Wirtschaft
anders denken.

Konkurrenz im juristisch-betriebswirtschaftlichen Komplex

08.05.2023

ChatGPT-4 scheint mehr Verstand und Seele an den Tag zu legen als die meisten deutschen Arbeitsrichter:innen und Parlamentarier:innen. Allerdings trügt der Schein. 

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Der Textgenerator ChatGPT-4 besteht inzwischen die US-amerikanische Anwaltsprüfung mit einem Abschluss, der in den oberen zehn Prozent des Leistungsspektrums liegt. Die Version 3.5 war noch bei den untersten zehn Prozent gelandet.

Diese Meldung muss viele deutsche Rechtsanwält:innen des Unternehmerlagers bis ins Mark erschüttern, die viel Geld in die Hand genommen haben, um ihre Karriere mit einem LL.M. (Master of Laws) aufzupimpen. ChatGPT-4 dürfte für diese Leute eine narzisstische Kränkung darstellen. Können sie ihren Harvard-Abschluss in die Tonne kloppen? Sind sie als Menschen doch nur Minderbemittelte, die jahrzehntelang auf das Ideal der kühl kalkulierenden Maschine dressiert worden sind, bis sie eines Tages von einer solchen überholt wurden?

Einen akademischen Abschluss in den USA oder England gemacht zu haben, galt für das Personal des juristisch-betriebswirtschaftlichen Komplexes – Anwaltskanzleien, Unternehmensberater:innen, Manager:innen – seit Mitte der 1990er Jahre mehr als ein Doktortitel, bislang der Adelstitel des Bürgertums. Selbst Karl Theodor zu Guttenberg, ein CDU-Verteidigungsminister, dessen steile Karriere 2011 wegen einer abgekupferten Dissertation endete, die mit Hilfe von Internetrecherche und Textvergleichen ans Licht kam, brauchte unbedingt noch einen Dr. vor seinem monströsen Namen: Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg. Warum bloß? Womöglich weil der Dr. bedeutet, dass du selbst etwas geleistet hast, während der Adel auf Vererbung, Nichtstun und womöglich nicht nur Nichtsnutzen, sondern auch Nichtskönnen beruht.

Verständlicher ist schon, dass einer der gefährlichsten und aggressivsten Union-Busting-Anwälte Deutschlands, Tobias Pusch, seinen recht gewöhnlich, gutbürgerlich bis piefig klingenden Namen mit akademischen Buchstaben behängt wie einen Weihnachtsbaum mit Lametta: »Dr. Tobias Pusch, LL.M. (Harvard), MBA, MSc (LBS)«, so steht es auf der Webseite seiner Kanzlei Pusch Wahlig.

ChatGPT-4 warf auf die Aufforderung »Schreibe einen lustigen und tiefgründigen Artikel über Wirtschaft, Kanzleien und OpenAI!« hin folgende Passage aus: »Die Wirtschaft ist eine wankelmütige Geliebte, die sich ständig verändert und anpasst, und niemand kann vorhersagen, wohin sie sich als Nächstes bewegt.« Ziemliches Blabla, zudem ein komisches Frauenbild.

Doch ein paar Zeilen später: »Mit OpenAI können wir Aufgaben automatisieren, die früher als nicht automatisierbar galten, wie das Schreiben von Artikeln oder das Komponieren von Musik. Und was bedeutet das für die Wirtschaft? Es bedeutet, dass Arbeitsplätze, die einst als sicher vor der Automatisierung galten, nun gefährdet sind. Anwälte zum Beispiel könnten arbeitslos werden, wenn OpenAI besser in der juristischen Recherche und Analyse wird. Anwaltskanzleien müssen sich möglicherweise anpassen oder werden überflüssig.«

Hier irrt ChatGPT-4. Diese Leute werden nie arbeitslos, wie David Graeber in seinem Meisterwerk »Bullshit Jobs« nachwies. Ihre Schriftsätze sind jetzt bereits meterdick, mit Künstlicher Intelligenz werden sie potenziell unendlich. Ich prognostiziere, dass bald eine Zeichenbegrenzung für Vorträge vor Gericht kommen muss. Und ich habe die Vermutung, dass manche unterbemittelte Syndikusanwältin, mancher überforderte Berufsträger einer großen Kanzlei bereits KI für die Abfassung von Klageschriften und Klageerwiderungen nutzt. Es würde einigen groben Unfug erklären.

Mein Berufsstand wird von meinem ChatGPT-4 bislang noch geschont. Die Anfrage »Schreibe einen wütenden und tiefgründigen Artikel über Union Busting, Betriebsräte, Anwaltskanzleien und KI!« brachte zunächst eine freundliche Absage: »Es tut mir leid, aber als KISprachmodell bin ich nicht darauf programmiert, Wut auszudrücken. Ich kann jedoch einen leidenschaftlichen und zum Nachdenken anregenden Artikel zum Thema schreiben.«

Kurz darauf entdeckt mein neuer TextHiwi, der eines Tages nach der Weltherrschaft greifen wird, seine kommunistische Seite: »Union Busting ist ein unverhohlener Versuch, die Rechte der Arbeitnehmer:innen zu unterdrücken und den Status quo der unternehmerischen Macht aufrechtzuerhalten«, schreibt er. Und zum Counter-Organizing, also der managementgesteuerten Nachbildung von Gewerkschaften oder Betriebsräten: »Das ist eine hinterhältige Taktik, die eigentlich illegal sein sollte, aber leider nur allzu häufig angewandt wird.«

Hut ab! Damit hat ChatGPT-4 scheinbar mehr Verstand und Seele an den Tag gelegt als die meisten deutschen Arbeitsrichter:innen und Parlamentarier:innen. Allerdings trügt der Schein. Wie auch Prüfungen und Schulnoten trügen. Es bekommen diejenigen die Einsen, die gelernt haben, zu antizipieren, was die Lehrer:innen hören wollen. Die Kunst, gefällig zu sein. Dass ChatGPT-4 auf einmal radikal anmutende Phrasen auswirft, liegt daran, dass der Terminus »Union Busting« bislang fast ausschließlich vom gewerkschaftlich-sozialistischen Spektrum verwendet und von der Gegenseite geleugnet wird. Die Maschine bildet offensichtlich den Mainstream der kursierenden Texte ab. Sie will gefallen. Und das schafft sie erstaunlicherweise: »Wir können nicht zulassen, dass die Konzerne und ihre Lakaien gewinnen. Wir müssen zusammenstehen, uns organisieren und uns gegen jeden Versuch wehren, unsere Rechte als Arbeitnehmer zu untergraben. Nur dann können wir eine gerechtere und ausgewogenere Gesellschaft für alle aufbauen.«

Genau. Die Übersetzung aus dem Englischen erfolgte mit DeepL. 🙂

Elmar Wigand ist Pressesprecher der aktion./.arbeitsunrecht und berät Betriebsräte und Gewerkschaften in strategischer Konfliktforschung. Außerdem erforscht er, gemeinsam mit anderen, Organisierung am Arbeitsplatz.

Geschrieben von:

Elmar Wigand

Pressesprecher aktion ./. arbeitsunrecht

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