Wirtschaft
anders denken.

Leidtragende und Profiteure

30.07.2022

Arme haben während der Covid-19-Pandemie viel verloren, Reiche noch mehr gewonnen. Aus OXI 7/22.

Während der pandemischen Ausnahmesituation haben sich die Verteilungskämpfe wie in jeder Rezession enorm verschärft. Aufgrund der Pandemie selbst, der von ihr mit ausgelösten Wirtschaftskrise sowie der unausgewogenen Finanzhilfen des Staates drifteten die Lebens-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Menschen weiter auseinander. Um die richtigen Lehren aus diesem Polarisierungsprozess ziehen zu können, muss man analysieren, wer unter der Corona-Krise am stärksten gelitten und wer von ihr am meisten profitiert hat.

Hauptleidtragende, weil überwiegend einkommens- und immunschwach, waren Wohnungs- und Obdachlose, Migrant:innen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftige, Suchtkranke, Sexarbeiter:innen, Erwerbslose, Geringverdiener:innen, Kleinstrentner:innen und Transferleistungsbezieher:innen (Empfänger:innen von Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Asylbewerberleistungen) sowie die Bewohner:innen von Gemeinschaftsunterkünften, etwa Strafgefangene, Geflüchtete (süd)osteuropäische Werkvertragsarbeiter:innen der Subunternehmen deutscher Großschlachtereien beziehungsweise Fleischfabriken und Saisonarbeiter:innen.

Obdach- und Wohnungslose, die kein Zuhause hatten, konnten trotz der Infektionsgefahr nicht – wie von Mediziner:innen, Virolog:innen und Politiker:innen gleichermaßen gefordert – »zu Hause bleiben«, während des wiederholten Lockdowns aber auch weder Straßenzeitungen verkaufen noch Pfandflaschen sammeln oder Geld mit Betteln verdienen, weil Passant:innen ausblieben oder aus Furcht vor Ansteckung auf Distanz zu ihnen gingen. Sie gehörten zweifellos zu den Hauptleidtragenden der Covid-19-Pandemie, standen jedoch weder im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit noch der staatlichen Fürsorge.

Aufnahme-Einrichtungen für Geflüchtete boten den Viren günstige Verbreitungsmöglichkeiten, weil häufig mehrere Personen in einem Zimmer untergebacht waren, die über keinerlei Rückzugsgelegenheiten verfügten. Ein besonderes Problem in Sammellagern für Asylsuchende bildeten Kollektivquarantänen, von denen alle Bewohner:innen, das heißt, auch solche betroffen waren, die sich weder selbst angesteckt hatten noch unmittelbaren Kontakt zu einer infizierten Person hatten.

Transferleistungsbezieher:innen, deren Lebenshaltungskosten stiegen, als die meisten Lebensmitteltafeln geschlossen waren, Hamsterkäufer:innen die Regale mit preiswerten Grundnahrungsmitteln wie Nudeln oder Mehl leer kauften und die Preise vieler Nahrungsmittel stiegen, wurden ebenfalls hart getroffen. Für den Kauf der empfohlenen Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel fehlte ihnen häufig das Geld. Obwohl mehrere Wohlfahrtsverbände im Mai 2020 für die Regelsätze der Grundsicherung für Arbeitsuchende, der Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen, der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie der Asylbewerberleistungen einen pauschalen »Corona-Aufschlag« von 100 Euro monatlich gefordert hatten, bewilligte die Bundesregierung den Betroffenen nur eine Einmalzahlung von 150 Euro, die auch erst genau ein Jahr später ausgezahlt wurde.

Überhaupt keine finanzielle Unterstützung wurde den Strafgefangenen zuteil, die während der Pandemie über ausbleibenden Besuch, wegfallende Freizeitaktivitäten in der Justizvollzugsanstalt und einen noch weniger abwechslungsreichen Alltag klagten. Obwohl ihre Arbeitsmöglichkeiten von mancherlei Einschränkungen und Schließungen betroffen waren, wurden die daraus ohne persönliche Schuld der Inhaftierten resultierenden finanziellen Einbußen höchstens teilweise durch »Billigkeitsentschädigungen« ausgeglichen.

In beiden Pandemiejahren erlitten die Arbeitnehmer:innen einen Reallohnverlust, der sich 2020 auf 1,1 Prozent und 2021 auf 0,1 Prozent belief. Kurzarbeitszeiten für knapp sechs Millionen Beschäftigte blieben auf dem Gipfelpunkt des ersten Lockdowns im April 2020 ebenso wenig aus wie zahlreiche Konkurse, von denen meist kleinere oder mittelständische Firmen betroffen waren. Auch wenn in der Öffentlichkeit oft so getan wurde, als hätte sich die Corona-Krise auf dem Arbeitsmarkt nur unwesentlich niedergeschlagen, gab es immerhin eine halbe Million mehr Arbeitslose, ist etwa dieselbe Zahl an Minijobs weggefallen. Vor allem spiegelte sich die Krise in einer Verfestigung der Erwerbslosigkeit wider. Erstmals seit dem Jahr 2016 stieg die Zahl der Langzeitarbeitslosen wieder auf über eine Million.

Die durch das Coronavirus ausgelöste Unterbrechung von Lieferketten und die Zerstörung von Vertriebsstrukturen, der Verlust von Absatzmärkten sowie die als Reaktion auf die Pandemie behördlich verordnete Schließung von Geschäften, Gaststätten, Hotels, Diskotheken, Clubs, Kinos, Theatern und anderen Kultureinrichtungen nach dem Infektionsschutzgesetz hatten erhebliche finanzielle Einbußen für die dort Tätigen, aber auch zahlreiche Betriebsaufgaben und Entlassungen zur Folge. Am härtesten traf es kontaktintensive Dienstleistungsbranchen, in denen viele Geringverdiener:innen arbeiten: Genannt seien Friseur:innen, Fußpfleger:innen und Beschäftigte in Fitnessstudios.

Die sozioökonomische Polarisierungsdynamik der Pandemie machte vor den Vermögenden nicht etwa halt. Ganz entscheidend war der Wirtschaftszweig, in dem ein Unternehmer tätig war oder sich ein Finanzinvestor engagiert hatte. Denn es machte beispielsweise einen großen Unterschied, ob man einen Baumarkt oder einen Messebaubetrieb, einen Friseursalon oder einen Fahrradladen besaß. Zu den Hauptprofiteuren des pandemiebedingten Krisendesasters gehörten einige der profitabelsten Unternehmen mit den reichsten Eigentümern. Während Gastronomie, Touristik und Luftfahrtindustrie starke Einbußen verzeichneten, realisierten die Großkonzerne krisenresistenter Branchen sogar Extraprofite: Lebensmittel-Discounter, Drogeriemärkte, Versandhandel, Lieferdienste, Digitalwirtschaft und Pharmaindustrie stachen hervor.

Bund, Länder und Gemeinden haben in der Corona-Krise nach kurzem Zögern fast über Nacht riesige Summen für direkte Finanzhilfen, Ausfallbürgschaften und Kredite mobilisiert. Letztere kamen in erster Linie großen Unternehmen zugute, während Kleinunternehmer:innen überwiegend mit einmaligen Zuschüssen unterstützt wurden, die ihre laufenden Betriebskosten decken sollten, aber nicht zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verwendet werden durften.

Aus dem bereits im März 2020 mit einem Gesamtumfang von 600 Milliarden Euro geschaffenen Wirtschaftsstabilisierungsfonds des Bundes erhielten größere Unternehmen teilweise sogar mehrmals umfangreiche Finanzspritzen. Dabei handelte es sich einerseits um Garantien und andererseits um Rekapitalisierungsmaßnahmen, darunter Nachrangdarlehen, Ausfallbürgschaften und stille Einlagen. Zu den Konzernen, deren Anträge bewilligt wurden und die Staatshilfen in erheblichem Umfang bekamen, gehörten bekannte Konzerne wie die Deutsche Lufthansa AG, die TUI AG, die Adler Modemärkte AG und die Galeria Karstadt Kaufhof GmbH.

Während auch kapitalkräftige Unternehmen von der Großzügigkeit des Staates profitierten, mussten sich Finanzschwache verglichen mit den großzügigen Fördermaßnahmen für die Wirtschaft arg bescheiden. Freiberufler:innen, Soloselbstständige und Kleinunternehmer:innen, die Sofort-, Überbrückungs-, Notfall- oder Neustarthilfe beantragten, hatten große bürokratische Hürden zu überwinden. Teilweise war zur Antragstellung ein Steuerberater oder eine Steuerberaterin erforderlich, was Geld kostete, ohne dass die Bewilligung der finanziellen Mittel feststand.

Unter dem Druck der Corona-Krise, die Einkommensverluste durch Kurzarbeit, Bankrotte und Erwerbslosigkeit nach sich zog, kauften mehr Familien bei Lebensmittel-Discountern ein, wodurch die ohnehin zu den vermögendsten Deutschen gehörenden Besitzer von Ladenketten wie Aldi Nord und Aldi Süd noch reicher geworden sind. Dieter Schwarz, Eigentümer von Lidl und Kaufland, hat sein Privatvermögen, das die »Welt am Sonntag« (v. 20. 9. 2020) auf 41,8 Milliarden Euro taxierte, in der Corona-Krise laut dem US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin »Forbes« um 7,5 Milliarden Dollar gesteigert. Viele kleine Einzelhändler:innen verloren 2020/21 wegen der Schließung ihrer Läden und ausbleibender Kundschaft hingegen ihre Existenzgrundlage.

Nur wenige Personengruppen, darunter Rentner:innen, Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, verzeichneten zunächst kaum finanzielle Einbußen – jedenfalls dann nicht, wenn sie keinen Nebenjob in Form einer geringfügigen Beschäftigung hatten, der wegfiel. Denn als Minijobber:innen konnten sie weder Arbeitslosengeld I beziehungsweise II noch Kurzarbeitergeld beziehen. Allerdings gehörten die genannten Gruppen auch nicht zu den Gewinner:innen der Pandemie, weil ihnen keine zusätzlichen Mittel zuflossen. So wurden die Renten in den westdeutschen Bundesländern am 1. Juli 2021 gar nicht angehoben, und in den ostdeutschen betrug die Rentenerhöhung bloß 0,72 Prozent. Zwar fällt die Rentenerhöhung am 1. Juli 2022 mit 5,35 Prozent in West- und 6,12 Prozent in Ostdeutschland sehr viel höher aus. Sie wird aber durch die starken Preissteigerungen im Energie- und Nahrungsmittelbereich weitgehend aufgezehrt.

Zu resümieren bleibt, dass Arme, sozial Benachteiligte und Menschen ohne Vermögen die größten Verlierer:innen der Covid-19-Pandemie, viele Reiche, Unternehmer und Kapitaleigentümer hingegen als Gewinner aus der Corona-Krise hervorgegangen sind. Zuletzt verstärkte der inflationäre Preisauftrieb, den gestörte Lieferketten, gestiegene Transportkosten sowie fehlende Rohstoffe und Vorprodukte mit verursacht haben, den sozioökonomischen Paternostereffekt der Pandemie.

Durch das Emporschnellen der Verbraucherpreise vor allem im Bereich der Haushaltsenergie, der Kraftstoffe und der Nahrungsmittel wurde neben Transferleistungsbezieher:innen die untere Mittelschicht besonders stark belastet. Während reiche und hyperreiche Haushalte aufgrund hoher Wertzuwächse von Aktien, Immobilien und Edelmetallen ihr Vermögen steigerten, gehörten Ärmere einmal mehr zu den Verlierer:innen der ökonomischen Entwicklung. Daraus folgt: Krisengewinnler sollten die Schuldenlasten von Bund, Ländern und Gemeinden abtragen, die Verlierer:innen der Corona-Krise möglichst lange unterstützt und vom Staat passgenauer mit Hilfsmaßnahmen bedacht werden!

Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln gelehrt, im Mai erschien sein Buch »Die polarisierende Pandemie. Deutschland nach Corona« bei Beltz Juventa.

Geschrieben von:

Christoph Butterwegge

Professor für Politikwissenschaft

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