Wirtschaft
anders denken.

»Das ist kein moralisches Problem, sondern ein politisches«

Steht ein neuer Crash der Finanzmärkte bevor? Und wie wären die Staaten und der Bankensektor diesmal darauf vorbereitet? Wolfgang Kessler von Publik-Forum im Gespräch über die Konsequenzen aus der letzten Finanzkrise und staatliche Gestaltungsspielräume.

08.04.2016
Wolfgang Kessler ist Ökonom, Wirtschaftspublizist und Chefredakteur des unabhängigen christlichen Magazins Publik-Forum. Er wurde 2007 mit dem Internationalen Bremer Friedenspreis ausgezeichnet.

Sie schrieben jüngst in Ihrem Magazin: »Das Finanzsystem wankt, die Weltwirtschaft kriselt, eine neuer Crash wird vorhergesagt. Doch noch ist die Wende möglich.« Setzen wir voraus, die aktuelle Politik in Deutschland und in der EU ändert sich nicht wesentlich in den kommenden drei Jahren: Wie wahrscheinlich ist dann ein Crash? Welche Folgen hätte er: so wie 2008/09 oder schlimmer?

Kessler: Ich glaube nicht, dass es einen Crash im Sinne eines Gesamtzusammenbruch des Finanzsystems geben wird. Da die Niedrigzinspolitik immer mehr Geld in spekulative Anlagen treibt, die noch Rendite versprechen, werden die Aktienkurse irgendwann einbrechen. Auch so mancher spekulative Hedgefonds ist bedroht, weil es für Schattenbanken immer noch keine Regulierung gibt. Im Bereich konventioneller Banken schätze ich die Risiken nicht ganz so hoch ein, weil sich viele Banken von risikoreichen Anlagen fernhalten und weil die Bankenaufsicht verstärkt wurde. Generell glaube ich, dass sie auf einen Einbruch besser vorbereitet sind als 2008.

Ich konfrontiere Sie mit den folgenden drei Zitaten. Robert Shiller, Nobelpreisträger für Wirtschaft, im September 2015: »Zu 70 Prozent erleben wir zeitnah einen Crash.« George Soros, Milliardär und Spekulant, in diesem Januar: »Das könnte den Anfang einer neuen Finanzkrise markieren.« Andrew Roberts, Chefanalyst der Royal Bank of Scotland, ebenfalls im Januar: »Verkaufen Sie alles außer Qualitätsanleihen.« Ist das Panikmache oder seriöses Warnen?

Wenn Spekulanten und Bankanalysten solche Warnungen aussprechen, wähne ich dahinter immer Eigeninteressen. Vielleicht wirbt Soros für Anlagen in seinem Fonds und der andere hält die Angebote der Royal Bank of Scotland für Qualitätsanleihen. Deshalb ist sicher Panikmache dabei, auch aus Marketing-Gründen. Aber die Gefahr von Einbrüchen einzelner Märkte besteht, auch weitere Einbrüche an chinesischen Börsen.

Was hat die Politik seit der letzten Finanzmarktkrise 2008/09 sinnvoll verändert?

Nicht besonders viel, aber einiges doch. So müssen die Banken mehr Eigenkapital vorhalten. Weniger als notwendig, aber immer noch mehr als bisher. Es gibt eine europäische Finanzaufsicht. Zudem wurde der spekulative Eigenhandel der Banken eingedämmt, und ihre Verflechtungen mit Hedge- und Investitionsfonds wurden beschränkt. Auch der Handel mit sogenannten Derivaten wurde gewissen Regeln unterworfen. All das ist zu wenig, vor allem fehlen die Trennung zwischen Investmentgeschäften und Spar-und Kreditgeschäften ebenso wie eine Finanztransaktionssteuer. Skandalös ist zudem die faktische Gleichbehandlung von Großbanken und kleineren Genossenschaftsbanken, was Letztere schwer benachteiligt. Damit haben gerade die wenig spekulativ tätigen Banken Nachteile. Es wurde sicher zu wenig und teilweise falsch reguliert, aber im Vergleich zu der Zeit vor der Finanzkrise ist das Bankensystem etwas sicherer geworden.

Warum hat die Politik nur so wenig geändert?

Wegen der Macht der Finanzindustrie und wegen der neoliberalen Ideologie in den Köpfen der Verantwortlichen. Wer immer sich mit kritischen Volksvertretern unterhält , erfährt, dass die Finanzindustrie die bestausgestatteten Lobbyisten unterhält, die Maschine ist gut geölt. Sie machen sich auch zunutze, dass viele Abgeordnete nicht über das hochspezialisierte Wissen über das Finanzsystem verfügen und deshalb auf die vermeintliche Logik der Fachverbände abfahren. Dazu kommt, dass viele Abgeordnete noch immer den Markt mit Freiheit und den Staat mit Quasi-Diktatur, mindestens aber mit Bürokratie, verbinden und deshalb staatlichen Eingriffen kritisch gegenüber stehen. Sie haben im Studium vor allem gelernt, dass privat effizient ist und staatlich uneffektiv. Das ökonomische Denken wurde verbetriebswirtschaftlicht, deshalb geht es nur noch um Nutzen und Kosten für die Beteiligten. Die Rückwirkungen eines marktliberalen Finanzsystems auf den Zusammenhalt der Gesellschaft, auf die sozial Benachteiligten, auf die Ärmeren, auf die Umwelt kommen in diesem Denken nicht vor.

Was macht die Macht der Finanzmärkte gegenüber der Politik aus?

Während Abgasnormen für Autos nur die Automobilindustrie betreffen, kann die Finanzindustrie immer vorgaukeln, dass von ihren Problemen die gesamte Wirtschaft, ja die gesamte Gesellschaft betroffen ist. Das stimmt zwar nur bedingt. Aber es macht in der Öffentlichkeit Eindruck, wenn die Banken mit der Gefahr für die einfachen Sparer argumentieren oder wenn die Versicherungen bei Einführung einer Finanztransaktionssteuer hohe Kosten für alle Riester-Rentner an die Wand malen. Sie können auf diese Weise glauben machen, dass es ihnen in erster Linie um das Gemeinwohl gehe. Das setzt dann die Politik massiv unter Druck.

Ihr Rezept lautet: Der enorme private Reichtum muss hoch besteuert werden. Die Staaten nehmen dieses Geld, um es beispielsweise in Sozialleistungen und eine gute öffentliche Infrastruktur zu investieren. Um Ihre Vorstellungen durchzusetzen: Haben sich die Kräfteverhältnisse seit 2008/09 eher verbessert oder eher verschlechtert?

Diese Gesellschaft steht vor der Wahl, entweder den steigenden Reichtum weiter in die Spekulation zu treiben oder wenigstens einen Teil davon in die Bekämpfung der Armut, in den Schutz des Klimas, in eine nachhaltige Entwicklung weltweit zu investieren. Wenn wir Letzteres wollen, dann muss die Politik einen Teil des Superreichtums von Konzernen und Vermögenden über Steuern abschöpfen und über die öffentliche Hand in das Gemeinwohl investieren. Allerdings sind die Aussichten für eine gerechtere Verteilung des Reichtums schlechter geworden. Denn die regierenden Eliten wollen sich nicht mit den Konzernen, mit den Vermögenden, anlegen. Zudem üben die Konzerne mit ihrem Kapital großen politischen Einfluss aus. Und sie haben noch den Vorteil eines globalen Kapitalismus, in dem sie durch Grenzen kaum aufgehalten werden, die Gesetze der Regierungen aber schon. Hinzu kommt, dass auch viele Bürger davon träumen, selbst reich zu werden. Der neoliberale Kapitalismus hat sich auch in die Köpfe der Menschen eingegraben. Andererseits mehren sich die kritischen Fragen an unser Wirtschaftssystem. Wenn steter Tropfen den Stein höhlt, dann wird diese Kritik auch politische Kräfte fördern, die den Reichtum gerechter verteilen wollen und werden. Das zeigt sich derzeit in den USA, in Großbritannien, in Griechenland oder Spanien. Und das wird auch in Deutschland kommen.

Publik-Forum erscheint 14-tägig, hat eine Auflage von knapp 40.000 Exemplaren und ist »kritisch, christlich, unabhängig«. Als christliches Medium stellen Sie Glaubensfragen in den Mittelpunkt. Aber warum sind Ihnen Wirtschaft und Finanzen so wichtig?

»It´s the economy, stupid« – das wusste schon Bill Clinton. Im christlichen Glauben sind die Ideale Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung tief verankert. Aus diesen biblischen Idealen leiten viele Christen eine Pflicht zu einer scharfen moralischen Kritik an der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung ab. Doch uns genügt eine rein moralische Kritik nicht, weil wir bei weitem nicht nur ein moralisches Problem haben. Es sind die Strukturen von Wirtschaft und Politik, die Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung verursachen. Ohne eine Veränderung des globalen Kapitalismus wird die Welt weder gerechter noch nachhaltiger – und damit auch nicht christlicher. Deshalb beschreiben wir diese Strukturen und diskutieren Alternativen.

Publik Forum: publik-forum.de

Dieses Interview hat Wolfgang Storz per Mail geführt.

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