China, Trump und die neue Weltordnung: Der Streit um Zölle, Investitionen und geistiges Eigentum
Der Handelsstreit zwischen den USA und China ist mit Sicherheit kein Strohfeuer. Es geht um Warenströme, um Technologietransfers, um Regeln für internationale Großkonzerne. Und: Dieser Konflikt ist ein Symptom einer tektonischen Verschiebung in den globalen Machtverhältnissen.
Der aktuelle Handelsstreit zwischen den beiden größten Volkswirtschaften USA und China ist nicht beigelegt. Es geht um Warenströme, um Technologietransfers, um Regeln für internationale Großkonzerne. Letztlich geht es aber bei dem Streit um viel mehr als ein Handelsdefizit: China – so die Position von US-Präsident Trump – müsse die bisherige Hegemonialstellung der USA akzeptieren.
US-Präsident Donald Trump hatte bereits im Frühjahr 2018 harte Maßnahmen zur Überwindung des hohen Handelsdefizits seines Landes mit China und anderen Ländern auf den Weg gebracht. [1] Mit China betrug es im Jahr 2017 ca. 375 Milliarden Dollar. Im März drohte Trump China erstmals Strafzölle an, es folgte die Ankündigung von Vergeltungszöllen, danach wechselseitige Verschärfungen der Drohungen.
Eine endgültige Liste mit Produkten, die mit Strafzöllen von 25 Prozent belegt werden sollen, will der US-Präsident am 15. Juni veröffentlichen. Wenn nicht doch noch eine Einigung erzielt wird, sollen diese die Volksrepublik zu einer Abkehr von ihrer Industriepolitik und einem faireren Umgang mit amerikanischen Firmen und geistigem Eigentum bewegen. Zuletzt waren beide Länder um Entspannung bemüht. China zeigte sich unter anderem bereit, mehr Waren aus den USA einzuführen.
Lawrence A. Kudlow, den Trump im März 2018 zum Director of the »National Economic Council« und damit zu einem seiner Wirtschaftsberater gemacht hatte, rechtfertigte die US-Strategie. Diese ziele auf die Reform eines Welthandelssystems, in dem es zu viele Regelverstöße gegeben habe: »Beschuldigt nicht Trump, beschuldigt China, beschuldigt Europa, beschuldigt Nafta. Beschuldigt alle, die keinen Handel, keine Zölle und keinen Schutz beruhend auf Wechselseitigkeit wollen.« Der US-Präsident würde nur »auf Jahrzehnte des Missbrauchs« reagieren.
Die Verhandlungsstrategie der VR China interpretierte der indisch-amerikanische Ökonom Raghuram Rajan als Versuch einer pragmatischen Entschärfung. Im Gegensatz zu dieser würden sich Kanadier, Mexikaner und Europäer darüber aufregen, dass das von den USA geprägte internationale Wirtschaftssystem jetzt von der Weltmacht einseitig ausgehebelt werde. Europa bestehe darauf, dass die Amerikaner die Strafzölle kassieren müssten, erst dann könnte verhandelt werden. Dabei sei völlig unklar, ob es für die Reform des Systems überhaupt eine Verhandlungsgrundlage gäbe. »Am Ende des Tages geht es nicht um Handel, sondern um die Überlegenheit eines der beiden Gesellschaftssysteme.«
Im März hatte der US-Präsident eine Reihe von Maßnahmen gegen China zum Schutz amerikanischer Interessen angekündigt. China hatte daraufhin dem amerikanischen Handelsminister Wilbur Ross gegenüber deutlich gemacht, dass es sich wegen der angekündigten Zölle auf chinesische Produkte mit einem Handelswert in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar nicht erpressen lässt. Denn dieser Zollaufschlag ist vom Warenwert her betrachtet nicht aufregend. Entscheidend ist die industrietechnologische Bedeutung dieser Waren für die weitere Modernisierungs-Strategie. Als Reaktion drohte China, seinerseits Zölle von 25 Prozent auf amerikanische Transport- und Landwirtschaftsgüter zu erheben.
Zwar war nach der vierten Runde der chinesisch-amerikanischen Gespräche über das Ungleichgewicht im bilateralen Handelsverhältnis von »konkreten Fortschritten« die Rede. China drohte aber gleichzeitig, dass neue US-Zölle zum Abbruch des Handelsdialogs führen könnten. Die US-Regierung drehte weiter an der Schraube der Eskalation und kündigte an, weitere Zölle mit einem Handelswert von zusätzlichen 100 Milliarden US-Dollar zu prüfen.
Zum Schutz der nationalen Sicherheit sollen zudem neue spezifische Investitionsbeschränkungen und Exportkontrollen umgesetzt werden. Diese Maßnahmen sollen für chinesische Personen und Geschäftseinheiten gelten, die industriell bedeutende Technologien erwerben. Die neuen Restriktionen sollen bis Ende Juni vorgestellt und kurz danach in Kraft gesetzt werden. Schließlich wollen die USA ihre Klage vor der Welthandelsorganisation (WTO) über die Verletzung von Bestimmungen zum Umgang mit geistigem Eigentum weiterverfolgen. Hier geht es um die angeblich diskriminierenden Lizenzierungspraktiken Chinas.
Die Zahlen der Weltbank sprechen allerdings eine andere Sprache: China hat seit dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation (WTO) vor 17 Jahren die Zölle gesenkt hat. Lag der durchschnittliche gewichtete Zollsatz für alle Produkte 1992 noch bei mehr als 32 Prozent, sank er in den Jahren danach sukzessive auf 3,5 Prozent.
Die von China erhobenen Zölle liegen damit zwar noch immer über jenen anderer großer Volkswirtschaften. Zunächst hat die chinesische Regierung vor ein paar Tagen die Sätze für Importautos um 10 Prozentpunkte auf 15 Prozent gesenkt; wirksam wird dieser Schritt ab 1. Juli. Der Zoll auf importierte Autoteile geht gar um 19 Punkte auf 6 Prozent zurück. Zu große Hoffnungen werden sich die ausländischen Automobilproduzenten jedoch nicht machen. Im vergangenen Jahr belief sich der Wert der Importautos auf 51 Milliarden US-Dollar, was gerade einmal 4 Prozent des chinesischen Gesamtmarktes entsprach.
Zudem sollen ebenfalls ab dem 1. Juli die Zölle auf diverse Konsumgüter zum Teil deutlich gesenkt werden, insgesamt gelten die Reduktionen für insgesamt 1.449 Produktkategorien. All diese Maßnahmen hatte Regierungschef Li Keqiang bereits während seiner Rede beim Nationalen Volkskongress Anfang März angekündigt. Jetzt bietet die VR China diese Schritte als Entgegenkommen an.
Nachdem die Regierung angekündigt hat, schrittweise den Joint-Venture-Zwang für die Automobilbranche, den Schiff- und den Flugzeugbau zu verringern, sollen nun auch weitere Liberalisierungen ausländische Investoren anlocken. Zu den Maßnahmen gehört die Ankündigung, dass noch vor dem 1. Juli eine überarbeitete Negativliste für ausländische Investoren veröffentlicht wird, damit diese wissen, welche Sektoren für sie tabu bleiben.
Zudem sollen Finanzinstitute aus dem Ausland größere Chancen erhalten, bei den Emissionen von Anleihen lokaler chinesischer Regierungen federführend zu sein. Schließlich soll das Land auch für qualifizierte Beschäftigte attraktiver werden: Das Verfahren zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis wird vereinfacht. Zudem würden geeignete Beschäftigte aus dem Ausland, die von in China registrierten Firmen angestellt würden, künftig innerhalb von zwei Arbeitstagen ein Visum erhalten, verspricht die Regierung.
Regierungschef Li Keqiang wird mit den Worten zitiert, man müsse in China erkennen, wie notwendig es sei, ausländische Investoren zu gewinnen: »Sie haben in der Vergangenheit Wertschöpfungsketten in China aufgebaut und sind für Reformen der Unternehmen sowie für Innovationen verantwortlich gewesen.«. Er versprach zudem, geistiges Eigentum besser zu schützen und ausländische Firmen davor zu bewahren, ihre Technologien an chinesische Unternehmen aushändigen zu müssen.
Vom Weißen Haus gehen dagegen bislang keine Signale der Entspannung aus. Präsident Trump unterstrich per Twitter, die USA seien endlich fair zu behandeln. Wenn die Vereinigten Staaten null Zölle verlangten, Partnerländer aber 25, 50 oder gar 100 Prozent, sei das nicht länger hinnehmbar. Das sei nicht freier, sondern dummer Handel. Er wiederholte auch seine Behauptung, dass Amerika bei einem Handelskrieg nichts zu verlieren hätten, weil die USA jährlich eh schon 800 Milliarden Dollar verliere. Man sei jahrelang von anderen Ländern über den Tisch gezogen worden.
Der größte Teil des amerikanischen Leistungsbilanzdefizits stammt – wenig überraschend – mit 333 Milliarden US-Dollar aus dem Austausch mit China. Dies hat auch damit zu tun, dass die amerikanischen Direktinvestitionen in China nur 11 Milliarden US-Dollar abwerfen, weil Peking sehr restriktiv war, was ausländische Investoren betrifft. Für das enorme Defizit in der Warenhandelsbilanz gibt es für die USA praktisch keinen Ausgleich bei den Dienstleistungen und den Erträgen auf Investitionen. Dass die USA und andere kapitalistische Länder auf substanzielle Änderungen bei Direktinvestitionen drängen, ist nachvollziehbar. Verständlich ist anderseits auch, dass die chinesische Führung die Kontrolle über die Wertschöpfungsketten aus dem Ausland auf ihrem eigenen Territorium behalten will.
Washington und Peking sind in Vorformen eines weltweiten Wirtschaftskriegs verstrickt. China hat mit seinen ökonomischen Anstrengungen in den letzten Jahren enorm aufgeholt, in einigen Sektoren gar zur Weltmacht USA aufgeschlossen. Der Stahlmarkt ist ein Schauplatz dieses Konfliktes: Laut Weltstahlverband hat die Volksrepublik ihren Weltmarktanteil seit der Jahrtausendwende von 15 Prozent auf rund 50 Prozent mehr als verdreifacht. Die Stahlbranche in Nordamerika hat sich in der gleichen Zeit von rund 16 Prozent auf 7 Prozent mehr als halbiert (in Europa ist sie sogar von fast 25 Prozent auf nur noch 12 Prozent Weltmarktanteil geschrumpft).
China produziert seit Jahren viel mehr Stahl, als es selbst verbraucht und wirft den Überschuss zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt. Wirtschaftliche Verluste sind Peking dabei egal, es geht um höhere Marktanteile. Für Chinas Führung ist Stahl ein Pfeiler beim Aufstieg ihres Landes zur globalen Wirtschaftsmacht.
Die Regierungen in Europa, den USA und vielen anderen Ländern haben als Reaktion auf diese Dumpingstrategie mehr als hundert Strafzölle auf Stahlexporte direkt aus China aufgelegt. Die chinesische Regierung hat zwar zugesagt, die Produktion bis 2020 zu drosseln, gleichzeitig fährt sie sie aber in Ländern hoch, für die Strafzölle bislang noch nicht galten.
Die chinesische Regierung hat dafür ein Programm aufgelegt, das es Konzernen erleichtert, mit Rückendeckung von Chinas Staatsbanken Fabriken im Ausland zu eröffnen oder zu kaufen. Die Hersteller würden dafür hunderte Milliarden Dollar von der China Development Bank, der Bank of China und dem chinesischen Staatsfonds CIC bekommen.
Der Handelsstreit zwischen den USA und China ist mit Sicherheit kein Strohfeuer. Dieser Konflikt ist ein Symptom einer tektonischen Verschiebung in den globalen Machtverhältnissen: zwischen dem amerikanischen Weltmachtanspruch unter dem Motto »America first« und der Perspektive Chinas, im Vergleich zu den entwickelten kapitalistischen Ländern weiter aufzuholen.
Dass China dabei anstrebe, die ganze Welt zu beherrschen, ist eine politisch durchsichtige Propagandaformel. Die KP China hat auf dem letzten Parteitag ihre politische Strategie offen definiert: China will den wirtschaftlichen Erfolg ausbauen, auch um die Armut im Land in absehbarer Zeit weiter zu verringern. Deshalb will das Land nicht nur die eigene Wirtschaftsstruktur verbessern, sondern auch auf dem Weltmarkt einen größeren Einfluss gewinnen. Zu diesem Zweck wurde das Projekt einer »Neuen Seidenstrasse« auf den Weg gebracht, mit dem die Volksrepublik zu einer der führenden Verfechter der Globalisierung geworden ist. Bis 2035 soll eine moderne Wirtschaft erfolgreich aufgebaut sein, damit dann bis 2050 die globale Stellung Chinas gesichert werden kann. [2]
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dies verstanden: »Wir stehen vor umfassenden Problemen, weil sich die gesamte Weltordnung ändert.« Die Bundesregierung geht aktuell davon aus, dass die USA auch weiterhin die Supermacht bleibe, sich aber nicht mehr – außer dem militärischen Feld – in anderen Bereichen multilateralen Vereinbarungen verpflichtet sehe. Amerika habe sich selbst von der Rolle als ordnungspolitische Führungsmacht verabschiedet, weil die Lasten untragbar geworden seien und die westlichen Verbündeten nur einseitig ihre Vorteile gesucht und gefunden hätten.
Der US-Finanzminister Steven Mnuchin weist diese Interpretation zurück: Amerika gäbe seine Führungsrolle in der Weltwirtschaft nicht auf, im Gegenteil setzten die USA eine massive Steuerreform um, welche sich in der globalen Ökonomie positiv auswirken werde. Die Risiken der Strategie »America first« will die amtierende US-Adminstration nicht sehen.
Deutschland und das uneinige Europa haben ein Problem, weil sie bisher häufig keine gemeinsame Position entwickelt haben. Auch bei den Handelskonflikten bleibt ein dauerhaftes gemeinsames Agieren fraglich. Die einzige Lösung wäre eine Doppelstrategie: Selbstverständlich müssen die europäischen Länder ihre nationalen ökonomischen Interessen verfolgen, auch um die sozialen Probleme intensiver angehen zu können.
Zugleich besteht eine Chance, in einem durch rechtspopulistische Kräfte bedrohten Europa eine weitergehende gemeinschaftliche wirtschaftliche und soziale Perspektive umzusetzen. Deutschland müsste dabei die Europaverpflichtungen ernstnehmen und sich dafür einsetzen, dass die EU von ihrer Austeritätspolitik abrückt, um etwa Italien und anderen Mitgliedsländern mehr Investitionen zu ermöglichen.
Es müssten die Defizitziele gelockert werden, um zum Beispiel Italien und Griechenland in der Flüchtlingskrise helfen und Investitionen für diese Länder zu ermöglichen. Nur mit einer solchen Strategie könnten progressive Europäer einen Beitrag zur Zurückdrängung von Nationalismus und Rechtspopulismus leisten, statt im Rang von Zuschauern zu verharren.
[1] Vgl. dazu auch Joachim Bischoff, Donald Trump: Über einen Handels- und Währungskrieg zur Rezession? in: Printausgabe von Sozialismus.de, Heft 4-2018, S. 26-31 (als Leseprobe zugänglich im Netz).
[2] Siehe hierzu auch die Analyse und kritische Bewertung dieses Projektes von Uwe Hoering, Der Lange Marsch 2.0. Chinas Neue Seidenstraßen als Entwicklungsmodell, VSA: Verlag Hamburg 2018 (im Erscheinen).
Joachim Bischoff ist Mitherausgeber der Zeitschrift »Sozialismus«, der Text erschien zuerst auf deren Website. Foto: Robert Schediwy / CC BY-SA 3.0
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