffen, dass sie tun könnten. Geht es bei der bundesweiten CSU um die Verkehrspolitik, die Kreuze? Geht es bei der Macron-Partei um Bahnprivatisierung, um das Europa-Symbolhafte? Und so weiter. Nicht Programmfragen sind es, wegen der man solche Umfragen macht. Und dennoch: Was existiert, ist ein Unbehagen an den bisherigen politischen Formen. Das wird man bei aller Kritik an Scheindemoskopie ernst nehmen müssen.

Geschrieben von:

Tom Strohschneider

Journalist

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