Commons und Planung: Eine Frage der Regeln
Commons existieren nicht von selbst, sondern müssen immer hergestellt und reproduziert werden. Aber kann man die gemeinsame Nutzung von Ressourcen planen? Beim Commoning geht es vor allem um geeignete Arrangements. Ein Beitrag aus dem OXI-Schwerpunkt Planwirtschaft aus der Ausgabe 10/2017.
Commons bedeutet immer, Ressourcen gemeinsam zu nutzen und häufig, damit auch Produkte oder Dienstleistungen gemeinsam herzustellen. Vor allem was die Produktion betrifft, ist es heute technisch möglich, demokratisch und entsprechend den Bedürfnissen der NutzerInnen zu planen, was wann produziert werden soll. In manchen Commons geschieht das auch. Die quantitative Planung steht allerdings nicht im Zentrum des Commoning – geeignete Regeln ermöglichen einen weitaus komplexeren Prozess.
Dabei hatte Garret James Hardin in der Zeitschrift »Science« schon 1968 postuliert, Commons könnten nicht funktionieren, denn wenn etwas niemandem gehöre, übernehme auch niemand die Verantwortung. Daher würden Commons notwendigerweise immer übernutzt. Der Ökologe traute offenbar den Menschen nicht zu, mit den Ressourcen, die sie täglich brauchten, planvoll umgehen zu können.
Hardins Kritik war sehr einflussreich und wurde häufig zitiert. Der US-Amerikaner wurde jedoch auch vielfach kritisiert – und gestand später selbst ein, von falschen Annahmen ausgegangen zu sein. Kurz gesagt, Hardin hatte kein Commons beschrieben, sondern eine Art »Niemandsland«, etwas, das niemandem gehört und für dessen Nutzung es keinerlei Regeln gibt.
Commons funktionieren überall – wenn die Bedingungen stimmen
Nun wissen wir heute, dass Regeln essenzieller Bestandteil von Commons sind und dass das Fehlen von passenden Arrangements tatsächlich eine Ursache für ihr Scheitern durch Übernutzung ist. Allerdings beweist die tägliche Realität seit Hunderten von Jahren, was Elinor Ostrom auf den Punkt gebracht hat: Commons funktionieren überall – allerdings nur unter geeigneten Rahmenbedingungen.
Eine dieser Bedingungen ist, dass das Verhältnis von Beiträgen und Entnahmen von jedem und jeder Einzelnen als fair empfunden wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass alle das Gleiche leisten und gleich viel bekommen müssen, es ist also gerade keine »Gleichmacherei«, sondern es werden individuelle Fähigkeiten und Bedürfnisse berücksichtigt. Das Prinzip des Äquivalenztausches – hier Leistung, da »Ware« – ist in Commons aufgehoben. Es gibt sehr komplexe Commons-Regelungen, mit unterschiedlichen Pflichten und Nutzungsrechten für verschiedene Menschen oder Gruppen. Auch wer vorübergehend nicht so viel beitragen kann, bekommt was er oder sie zum Leben braucht.
Die herkömmliche Ökonomie geht davon aus, dass Ressourcen immer knapp sind, dass also immer zu wenig da ist für unsere unendlichen Bedürfnisse. Sie sucht daher nach geeigneten Methoden, Güter und Ressourcen zuzuweisen, wobei nach dem Scheitern der real existierenden planwirtschaftlichen Modelle heute dem Markt der Vorzug gegeben wird. Oft genug stellt jedoch der Markt die Bedürfnisse, die er zu befriedigen vorgibt, erst selbst her.
Es sind genügend Ressourcen für alle vorhanden
Die Praxis der Commons zeigt, dass genügend Ressourcen für alle vorhanden sind, sie mit geeigneten Nutzungsmechanismen sogar vermehrt werden können. Im indischen Bundesstaat Rajasthan etwa haben DorfbewohnerInnen ein System zur Regenwassernutzung aufgebaut, durch das zur Wüste gewordenes Land wieder fruchtbar wurde und die Flüsse wieder Wasser führten.
Die Regeln für das Commoning gehen daher weit über eine geplante Ressourcenzuweisung hinaus. Sie berücksichtigen die spezifischen Eigenschaften der Ressource, klimatische Bedingungen, die Möglichkeiten der Einzelnen, sich einzubringen, und suchen auch nach Lösungen, wenn einmal nicht genug für die Bedürfnisse aller da ist. Ist es möglich, Ressourcen zu vermehren? Kann man Dinge effizienter nutzen? Gibt es Alternativen?
Commons existieren nicht von selbst, sondern müssen immer hergestellt und reproduziert werden. Deshalb ist die gemeinsame Nutzung eines Waldes, einer Wasserversorgungsanlage oder von Fischgründen immer auch eine Form der Produktion. Und fast immer sind dafür auch der Bau und der Erhalt einer Infrastruktur notwendig. Es gilt also, Nutzungsrechte zu verhandeln und Tätigkeiten zu planen, um die Bedürfnisse aller zu befriedigen.
Eine historisch alte Form der Nutzung
Commons rund um natürliche Ressourcen sind eine historisch alte Form der Nutzung, die in den letzten Jahren wieder mehr Aufmerksamkeit erlangt, weil sie oft bedroht ist. Viele neue Commons haben eine ähnliche Geschichte: entweder Enteignung und Privatisierung vormals gemeinsam genutzter Ressourcen oder massive Übernutzung in den 1970er und 1980er Jahren, als Reaktion darauf strenge Schutzgesetze der Regierungen, die auch die Selbstversorgung der dort lebenden Menschen unmöglich machten. Aus den darauf folgenden Protesten entstanden gesetzlich verankerte Modelle für Nutzungsrechte für lokale Gemeinschaften.
Das geschah etwa in Chile, wo im Fischereigesetz 1991 ein System »gebietsbezogener Nutzungsrechte in der Fischerei« eingeführt wurde. Die Muschelfischer sind in kleinen Fischerhäfen, »Caletas« genannt, organisiert. Die Nutzungsrechte für ein solches Gebiet zu erlangen ist schwierig. Indem sich die Fischer zusammenschließen, verbessern sie ihre Verhandlungsmacht gegenüber der Regierung ebenso wie ihre Marktposition. Sie entscheiden gemeinsam über die Fangmethoden, darüber, wann sie zum Fang ausfahren, zu welchem Preis sie verkaufen. Zusätzlich entwickeln sie Aufnahmeregelungen oder Sanktionen für den Fall, dass jemand die Vereinbarungen nicht einhält.
Und sie müssen auch Lösungen für auftauchende Probleme finden. So erlebte eine Gemeinschaft nach schweren Regenfällen einen starken Rückgang der Muschelbestände, der ihre Existenz bedrohte. Schließlich einigte sie sich darauf, in Zukunft nur mehr an drei Tagen pro Woche auszufahren, worauf sich die Bestände stabilisieren konnten. In der Zeit seit der Einführung der selbstverwalteten Nutzungsrechte hat sich sowohl die wirtschaftliche Situation der Gemeinden verbessert als auch der Muschelbestand erhöht.
Spezielle Förderung für Frauen
Ähnliche Erfahrungen gibt es mit Wäldern in Nepal. Nach massiven Abholzungen und einem strengen Schutzgesetz, das den dort lebenden Dorfgemeinschaften die Existenzgrundlage entzog und zu oft gewalttätigen Auseinandersetzungen führte, entstand das Konzept der »Community forestry«. Dorfgemeinschaften bekommen das Nutzungsrecht für ein definiertes Stück Wald, das sie autonom und selbstorganisiert bewirtschaften. Sie werden von der Forstbehörde unterstützt, um ein nachhaltiges Bewirtschaftungskonzept zu entwickeln. Frauen, die in diesen Regionen eine besonders schlechte soziale Stellung haben, bekommen spezielle Förderung, um sich in die Prozesse einbringen zu können.
Die Menschen holen sich aus dem Wald, was sie zum Leben brauchen: Holz, Kräuter, Früchte, Pilze. Was nach der Selbstversorgung übrig bleibt, wird verarbeitet und die Produkte werden verkauft, wodurch auch Geld in die Region kommt. Auch hier hat sich der Zustand des Waldes verbessert und gleichzeitig der Lebensstandard erhöht. Das sind Beispiele für die Überlegenheit von Commonsregelungen gegenüber Markt oder Staat.
Oft ist es notwendig, zuerst zu klären, welche Methode überhaupt zur Anwendung kommen soll. Cochabamba in Bolivien ist bekannt für den »Wasserkrieg«, in dessen Folge BewohnerInnen die Privatisierung des Wassers verhindern und ihre Wasserversorgung teilweise in die eigenen Hände nehmen konnten.
Wasserkomitees mit einer langen Tradition
Das war aber nur möglich, weil in Cochabamba sogenannte Wasserkomitees eine lange Tradition neben der städtischen Wasserversorgung hatten. Je nach ihrer Situation wählen die peripheren Stadtteile Zisternen oder Tankwagen, graben Brunnen oder streben einen Anschluss an die städtische Wasserleitung an – mittels selbstgebauter Infrastruktur. Ist diese Entscheidung getroffen, entstehen daraus die Fragen der Aufteilung notwendiger Tätigkeiten und der Rechte zur Nutzung der Ressource oder der hergestellten Produkte und Dienstleistungen.
Andere Commons entstehen aus dem Wunsch heraus, anders zu produzieren. Meist geht es darum, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, den ProduzentInnen ein Auskommen zu sichern und mit natürlichen Ressourcen schonend umzugehen.
Ein in letzter Zeit boomendes Beispiel für solche Commons ist die solidarische Landwirtschaft. Hier treffen sich die Bedürfnisse von ProduzentInnen und KonsumentInnen in idealer Weise. Die einen wollen naturnahe, ökologische Landwirtschaft betreiben, können aber davon bei den gängigen Marktpreisen nicht leben. Die anderen wollen gerne biologisch angebautes, regionales Essen, haben aber kein eigenes Land.
KonsumentInnen, AnteilhaberInnen, ProsumentInnen
Beiden gemeinsam ist der Wunsch, nach einer regionalen Kreislaufwirtschaft und dem Erhalt der natürlichen Artenvielfalt, der Reinheit der Gewässer und auch der Kampf gegen den Klimawandel spielt eine wichtige Rolle. In einer solidarischen Landwirtschaft schließen sich ProduzentInnen und KonsumentInnen zusammen und übernehmen gemeinsam die Verantwortung für einen Hof. Dabei verwischen die Grenzen – aus KonsumentInnen werden AnteilhaberInnen der Ernte oder ProsumentInnen.
Wie das geht? Die Gruppe der Landwirte berechnet, wie viele Personen sie mit dem vorhandenen Land versorgen kann, und wie viel Geld sie zum Leben braucht. Die versorgten Personen verpflichten sich ihrerseits den notwendigen Betrag aufzubringen, dafür erhalten sie verlässlich während des ganzen Jahres wöchentlich frisches Gemüse. Die ErnteanteilhaberInnen beteiligen sich in unterschiedlichem Ausmaß auch an der Feldarbeit oder bei der Verteilung der Produkte.
Das Besondere dabei ist, dass nicht ein Produktpreis berechnet wird, sondern die Berechnung der Beiträge geht von den Bedürfnissen der ProduzentInnen aus und vermittelt sie mit den Bedürfnissen der KonsumentInnen. Könnten diese nicht befriedigt werden, wäre dem Projekt kein langes Leben beschieden.
Integriertes Management natürlicher Ressourcen
Gibt es allerdings einmal ohne Verschulden der Landwirte eine schlechte Ernte, ist die Existenz des Hofes trotzdem abgesichert, das Risiko des Ernteausfalls wird durch Produktvielfalt minimiert. Hier kann man von Planung im engeren Sinne sprechen, diese wird von den Beteiligten selbst vorgenommen: in gegenseitiger Verantwortung und getragen vom Wunsch nach einem guten Leben für alle. Die Erfahrungen zeigen, dass es funktioniert.
Wieweit solche Modelle übertragbar sind, darüber gibt es geteilte Meinungen. Es gibt Beispiele für Commons, die Zigtausende NutzerInnen umfassen, die auf mehreren Ebenen organisiert sind. Die Ökonomin Ostrom sprach von eingebetteten oder auch ineinander verschachtelten Organisationen. Andere nennen es integriertes Management natürlicher Ressourcen oder »Mehrebenen-Governance«.
Netzwerke und Rechtssysteme auf lokaler, nationaler und globaler Ebene sind dabei verzahnt. Staatliche Organisationen können auf den verschiedenen Ebenen unterschiedliche Rollen spielen, wobei vor allem auf der lokalen Ebene Rahmenbedingungen für Selbstverwaltung geschaffen werden können. Langfristige Praxiserfahrungen gibt es dafür jedoch noch nicht.
Infokasten: Commons
Als Commons werden Arrangements bezeichnet, in denen Menschen eine Ressource – zum Beispiel Wasser oder Wald, den öffentlichen Raum oder einen Software-Code – nach genau definierten Regeln gemeinsam nutzen. Bei Commons handelt es sich also um soziale Beziehungen in Bezug auf Dinge.
Commons existieren nicht von sich aus, sie müssen gemacht werden, daher wird oft auch der Begriff »commoning« als Verb verwendet. Es geht dabei immer darum, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie mit den vorhandenen Ressourcen alle genug zum Leben bekommen, ohne die Ressourcen zu übernutzen.
Der Ausgangspunkt für die Schaffung von Commons sind meist Bedürfnisse, die nicht oder nur unbefriedigend gestillt werden können. Wenn dann die Betroffenen ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen, sich organisieren, miteinander kommunizieren und kooperieren und gute Lösungsmechanismen für ihre Konflikte finden, können spezifische Formen des Commoning entstehen.
Wichtig ist dabei, dass die Regeln von den Beteiligten selbst gemacht werden, ihre Einhaltung von ihnen selbst kontrolliert wird und dass diese Regeln bei Bedarf auch veränderbar sind. Treffen diese Bedingungen zu, dann stehen die Chancen gut, dass dem Commons eine lange Lebensdauer beschieden ist – immer vorausgesetzt, dass es auch von außen respektiert wird.
Hintergründe und Beispiele für funktionierende Commons finden sich unter anderem in den Sammelbänden »Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat« und »Die Welt der Commons. Muster gemeinsamen Handelns«, die von Silke Helfrich, David Bollier & Heinrich-Böll-Stiftung herausgegeben wurden und 2012 bzw. 2015 im transcript Verlag erschienen sind.
Brigitte Kratzwald ist Sozialwissenschaftlerin und befasst sich schwerpunktmäßig mit Commons und Solidarischer Ökonomie. Sie ist Österreich-Redakteurin der Zeitschrift »Contraste«, in der es um Fragen der Selbstorganisation geht. Mehr gibt es hier.
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